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Waisenkostpflcge und im Depot befindlichen Mädchen 51 erreicht. Hiervon
konnten, wegen physischer, resp. geistiger Unfähigkeit, 7 nicht consirmirt
werden. Die demnach noch verbliebenen 44 Mädchen sind nun, wie folgt,
placirt worden:
1) Bei den Pflegecltern sind, behufs ihrer weiteren wirthschaftlichen
und häuslichen Ausbildung, verblieben .... 15 Mädchen,
2) In das Kinderpflegerinnen-Institut sind ausge
nommen ... 9
3) Zu Verwandten nach außerhalb ist gekommen . 1 -
4) Der Mägde-Herberge (Martha's Hof) ist . . 1 -
überwiesen, da dessen sittliches Verhalten zu ernsten
Bedenken Veranlassung gab.
5) In ein Posamentier-Geschäft ist eingetreten . . 1
6) Gegen Lohn sind vermiethet 2
7) In dienstliche Lehrverhältnisse sind getreten . . 15
sind 44 Mädchen.
Außerdem sind noch 7, Ostern d. 2. confirmirte Waisenmädchen,
welche außerhalb Berlins in Pflege waren und für welche am Orte kein
geeigneter Dienst sich gefunden hatte, in dienstliche Lehrverhältnisse gegeben
worden, und zwar ans
Charlottenburg ... 2 Mädchen,
Cöpenick 3
Müncheberg .... 1
Jüterbog 1 -
Hiernach haben wir für 51 Mädchen ein Unterkommen geschafft. Alle
sind, mit Ausnahme des zu seinen Verwandten nach außerhalb gekoinmenen
Mädchens, unter die Aufsicht der betreffenden Waisenämter gestellt worden.
Wie nothwendig cs ist, für die Mädchen nach ihrer Confirmation in
der beregtcn Weise zu sorgen und von ihnen die schützende Hand nicht ab
zuziehen, zeigen wieder 2 höchst beklagenswerthe Fälle.
Von den Ostern d. I. in der hiesigen Waiscnkostpflege confirmirten
Mädchen haben nämlich 2 sofort den Weg des Verderbens betreten. Beide
Mädchen, von denen das eine I Jahr, das andere nur Jahr in der
Waisenpflege war, hatten schon während der Zeit ihrer Verpflegung zu
ernsten Befürchtungen Veranlassung gegeben. Beide stammen aus Familien,
deren Angehörige, Väter und Geschwister, ein vagabondirendes und laster
haftes Leben führen. Das eine dieser Mädchen sollte in ein dienstliches
Lehrverhältniß treten, dasselbe ist aber gar nicht zugezogen, sondern hat sich,
nachdem es den Abend seines ersten Communionstages in einem Tanz-
local zugebracht hatte, heimlich entfernt. Das andere ist seinen Pflegecltern,
wo es bleiben sollte, entlaufen. Bisher ist es nur gelungen, den Aufent-
halr eines der Mädchen zn ermitteln; bei dem anderen ist dies, trotz der
Hülfe der Polizei, noch nicht geglückt
Um wie viel größer würde aber die Zahl der so augenscheinlich in
das Verderben gehenden Mädchen sein, wenn Niemand da wäre, der ihnen
in der gefährlichsten Zeit ihres Lebens mit Rath und That zur Seite stünde.
ES ist neuerlich in Frage gestellt worden, ob es Zweck und Aufgabe
unserer Verwaltung sei, für die Waisenkinder nach deren Confirmation
weiter zu sorgen. Uns ist dies keinen Augenblick zweifelhaft gewesen; im
Gegentheil, wir haben die Fürsorge für die entlassenen Kinder allezeit als
einen integrirenden Theil unserer Verwaltung betrachtet.
