ANZEIGER FÜR ARCHITEKTUR
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UND BAU-INDUSTRIE.
Beiblatt der Blätter ffir Architektur und Kunsthandwerk.
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Steinmetzstr. 46.
Jahrgang XIV.
BERLIN, Juli 1911.
Nr. 7.
4- Bildhauerarbeiten von R. Kuöhl, Berlin.
Die Baukunst - Ausstellung Wallot und seine Schüler
und die Wallot-Feier in Dresden.
In der Zeit vom'1.—9. Juli fand in den vornehmen Räumen der
Galerie Ernst Arnold in Dresden eine vortrefflich angeordnete „Bau-
kunst-AusstellungWallot und seinerSchüler“statt.
Sie war von den ehemaligen Zöglingen des Bauateliers Wallot an der
Dresdner Kgl. Akademie der Künste anlässlich des 70. Geburtstages
ihres verehrten Meisters veranstaltet worden und bildete eine ebenso
sinnige wie eigenartige Ehrung für ihn. Wallot hatte alle sonstigen von
seinen Fachgenossen beabsichtigten und ihm angebotenen festlichen
Veranstaltungen aus Gesundheitsrücksichten ablehnen müssen und
seinen Geburtstag selbst, den 26. Juni, fern von Dresden zu Burg a. d.
Saale im engeren Verwandtenkreise verlebt: nur zur Eröffnung jener
Ausstellung hatte er seine Zusage erteilt.
Diese Eröffnung fand am 1. Juli um 10 Uhr vormittags in feierlicher
und würdiger Weise statt. An ihr nahmen ausser den in stattlicher Zahl
versammelten Meisterschülern die Kgl. Staatsminister Vitzthum v. Eckstätt
und von Metzsch-Reichenbach, Geheimer Rat Stadler, die Geh. Hof
räte Prof. Diez, Bracht, v. Meyer, Homilius, Oberbaurat Herrmann,
Oberkonsistorialrat D. Dr. Dibelius, die Professoren Lossow, Gross u. A.,
für die Vereinigung Berliner Architekten der Unterzeichnete teil.
1 Der Vorsitzende des für die Herrichtung der Ausstellung ein
gesetzten Ausschusses, Professor Oswin Hempel, begann die Feier,
nachdem Wallot auf dem Ehrensitze Platz genommen hatte, mit
folgender Ansprache:
„Meine hochgeehrten Damen und Herren! Hochverehrter Meister!
Als vor einigen Monaten die jungen Schüler des Bauateliers an der
Akademie sich an uns alte wandten, unserm gemeinsamen Lehrer, Herrn
Geheimrat Wallot, anlässlich seines 70. Geburtstages eine würdige
Ehrung zuteil werden zu lassen, drängte sich uns allen der Gedanke auf,
eine Ausstellung zu veranstalten, die unsere besten Werke vereinigen
sollte, die nach der Akademiezeit in praktischer Tätigkeit entstanden
sind. Wir glaubten keine bessere Form zu finden, um Ihnen, hochver
ehrter Meister, eine Freude zu bereiten, als Ihnen die Ergebnisse Ihrer
Lehrtätigkeit vor Augen zu führen. Allerdings waren wir uns auch der
Schwierigkeiten des Unternehmens bewusst, dem Namen Wallot dadurch
einen würdigen Hintergrund zu schaffen.
Wir hatten die Freude, dass die Aufforderung, die wir zu diesem
Zwecke hinaus sandten, allenthalben mit Begeisterung aufgenommen
wurde; wussten wir doch, dass nicht nur in Dresden und in anderen 1
Städten Sachsens, sondern auch ausserhalb im Reiche mit Stolz eine
stattliche Zahl jüngerer Kräfte zu den unsrigen zu zählen war. Allerdings
ist auch manch ein r durch die Verhältnisse in andere Bahn gelenkt
worden und hat von eigenen Werken nichts beisteuern können, so dass
wir auf eine vollzählige Mitwirkung von vornherein verzichten musslen.
