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Volume Nr. 3, März 1910

Full text: Anzeiger für Architektur, Kunsthandwerk und Bau-Industrie (Public Domain) IssueXIII.1910 (Public Domain)

ANZEIGER FÜR ARCHITEKTUR 
—,— KUNSTHANDWERK ■ 
UND BAU-INDUSTRIE. 
Beiblatt der Blätter für Architektur und Kunsthandwerk. 
Preis des Anzeigers im Sonderbezuge jährlich 
bei freier Zusendung Deutschland und Öster- 
Verlag der Blätter für Architektur und Kunsthandwerk 
G. m. b. H., Berlin W. 57, Steinmetzstraße 46. 
Anzeigen-Annahme 
in der Geschäftstelle Berlin W. 57, 
Preis der einzelnen Nummer 0,50 Mk. 
Leitung: Paul Graef, Steglitz, Albrechtstraße 113- 
Stemmetzstr. 46. 
Jahrgang XIII. 
BERLIN, März 1910. 
Nr. 3. 
Gedenkschrein für Herrn Direktor H. in Grunewald. 
Polisanderholz mit Einlagen aus farbigen Hölzern, Perlmutter, Elfen 
bein und Silber. 
Nach dem Entwürfe von W. Kimbel angefertigt von Kimbel u. 
Friedrichsen in Berlin. — 1908. (s. Nr. 1.) 
Das Miethaus. 
Von Albert Gessner. 
Den folgenden Betrachtungen sei vorausgeschickt, dass ich das 
Thema „Miethaus“ hier nach keiner Seite hin erschöpfen weder will 
noch kann, da dies naturgemäß ein Studium aller möglichen Wissens 
gebiete, wie Baugeschichte, Volkswirtschaft, Gesundheitspflege und 
Kulturgeschichte erfordern würde, zu dem der praktisch tätige Architekt 
ja niemals die Zeit findet. 
Meine Ausführungen sollen sich daher nur auf das beschränken, was 
einem Architekten, der sich näher mit dem Gegenstände zu beschäftigen 
Veranlassung hatte, für Mängel und Unzulänglichkeiten, Wünsche und 
Hoffnungen auftauchen. Dass das Miethaus in unseren großen und kleinen 
Städten eine ganz bestimmte Gebäudegattung geworden ist, die weder 
mit den heutigen Eigenhause noch mit dem Bürger -oder Eigenhause 
der Vergangenheit etwas Gemeinsames hat, ist eine Tatsache, die von 
niemanden bestritten werden wird. Wenn wir auch eine geschichtliche 
Entwicklung vom Eigenhaus über das Bürgerhaus zum heutigen Miethause 
konstruieren wollen, so bleibt das für die Beurteilung des heutigen 
Miethauses von geringem Belang. Denn erst mit dem riesigen An 
wachsen der Städte ist das Haus entstanden, das keine persönlichen 
Beziehungen mehr hat zu seinem Besitzer, das von ihm nur erbaut wird 
entweder, um ein Kapital in guter Verzinsung anzulegen, oder gebaut 
wird gewissermaßen auf Vorrat, um es mit Gewinn zu verkaufen, wie 
der Fabrikant seine Waren auf Vorrat anfertigt, um sie auf dem Markt 
je nach der Geschäftslage mit möglichst großem Nutzen verkaufen zu 
können. Diese Tatsache muss man sich zunächst klar vor Augen führen, 
um als Achitekt in die richtige Stellung zu dieser Art Gebäudegattung 
zu gelangen. 
Wenn wir den Mut zu diesem klaren Bekenntnis finden, dann werden 
wir auch erkennen, dass uns diese Gebäudegattung gewissermaßen über 
Nacht gekommen ist mit tausend Übergängen, aus denen wir erst all 
mählich erkannt haben, dass wir vor etwas Neuem stehen, neuen Auf 
gaben, die wert sind, ebenso gelöst zu werden wie hundert andere, die 
unsere Kunst uns stellt. Leider hat sich aber die Entwicklung der 
Städte nicht aufhalten lassen, so dass wir erst eine Verwüstung ohne 
gleichen erleben mussten, ehe wir selbst zur rechten Einsicht gelangt sind. 
Ich brauche auf das Trostlose dieser Miethausstraßen unserer 
Großstädte nicht aufmerksam zu machen. Architekten und Laien 
dürften einig in der Ansicht sein, dass hier etwas geschehen muss, um 
dem künstlerischen Bankrott auf diesen Gebieten Einhalt zu tun. 
Wir können uns unmöglich mit den Gedanken trösten,' dass die 
Bestrebungen für das Eigenbaus, für die Bodenreform, einmal so weiten 
Spielraum gewinnen könnte, dass das Miethaus überflüssig und daher 
nicht mehr gebaut würde, und es daher Kraftverschwendung wäre, sich 
mit einem absterbenden Bautypus zu beschäftigen. Denn wenn einem 
vielleicht im ideellen Sinne ein solches Ziel erstrebenswert erscheinen 
mag, so wird es in unserer realen Welt wohl auf lange Zeit ein frommer 
Wunsch bleiben. 
Daher scheint es mir nicht unwichtig zu sein, dass sich der Bau 
künstler im ganzen und im einzelnen mit dieser Aufgabe des Miet 
hauses beschäftigt. Denn was wird uns z. B. ein in künstlerischer, wirt 
schaftlicher, gesundheitlicher und verkehrstechnischer Beziehung glänzend 
gelungener Bebauungsplan von Groß-Berlin nutzen, wenn wir für die 
Hauptaufgaben seines Ausbaues keine Formel gefunden haben, die uns 
vor den Geschmacklosigkeiten heutiger Miethausstraßen schützt? 
Es erübrigt sich, hier etwaige Vorzüge und Nachteile vom Eigen 
baus und Miethaus gegeneinander abzuwägen gegenüber der Tatsache, 
dass das Miethaus eben besteht und den breitesten Raum imjieutigen 
Städtebild einninnnt. 
Wenn man wollte, könnte man ja auch Vorzüge des Miethauses 
anführen, die durch die Zentralisation vieler Einrichtungen gewonnen 
werden. 
Um nun die Möglichkeit zu finden, die verbessernde Hand an die 
bestehenden Gepflogenheiten zu legen, wird es nötig sein, zu unter-
	        
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