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um eine Spekulation handle. Hierauf erwiderte Herr Locheur,
der gegenwärtige Arbeitsminister, daß die Verbände der Bau
unternehmer usw. das formelle Versprechen gegeben hätten,
in keiner Weise die augenblicklichen Preise zu erhöhen. Im
übrigen sei die Regierung in der Lage, die Verwirklichung des
Projektes im Notfall zu verlangsamen und damit der Spekulation
einen Damm entgegenzusetzen. Schließlich sei die Verwendung
von Sachlieferungen bei Aufhebung des Zolles für den Fall zu
hoher heimischer Preise vorgesehen.
Gekennzeichnet ist das Projekt Loucheur vor allem dadurch,
daß der Mieter der zu errichtenden Wohnungen oder Einfamilien
häuser deren Besitzer werden kann. Wie bekannt, bestehen
in Frankreich schon seit Jahren die „Ämter für billige Woh
nungen“, die staatlich unterstützt werden (Gesetz Ribot), deren
Tätigkeit aber immer mehr nachließ, weil die Wohnungen eben
doch zu teuer zu stehen kamen und weil der Mieter, dachte er
an den Erwerb der Wohnung, jährlich mindestens 2300 Franken
zu entrichten hatte, was für einen Arbeiter unmöglich war.
Nach dem neuen Projekt soll zum Beispiel ein Arbeiter, der
Vater von vier Kindern ist und in der Provinz lebt, zur Er
werbung seines Eigenhauses jährlich nicht mehr als 1400 bis
1500 Franken zu entrichten haben.
Die Beihilfe des Staates ist für billige Wohnungen dreifach
stärker als jene für Wohnungen mit mittleren Mieten. Dies
Verhältnis wurde bei der Diskussion mehrfach als unrichtig
bezeichnet; es wurde darauf hingewiesen, daß die Kleinbürger,
die Kleinrentner und vor allem die Angehörigen der freien
Berufe und die sogenannten Intellektuellen unter den Folgen
des Krieges weit mehr gelitten hätten als etwa die Arbeiter.
Dr. M. Uebelhör, Paris
Der französische Arbeitsminister hat inzwischen verschiedene
seiner Mitarbeiter nach Westdeutschland geschickt, um sie das
deutsche Siedlungswesen studieren zu lassen. Auf die von ihnen
an Loucheur eingereichten Berichte werden wir später eingehen.
Wir hoffen, daß sich Deutschland an dem großzügigen fran
zösischen Wohnungsbauprogramm ein Beispiel nimmt.
Wie cs um das Bauprogramm der Stadt Berlin steht, ist im
vorigen Hefte des „Städtebau“ (vgl. S. 204) auseinandergesetzt.
Inzwischen war das Gerücht verbreitet worden, daß der neue
Leiter des Dezernats fürWohnungs-und Siedlungswesen, Stadtrat
Czeminski, die Äußerung getan habe, es würden im Jahre 1929
in Berlin zehnmal so viel Wohnungen errichtet werden, als dies
im Jahre 1928 der Fall war. Daß eine solcheÄußerung natürlich
nicht gefallen ist, brauchte nicht erst besonders bekanntgegeben
zu werden. Wohl in der Annahme, daß es trotz aller Erfahrungen
immer noch Optimisten in Berlin gibt, hat man die angebliche
Äußerung sicherheitshalber doch dementiert.
Eine Reihe von Tageszeitungen hat zu dem Problem der
Berliner Wohnungsnot Stellung genommen und das „völlige
Versagen der Berliner Stadtverwaltung“ in scharfen Worten
gerügt. So schreibt der „Montag Morgen“ vom 16. Juli:
„ . . . Die Empörung über das grenzenlose Wohnungselend
in der Hauptstadt der Republik wendet sich mit Recht gegen
die Amtsstuben des Magistrats. . . . Wir können es durchaus
verstehen, wenn, der Oberbürgermeister von Berlin davon spricht,
daß man sich zu einem , Schritt der Verzweiflung* aufraffen
müsse. Wir können es aber nicht verstehen, daß seine Ver
zweiflungsschritte so klein abgemessen sind, wie er es beabsichtigt.
