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nur eine ganz nebensächliche Rolle. Das erhaltene Raumbild
ist nach wie vor das mittelalterliche, wenn sich auch gotische
Bürgerhäuser nur ganz ausnahmsweise bis in die Gegenwart
gerettet haben. Wie in den besten Zeiten des Mittelalters aber
die Straßenfronten unserer Ostseestädte einmal ausgesehen, ver
mittelt uns sehr schön ein alter Stadtprospekt von Rostock, von
dem in Abbildung 30 ein Ausschnitt wiedergegeben. Diese
monumentalen Steinhäuser haben selbstverständlich auch noch
Vorgänger in Holzfachwerk gehabt. Ein Beispiel hierfür ist in
Abbildung 31 zu rekonstruieren versucht. Der Ersatz solcher
Holzhäuser durch Steinfassaden ist aber im Nordosten Deutsch
lands infolge des so handlichen praktischen Backsteinmaterials
viel früher und viel durchgreifender vor sich gegangen als in den
westlichen und südlichen Landesteilen.
Ebenso wie die gleichmäßige Reihung solcher in alter Form
gegebenen Einheiten die Grundlage der Rekonstruktion unserer
Stadtsilhouetten bildete, sei zum Schluß (Abb. l) noch der
Versuch gezeigt, ein altes inneres Raumbild der Stadt in seiner
ursprünglichen Fassung vor Augen zu führen. Dazu ist das
Schönste gewählt, was das mittelalterliche Danzig wohl über
haupt aufzuweisen gehabt hätte, wenn diese Raumschöpfung
jemals ganz im Sinne des damals am Werke befindlichen Archi
tekten zur Vollendung gelangt wäre. Es handelt sich um den
Zug der Daramstraße mit ihrem monumentalen axialen Abschluß
durch den Bau des hohen Querschifies der Marienkirche. Während
der Ostabschluß dieses Kirchenbaues ebenso wie die Südfront
seines Querschiffes (Abb. 27, 28) entsprechend der inneren drei-
schiffigen Hallenentwicklung obere Bekrönungen durch drei
nebeneinander gestellte Giebel mit flankierenden Turmaufbauten
erhalten haben, die mit ihrer reichen Durchbildung in so charak
teristischem Gegensatz zur einfachen Flächigkeit ihres Unter
baues stehen, ist für die Nordwand des Querschiffes nur eine
Teillösung zustande gekommen. Hier muß damals irgend etwas
im Wege gewesen sein (angeblich ein Pfarrhaus, dessen Be
seitigung nicht durchgesetzt werden konnte), wodurch der Aus
bau des Östlichen Seitenschiffes im nördlichen Querschiffteil bis
zu dessen geplanter Abschlußwand nicht möglich war. So blieb
diese architektonisch ein Torso (Abb. 29), indem nur der mittlere
und westliche Giebel zur Ausführung gelangen konnte und der
flankierende Ostturm einfach an diese Gruppe herangeschoben
werden mußte. Gern ist der Architektenkollege von damals
sicher nicht an diese Notlösung herangegangen, aber wir wissen
ja, wie oft sich auch noch heute Ähnliches ereignen kann, ln
unserem Bilde (Abb. 1) ist nun diesem Übelstande nachträglich
abgeholfen und die Querschiffswand in ihrem vervollständigten
Aufbau eingetragen, mit depi Ergebnis, daß ein Raumbild
vollendetester Art vor uns steht, wie sicher niemals ein besseres
geschaffen wurde. Professor Otto Kloeppel, Danzig.
Die Abbildungen i, 10, 12 und 31 zeichnete Dipl.-Ing. Kotli,
DIE FRAUENGASSE IN DANZIG ALS ARCHITEKTURMUSEUM
VON ALBERT CARSTEN, DANZIG
Die Verhandlungen auf dem diesjährigen Tage für Denkmal
pflege und Heimatschutz mußten mit ihrer programmatischen
Signatur: „Altstadt und Neuzeit“ für Danzig von größtem
Interesse sein. Die Bestrebungen zur Erhaltung des alten Stadt
bildes und im besonderen des Giebelrhythmus in den Straßen
zügen, begegnen sich hier öfter und vielleicht auch schärfer als
anderen Ortes mit den Forderungen der neuzeitlichen Verkehrs
und Wohnverhältnisse. Man wird sich bei der immer energischer
vorwärtsschreitenden Umwandlung der alten Rechtstadt in ein
Geschäftsviertel klar werden müssen, welche Teile unter allen
Umständen vor einschneidenden Veränderungen geschützt
werden müssen, und wo andererseits weniger Wichtiges zugunsten
berechtigter Ansprüche unserer Zeit geopfert werden muß.
Hierfür gibt die Stadt Brüssel ein vorbildliches Beispiel. Dort
hat man den Marktplatz als ein noli me tangere vor jeder Ver
änderung an den alten, ihn umsäumenden Bauwerken bewahrt
und die Einmündungen der angrenzenden Straßenzüge ebenfalls
in den Denkmalschutz einbezogen. Dafür haben sich dann
andere weniger bedeutsame Teile der alten Stadt Veränderungen,
die durch die neuzeitlichen Verhältnisse bedingt waren, gefallen
lassen müssen. Ähnlich müßte auch in Danzig vorgegangen
werden. Hier kommt in erster Linie die zur Hauptgeschäfts
straße gewordene Langgasse und der durch das Rathaus mit ihr
zu einer Einheit verbundene Langemarkt in Betracht. Auf das
Danziger Forum hat sich bereits die schützende und geschickte
Hand des Denkmalpflegers gebreitet; sie muß auch in der
Langgasse stark genug sein, um Entstellungen aus früherer
Zeit zu beseitigen und das Eindringen neumodisch aufgezäumter
Baugebilde in diesem mit den schönsten alten Patrizierhäusern
besetzten Straßenzuge zu verhindern. Von der behaglichen
Wohnstraße, wie sie J. C. Schultz in seinen aus den fünfziger
und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts stammenden
Radierungen schildert, ist freilich wenig genug übrig geblieben.
Dagegen hat ein Teil der schmalen, der Langgasse parallel
laufenden Straßenzüge besonders in ihren unteren Teilen nach
der Mottlau zu das ursprüngliche Aussehen auch heute noch in