Ebensowenig, wie Eltern behaupten können, oder'daran denken werden,
ihre Pflicht erfüllt zn haben, wenn sic ihre Kinder mit erfolgter Confir
mation ganz sich selbst überlassen, darf unsere Verwaltung sich auf solchen
lieblosen Standpunkt stellen. Ein solcher würde auch nicht einmal dem
wohlverstandenen Interesse der nacktesten polizeilichen Armenpflege entsprechen,
da man die Kinder dann in ein Elend hineintreiben läßt, welches später
die öffentlichen Mittel in sehr vergrößertem Maaße in Anspruch nehmen
muß. Die beste und anscheinend wirksamste Erziehung würde in ihren
Resultaten zerstört werden, wenn nicht das Auge des Erziehers und Pflegers
wach bliebe über dem Zögling auch nach der Zeit, welche durch die Con-
firmation und das formelle Ausscheiden begrenzt wird. Wann ist der
Mensch wohl schutzbedürftiger, unterstützungsbedürftiger zu erachten, als in
dieser Zeit der ersten Entwickelung zur Selbstständigkeit, welche in die ersten
Jahre nach der Confirmation fällt? Jetzt erst sind wir durch das glückliche
Gelingen der Waisenämter-Orgnnisation zu dem ersten Versuche gekommen,
für alle, unserer Fürsorge ungehörigen Kinder, und insonderheit für die
Mädchen, bei ihrem ersten Eintritt in die Gesellschaft so sorgen zu können,
wie wir es schon längst gewünscht haben.
Hierbei mag eingeschaltet sein, daß wir uns stets beschieden haben
und bescheiden werden, Geldinittel der Stadt für die confirmirten Kinder
nicht zu beanspruchen, und daß wir die Nothwendigkeit dieser fortgesetzten
Fürsorge durch uns nur für die Zeit verstehen, wo noch nicht andere Organe
(der freiwilligen Wohlthätigkcitspflege) unsere Thäsigkeit ersetzen.
Ist es schon unter allen Verhältnissen geboten, sich der confirmirten
Kinder anzunehmen und sie nicht in dem harten Kampf nm's Dasein allein
zu lassen, so ist dies in unserer, an Versuchungen und Verbrechen ungemein
reichen Stadt doppelt nöthig.
Es befinden sich in derselben c. 24,500 der Prostitution ergebene Frauen
zimmer. Im Zusammenhange mit dieser Zahl kamen im Jahre 1867
über 7000 Erkrankungen an der Syphilis vor; 32,754 Menschen sind in
demselben Jahre wegen nächtlichen, verdächtigen Umhertreibeus verhaftet
worden. 30,763 Personen wurden wegen entehrender Verbrechen, 34,878
Personen wegen anderweitiger Verbrechen bestraft, in Summa 65,641,
eine Zahl, die ungefähr dem elften Theil der Anzahl unserer gesummten
Einwohnerschaft gleich kommt.
Angesichts solcher Thatsachen kann es wohl kaum noch einen Augen
blick zweifelhaft erscheinen, daß unserer Verwaltung, welcher die Pflege
und Erziehung von nahe an 3000 Kindern anvertraut i|t, nicht nur die
Pflicht hat, nach Kräften dafür zn sorgen, daß diese Kinder gut werden,
sondern auch daß sie gut bleiben.
Läßt sich demnach die Pflicht und die Nothwendigkeit der Uebcrwachung
der entlassenen Kinder nicht in Abrede stellen, so ist freilich nicht zu läugnen,
daß die Ausübung dieser Pflicht mit nicht geringen Schwierigkeiten ver
knüpft ist.
Einer der schlimmsten Feinde, mit denen wir hierbei zu kämpfen
haben — und dessen sei hier nur gedacht — sind die Verwandten der Kinder.
Schon in dem Berichte der Rummelsburger Waisenanstalt ist darüber
geklagt worden, daß unbefugte, zuweilen unlautere Einmischung der Ver
wandten der Kinder das Verhältniß dieser zu ihren Lehr - resp. Dienst-
herrschaften stört und die Leichtgläubigen auf eine abschüssige Bahn zieht.
Ja, es ist wahrlich keine Uebertreibung, wenn es dort weiter heißt: „um
die Mädchen muß öfters mit Schwestern, Tanten, Bküttern rc„ welche den
prostitnirten Kreisen angehören, förmlich gerungen werden."
