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Verwaltungs-Bericht
des
Magistrats zu Berlin
für
das Ctatsjahr 1899.
M IS.
Wericht 6er Deputation für die städtische Irrenpflege.
Uorniort der
Aus der Deputation schied am 1. Januar 19U0 das langjährige
Mitglied Stadwerordneten - Vorsteher vr. Langerhans; an seine
Stelle trat der Stadtverordnete Zylicz.
Während des Berichtsjahres wurden 13 Sitzungen abgehalten,
in denen über 182 Gegenstände berathen wurde; davon seien folgende
erwähnt:
Die Abtrennung der für die Errichtung der Irren-Anstalt Herz
berge erworbenen Fläche von deni Kommunalverbande des Ritterguts
Lichtenberg, worüber wir bereits im vorigen Jahre berichtei haben,
hat sich noch nicht ermöglichen lassen. Da sich in Folge dessen die
Voraussetzungen des über den Ankauf abgeschlossenen Vertrages vom
27. Juli 1887 nicht erfüllt haben, ergaben sich verschiedene Differenzen
mit dem Verkäufer, Rittergutsbesitzer Roeder in Lichtenberg. Zu
ihrer Beseitigung, sowie zur Beilegung einiger bei Herstellung des
gemeinschaftlichen Anschlußgeleises an die Station Lichtenberg Friedrichs
felde der Küstriner Bahn entstandenen Streitfragen ist im Einvcr-
ständttisie mit der Stadtverordneten-Versammlnng mit dem Genannten
ein Vergleich geschlossen worden, »vobei wir ein für die Irren-Anstalt
Herzberge sehr werthvolles Zugeständnis; erzielt haben. Die Kranken
häuser sind nämlich auf der Franenseite nur IM m von der West-
grenze des Anstaltsgcbietes entfernt, der um ^>ie Anstalt führende
Verbindungsweg, der von den Kranken viel zu Spaziergängen benutzt
wird, nur etwa 30 m. Die Grenze bildet eine lebende Hecke. Diese
Lage mußte seiner Zeit gewählt werden, um eine natürliche Ent
wässerung der Aiistaltsgebäude zu bewirken. Es wurde aber auch
angenommen, daß das anstoßende Gelände des Riltcrgules Lichtenbcrg
Ackerland bleiben und daß es mit geringem Kostenaufwand möglich
sein würde, das AnstaltSgcbict an dieser Stelle durch Ankauf eines
Schutzstreifens zu erweitern. Inzwischen ist nun ein Bebauungsplan
für den Gutsbezirk genehmigt worden, wonach eine Straße in einer
Entfernung von etwa IM m von der Grenze vorbeiführt. Bei der
Tiefe der hierdurch entstehenden Grundstücke ist anzunehmen, daß
Hintergebäude bis dicht an die Anstaltsgrenze gerückt werden; ihren
Bewohnern würde dann aber ein freier Einblick in das AnstaltS-
gebiet, insbesondere in die Krankengärten niöglich sein, und ein
Verkehr mit den Kranken durch Gespräche oder Zeichen von den Nach
bargrundstücken her würde sich nicht verhindern lassen, so daß sich die
erheblichsten Unzuträglichkesteii ergeben würden. Herr Roeder hat
sich in dem abgeschlossenen Vertrage bereit erklärt, einen 240 m langen
und 30 m breiten Streifen seines Geländes als Schutzstreifeii für die
Anstalt tauschweise gegen ein gleich großes Trennstück der Irren-Anstalt
Herzberge zwecks Erweiterung seiner Eisenbahn Anschlnßanlagc an uns
abzutreten. Auf diesem Schutzstreifen beabsichtigen wir, eine Park
anläge zir schaffen, die einen Einblick von außen her möglichst ver
hindert.
In der Anstalt für Epileptische Wuhlgarten hatte sich bei der
zunehmenden Belegung herausgestellt, daß die Räume für gemein
gefährliche Epileptiker unzureichend waren; es mußten i» den beiden
geschlossenen Häusern mehr derartige Kranke untergebracht werden, als
für Behandlung, Ordnung und Sicherheit unbedenklich ist. Von den
Kranken sind nun besonders diejenigen in der Behandlung schwierig,
welche durch ihre verbrecherische Vergangenheit, sowie durch ihren
Aufenthalt im Gefängnisse und Zuchthanse ihre schlimmsten Neigungen
entwickelt haben, und solche, die sich zusammenrotten, Komplotte
schmieden und Zank und Zwist erregen; durch sie wird die ganze
Abtheilung aufrührerisch. Den hieraus entstehenden unangenehmen
Deputation.