Meister Wallot hat erst später und nur zögernd seine Einwilligung zur
Ausstellung gegeben und schliesslich auch auf unser Bitten eines seiner
letzten Werke beigesteuert, die Vorschläge zur Umgestaltung des
Brandenburger Tores in Berlin. Wir sind ihm ausserordentlich dankbar
dafür und freuen uns, dass wir Ihnen diese interessante Arbeit vorführen
können. "Suchen Sie, meine hochverehrten Damen und Herren und
hochverehrter Meister, nicht nach allzuvielen reifen Persönlichkeiten
und großen Taten; es ist nur eine verhältnismäßig kurze Spannzeit,
durchschnittlich 10 Jahre Entwicklung, die Ihnen hier vor Augen ge
führt wird. Aus den modernen Bedürfnissen heraus und durch besondere
lokale Verhältnisse gefördert, sind Werke entstanden, die, leicht hinge
sehen, nur wenig Verwandtschaft mit des Meisters Kunst und mit seinen
Monumentalschöpfungen zu zeigen scheinen. Vorherrschend Klein-
Arbeiten werden Ihnen vor Augen geführt; jedoch werden Sie gemeinsame
Züge heraus finden, die die Schule Wallot charakterisieren und die gerade
in der Vielgestaltigkeit der Entwicklung den beredtesten Ausdruck von
des Meisters Lehrkraft zeigen.
Mit den Gefühlen der Dankbarkeit treten wir, verehrter Herr
Geheimrat, heute mit dieser Ausstellung vor Sie hin und vor die Öffent
lichkeit; wollen Sie die Arbeit, die sie enthält, als den jungen kräftigen
Baum betrachten, der seine beste Kraft aus dem fruchtbaren Boden
Ihrer Lehrtätigkeit gezogen hat.“
Hieran anschliessend sprach Architekt H. Straumer (Berlin) dem
Meister den Dank der Schüler in von warmer Begeisterung getragenen
Worten aus.
Seine Ausführungen hatten zum wesentlichen folgenden Wortlaut;
„Der seit dem Eintritt der ersten Schüler in das Atelier Wallot
verstrichene Zeitraum ist zwar nur kurz, reicht aber immerhin aus für
einen Rückblick auf den Schaffensweg der Schüler. Heute sind sie zum
ersten Male als solche um ihren Meister vereinigt; aber bereits vor zwölf
Jahren versammelten sich seine Freunde und Schüler um ihn, als es galt, die
gegen Wallot und seine Mitarbeiter, den Maler Prof. Stuck und den Bild
hauer Prof. Hildebrand, im Reichstage erhobenen Angriffe zurückzuweisen.
Heute wieder wetteifern Künstler und Gelehrte, um Verehrung,
Dankbarkeit und Stolz über seinen Besitz dem Meister zu bekunden. —
! Gerade in diesem Zeitpunkt den Empfindungen der Verehrung Ausdruck
j zu geben, erscheint von erhöhter Bedeutung.
Im Rückblick auf die Entwickelung der deutschen Baukunst seit
dem Entstehen des Reichstagsbaues, auf den die Hoffnung der Kunst
welt nach einer neuen Zukunft damals gerichtet war, wissen wir heute,
dass die Geschichte der neuen deutschen Architektur mit dem Reichstags
hause zu zählen beginnt, und was der davon ausgehende starke Ein
fluss für den neuen Ausdruck der Volkskraft des neu geeinten Deutsch
lands in der Architektur zu bedeuten hat.
Es mag augenblicklich schwer sein, sich ein klares Bild von der
| gesamten Arbeit im Reiche zu machen. Die umgewandelten Bedürf
nisse des Industrie-Zeitalters haben mit ihrer Organisation auch die
künstlerische Arbeit angesteckt, und wer heute aus der bis zum Über
maß angeschwollenen Kunst- und Fachliteratur sein Urteil sich bilden
muss, wird kaum noch den Mann, der den alten Gedanken des Bau
meisters verkörpert, von dem man erwartet, dass er sein festes Haus
aus Steinen und schönen Hölzern bauen könne, herausfinden. Die
Malerarchitekten, die Raumkünstler, die Werktätten für Handwerks
kunst, für Hausrat G. m. b. H., zusammen mit den vielgestaltigen Be
griffen des künstlerisch zu interessierenden Publikums, wie: „Die Kunst
im Leben des Kindes, Kunst und Kaufmann, Kunst und Industrie, Frau
und Kunst usw.“, lassen fast die Meinung entstehen, als ob die Archi
tekten im Aussterben begriffen seien; oder doch mindestens: „das
moderne Leben mit seinen kunstgewerblichen Anforderungen habe
keine Aufgaben mehr für sie.“