Aber alle diese Hindernisse, wie groß und gewaltig sie auch sein mögen,
lassen sich, bei redlichem und energischem Willen, in den meisten Fällen
beseitigen. Und je mehr diejenigen, welche dieser hochwichtigen Sache ihre
Kräfte widmen, wahrnehmen, daß ihre Arbeit keine vergebliche ist, um so
mehr werden sie auch beflissen sein, alles das aus dem Wege zu räumen
und von ihren Pfleglingen fern zu halten, was diesen irgendwie scha
den könnte.
Daß die in Rede stehende Thätigkeit nicht ohne Erfolg geblieben, das
beweisen die an den entlassenen Mädchen in den letzten Jahren erzielten
Resultate.
In dem Berichte der Verwaltungs-Direction sind die Ergebnisse mit
getheilt, welche die bei dem Königlichen Polizei-Präsidium angestellten Er
mittelungen über die sittliche Führung der in den Jahren 1864 bis incl.
1867 in der hiesigen Kostpflege confirmirten Mädchen ergeben haben.
Eine gleiche Recherche ist bezüglich der aus der Rnmmelsburgcr Waisen
anstalt in demselben Zeitraume entlassenen Mädchen vorgenommen. Nach
derselben sind von den confirmirten 136 Mädchen der Prostitution ergeben
6 Mädchen oder 4,4 pCt.
In der Kostpflege waren es von 171 Mädchen 3 - - 1,8 -
überhaupt von 307 Mädchen 0 Mädchen oder 2,9 pCt.
Von den in den Jahren 1860 bis incl. 18st3 confirmirten Waisen
mädchen waren:
in Rummelsburg von 52 Mädchen gefallen 3 Mädchen oder 5.8 pCt.
in der Kostpflege von 78 - 3 - 3,8 -
zusammen von 13ü Mädchen gefallen 6 Mädchen oder 4,6 pCt.
In den letzten 4 Jahren hat sich also eine Verbesserung herausgestellt:
in Rummelsburg um 1,4 pCt.,
in der Kostpflege um 2 pCt.,
überhaupt um 1,7 pCt.
Anlangend die aus der Rummelsburger Waisenanstalt entlassenen Mäd
chen, so sind dieselben noch ein Jahr lang nach ihrer Confirmation von
ihren Erzieherinnen controlirt worden. Gaben die über sie erstatteten Be
richte zu Bedenken Veranlassung, so haben wir sie der Aufsicht der Waisen
ämter unterstellt.
Um die confirmirten Mädchen mit der Anstalt in Verbindung zu hal
ten, hält der Anstaltsgeistliche, Prediger Matz, alle 14 Tage, Sonntag,
Abends von 6; bis 8( Uhr, Versammlungen, in welchen die Mädchen eine
gesunde, volksthümliche, Geist und Gemüth gleicherweise bildende Lectürc er
halten, die dann auf das innerste religiöse Leben bezogen und angewendet
wird. In den Sommermonaten haben 9 solcher Versammlungen in Rum
melsburg stattgefunden und ist jede derselben durchschnittlich von 15 Mäd
chen besucht worden. An jeder der während des Winters im hiesigen De
pot gehaltenen 6 Versammlungen haben sich durchschnittlich 32 Mädchen
betheiligt.
Nachdem unsere Verwaltung so weite Dimensionen gewonnen hat, ist
ihr zweierlei nöthig, nämlich Arbeitskräfte und Geldmittel.
Beides hat ihr nicht gefehlt.
Was die Waisenämter betrifft, so hat ihre Zahl, wie der Bericht über
die Kostpflege nachweist, auch in dem letzten Jahre wieder zugenommen.
Ueberall, wo es darauf ankam, Stellen von Pflegern und Pflegerinnen neu,
resp. wieder zu besetzen, ist man unseren Wünschen mit der größten Be
reitwilligkeit entgegengekommen.
Unser Collegium hat schmerzliche Verluste erlitten. Die Herren Stadt
verordneten Justizrath Thebesius, Bürgermeister a. D. Schneider und
Schulvorstehcr Steinert sind aus Gesundheitsrücksichten und der Stadt
verordnete Herr Sanitätsrath vr. Sch loch auer in Folge seines Aus
scheidens aus der Stadtverordneten - Versammlung aus demselben getreten.