Böß will, um das schreiende Wohnungselend zu mildern, mutig
zu dem Mittel der Etatsüberschreitung greifen. Er will in diesem
Jahre den Magistrat dazu bewegen, io Millionen Mark herzu
geben, um damit den Wohnungsbau zu fördern. Er denkt,
diese 10 Millionen Mark durch Steuererhöhungen wieder herein
bringen zu können. So gewaltig sich die Summe von 10 Millionen
Mark anhört, so verschwindend klein ist sie an dem tatsächlichen
Bedarf gemessen. Mit 10 Millionen Mark sind, wenn man die
Methoden der Berliner Wohnungsfürsorge-Gesellschaft anwendet,
etwa eintausend Wohnungen zu errichten. 600 davon werden
im besten Falle Kleinwohnungen sein und auch die werden noch
eine monatliche Miete von 60 Mark kosten. 600 Elenden wird
man also ein zweifelhaftes Glück bereiten und 250000 werden
weiter elend sein.“
Jetzt wird bekannt, daß Oberbürgermeister Böß den Versuch
machen will, statt der vorgesehenen 10 Millionen Mark für ein
Zusatzprogramm im Jahre 1928 sich 15 Millionen Mark be
willigen zu lassen.
Das „Berliner Tageblatt“ vom 17. Juli 1928 (Nr. 333) schreibt
unter der Überschrift: „Schwere Mängel der deutschen Bau
politik“ unter anderem;
„ . . . Auch der lebhafteste Bewunderer der sozialdemokra
tischen Politik in Preußen und in Berlin wird nicht behaupten
können, daß die Sozialdemokratische Partei auf diesem Gebiet
Bewunderungswertes geleistet hat. ..
Heute wohnen 22000 Berliner Familien in Kellerwohnungen,
16500 in Mansarden- und 47000 Familien in Wohnungen, die
weder einen Abort noch eine Wasserleitung haben. Die Unzahl
der Behelfswohnungen sind dabei gar nicht eingerechnet. Wenn
das neue Berliner Wohnungsbauprogramm für 1928 den Bau
von nur 24000 bis 25000 Wohnungen vorsieht, so wird damit
nur ein Bruchteil der Zahl der Wohnungssuchenden befriedigt,
die aus der Provinz zuziehen. Was geschehen muß, um diesem
Elend zu steuern, zeigt das französische Beispiel. G. M.
GRÜNDUNG EINES INTERNATIONALEN VERBANDES
FÜR WOHNUNGSWESEN
Seit Jahren wurde zwischen dem „Internationalen Verband
für Wohnungswesen und Städtebau“ und den Wohnungsrefor-
mern über die Gründung einer selbständig arbeitenden Woh
nungssektion im Rahmen dieses Verbandes verhandelt. Da der
Verbandsrat bei seiner Sitzung in Paris am 1. Juli 1928 zu keiner
Entscheidung kam, glaubten die Wohnungsreformer, diese neue
Verzögerung im Interesse ihrer Bestrebungen nicht mitmachen
zu dürfen und gründeten einen neuen „Internationalen Verband
für Wohnungswesen“.
Man beschloß, die geeigneten Mittel zu suchen, um zu einer
erfolgreichen und freundschaftlichen Zusammenarbeit mit dem
„InternationalenVerband für Wohnungswesen und Städtebau“ zu
gelangen. Es ist bestimmt zu erwarten, daß der Sitz des Sekreta
riates nach Deutschland verlegt wird, wenn hierfür die unerläß
lichen .Voraussetzungen geschaffen werden können. Hierzu be
stehen die besten Aussichten, da in den Kreisen der deutschen
Wohnungsreformer der lebhafte Wunsch besteht, diese wichtige
internationale Zentralstelle für Deutschland zu sichern.
Auskünfte über den neuen Verband erteilt das Generalsekreta
riat (Adresse bis auf weiteres: Wien XVII, Nachreihengasse 48).
BUND DEUTSCHER BODENREFORMER
Der 32. Bundestag des Bundes Deutscher Bodenreforraer
findet vom 28. September bis 1. Oktober in Koblenz a. Rhein
statt. Man wird sich um zwei Fragen besonders mühen, um die
Fragen des Bodenreform- und Steuervereinheitlichungsgesetzes
und um die des Eigentums. Auf dieser Tagung wird übrigens
auch Adolf Damaschke einen Vortrag halten über „Bodenreform
arbeit, Aufgaben. Unsere Stellung zum Bodenreformgesetz und
zum Steuervereinheitlichungsgesetz“.
Als Herausgeber verantwortlich; Architekt Werner Hegexnann — Verlag von EmstWasmuth A.-G., Berlin W 8, Markgraienstraßejl
<9 Presse: Dr. Selle-Eysler A.-G., Berlin W29, Zossener Straße 55