Folgen konnte nur dadurch begegnet werden, daß die Anstifter der
Unruhen immer wieder in eine andere Abtheilung gebracht wurden.
Diese sind aber nicht derartig eingerichtet, daß eine zeitweilige
Absonderung solcher störenden Elemente ohne Inanspruchnahme der
Zellen vorgenommen werden kann; durch die Anhäufung gefährlicher,
erregbarer Kranken in einer Abtheilung wird aber auch der Zweck der
Anstaltsbehandlung in Folge fortgesetzter Entfachung der Leidenschaften
vollständig verfehlt. Aus unseren Antrag ist deshalb von den
Gemeindebehörden der Neubau eines Ueberwachungshauses für
IM Männer, verbunden mit einem Wohnhaufe für einen Assistenzarzt
und einen verheiratheren Lberpfleger nebst Verbindniigshalle, sowie
eines Ueberwachungshauses für M Frauen beschlossen worden. Die
Kosten sind auf i 050 000 Jt veranschlagt. Das endgiltige Projekt
ist von der Stadtverordneten Versammlung bereits im Mai 19M
genehmigt worden, so daß init den Banarbeilen noch im Jahre 19M
begonnen werden konnte.
Auch für das im Vorjahre erivähnte ziveile Werkstailgebäude ist.
inzwischen das endgiltige Projekt von der Stadiverordneten-Versamm-
lung genehmigt worden; die Kosten sind auf 55000 M veranschlagt.
Das auf dem Gutshof der Irren Anstalt zu Dalldorf vorhandene
Kntscherwohnhaus ist im Laufe der Jahre derart baufällig geworden,
daß eine Reparatur zwecklos erschien. Wir haben deshalb die Er
richtung eines neuen Kutscherwohnhauses als Vierfamilienhaus bei
den Gemeindebehörden beantragt. Darin sollen außer den beiden
Kutschern der Knhsüttercr und der Gärtner Wohnung erhalten.
Zur Herstellung eines zweiten Geleises auf der Bahnstrecke Schön-
holz—Tegel mußte von dem Gelände der Irren-Anstalt Dalldorf ein
1 245 gm großes Trennstück abgetreten werden: der hierfür von der
Eisenbahn-Verwaltung zu zahlende Kaufpreis ivird im Enteignungs-
Verfahren festgestellt.
Die auf Kosten der Armen-Direktion von den Anstalts-Verwal-
tiingen angefertigten Särge waren bisher sowohl in ihrer Form als
auch hinsichtlich des Materials bei den einzelnen Anstalten verschieden.
Es ist deshalb angeordnet worden, daß die Särge fortan nach dem
Muster des in der Leichensainmelstellc in der Diestelnieperstraße auf
gestellte» Probesarges angefertigt und der Arnien Direktion dieselben
Kosten in Anrechnung gebracht werden, ivie sie für Armensärge an
den Sarglicfcraiiten gezahlt werden.
Aus Anlaß eines Spezialfalles hat der Oberpräsident den
Magistrat um Anordnung ersucht, daß der Staatsanwaltschaft ent
sprechend den Vorschriften des Runderlanes vom 20. September 1895
für Privat Anstalten auch bei der Entlassung von Geisteskranken aus
den öffentlichen Anstalten Anzeige erstattet werde, besonders wenn es
sich um Irre handle, die verbrecherischer Handlungen beschuldigt sind,
ihres krankhaften Zustandes wegen aber aus der gerichtlichen Unter
suchungshaft haben entlassen werden müssen, sowie wenn ein derartiger
Kranker aus der Anstalt entweicht. Diese Verpstichiung bestand nach
dem geltenden Reglement bisher nur für Nicht-Entmündigte. Das
Reglement ist deshalb einer Durchsicht umerzogen worden; es lautet
in der neuen Fassung in den §8 12 und 20 nunmehr wie folgt:
„§ 12. »»Wenn durch die Entweichung eines Kranken eine Gefahr für
die öffentliche Sicherheit bedingt wird, oder wenn ein aus
der Uiitersuchungs oder Strafhaft aufgenommener Kranker
sich aus der Anstalt entfernt, ist dem königlichen Polizei-
Präsidium zu Berlin telegraphisch Mittheilung zu machen.
Entfernt sich ein unmittelbar ans Untersuchnngs oder Straf-