Städtebau 1928, Heft 12
Straßen an die vorhandenen, oder es entwickelte sich ein
ein- oder zweiseitiges Radialsystem im wesentlichen senkrecht
zur alten Hauptrichtung der Stadtanlage verlaufender Straßen,
die an ihren Enden nach Möglichkeit wieder perlpheral zusammen
gefaßt wurden. Ihr Anschluß an das alte Straßennetz war dabei
aber infolge Fehlens entsprechend breiter ursprünglicher Quer
verbindungen meist nur mit gewissen Schwierigkeiten mög
lich. Aus den geschilderten Gestaltungsgrundsätzen ergab sich
ganz von selbst eine ausgesprochene räumliche Geschlossen
heit aller Einzelgliedcr solcher Anlagen wie ihrer Gcsamtcrschei-
nung. Diese einheitliche Wirkung wurde noch dadurch ganz we
sentlich gesteigert, daß sich alle Straßen- und Platzwandungen
aus einer gleichmäßigen Reihung hochragender Giebelhäuser
zusammensetzen, deren ruhige Massen nur die entsprechend
angeordneten öffentlichen Gebäude beherrschend überragten.
Daß nun derartige Stadtanlagen in der Ausführung nicht
immer so korrekt ausfielen, wie die abgcbildctcn Idealtypen,
bedarf kaum einer besonderen Erwähnung. Aber die gewollte
klare systematische Straßenführung läßt sich auch da noch
herausschälen, wo durch alle möglichen Einwirkungen, Fehler
in der Absteckung, Zufälle usw. das Bild manchmal auch etwas
sehr bunt erscheint. Ein überzeugendes Beispiel hierfür ist der
Stadtplan von Pyritz in Pommern. Trotz aller Unregelmäßig
keiten, die da bei der Ausführung hineingekommen sind, kann
man das vom damaligen Städtebauer eigentlich Gewollte doch
leicht erkennen und dann haben wir (Abb. 5 und 6) eine
sehr geschickte Lösung für die Aufgabe vor uns, aus den be
sonderen Verhältnissen der Örtlichkeit heraus einen Stadtplan in
seiner einen Hälfte als Vier-, in seiner anderen als Sechs-Straßentyp
anzulcgen und beide Teile durchaus organisch zu verbinden..
Auch der deutsche Ritterorden bediente sich des gleichen grund
sätzlichen Planschemas, als
er vom Jahre 1230 ab seine
Siedlungstätigkeit östlich der
Weichsel begann. Nur zeigen
seine Anlagen gegenüber den
bisher betrachteten weiter
westlich gelegenen einen ge
wissen Unterschied, und der
besteht darin, daß er bei
fast allen Dorf- und Städte
siedlungen, ebenso wie bei
seinen Burganlagen, recht
eckige Grundrißbildungen
gegenüber den sonst üb
Abb. 8 / Das mittelalterliche Kulm
liehen rundlichen bevorzugte. Gewiß hängt das mit seinen Er
fahrungen und Gewohnheiten zusammen, die er aus dem
Orient mitbrachte. Es betrifft dieser Unterschied aber keines
wegs etwas Wesentliches in den Dingen, wie am besten ein Ver
gleich der schematischen Typen von Abbildung 3 .und 4 beweist.
Die erste Stadtgründung des Ordens war Thorn (Abb. 7)
auf dem rechten Ufer der Weichsel. Das mittelalterliche Thorn
zerfällt in eine Altstadt und Neustadt, erstcre Anfang der 30 er,
letztere Anfang der 60er Jahre des 13. Jahrhunderts angelegt.
Während bei der Neustadt das von Nordost nach Südwest ver
laufende Mehrstraßensystem mit seinen versetzten Toren und
der einen starken Querverbindung ohne weiteres in die Augen
fällt, erscheint der Plan der Altstadt nicht ebenso klar und ein
deutig. Wenn nicht alles täuscht, vereinigt er in sich eine
ursprünglich kleinere von West nach Ost verlaufende Anlage
mit einer etwas später nach Norden angesetzten Erweiterung,
die aber bereits vorgenommen wurde, ehe noch die stattliche
stcincre Umwehrung zur Ausführung gelangte. Da Stadt
gründung und Errichtung der Mauer mehr als 20 Jahre aus
einander liegen, wäre es sogar merkwürdig, wenn die Dinge
sich anders verhalten sollten, und der gesamte stattliche Plan
schon gleich bei der ersten Gründung abgesteckt worden wäre.
In dem ältesten nach dem Strom zu belegenen Teil hätten wir es
dann mit einem ursprünglichen Zweistraßentyp zu tun, der später
in der Querrichtung eine wesentliche Erweiterung erhielt.
Der Eroberungszug des deutschen Ordens ging von Thorn aus
zunächst die Weichsel abwärts bis zum Haff, dann dessen Küste
folgend nach Königsberg, um von dieser äußeren Linie aus
systematisch weiter ins Innere des Landes einzudringen. Unter
halb Thorn begründete er zunächst die sehr stattliche Anlage von
Kulm (Abb, 8). Hier haben wir es trotz der dem Steilrande folgen
den verzwickten Stadtum
grenzung ganz offensichtlich
mit einem von West nach Ost
verlaufenden Vier - Straßen
typ zu tun. Die auffallende
Breite der Quergassen ist
auf spätere Abänderungen
(Retablissement Friedrich
des Großen) zurückzuführen.
Die Haupttore sind wieder
nach den entsprechenden
Abb. 9
Das mittelalterliche Graudenz
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