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FLUCHTLINIENPLAN
FÜR DAS GELÄNDE ZWISCHEN
vom Rhythmus, von der Spannung zwischen Masse und Domi
nante. Der Städtebau ist deshalb auf feinere Abstufungen ange
wiesen, als sie der bislang übliche Bauzonenplan mit seiner Ein
förmigkeit ganzer Stadtviertel und starrer Verkuppelung von
Straßenbreite und Haushöhe bietet. Deshalb ist der „Aufbau
plan“ seit Jahrzehnten die Sehnsucht des Städtebauers; Wagner-
Speyer und viele andere haben ihn mit Eifer und guten Gründen
gefordert. Und das Ergebnis dieser Forderungen: Der § 15
Abs, 2 des Entwurfes zum preuß. Städtebaugesetz: „Den Be
bauungsplänen sollen in der Regel Aufbaupläne vorausgehen.
Sie sind nicht rechtsverbindlich . , und als magere Ergänzung
dazu die Neufassung des Vcrunstaltungsparagraphen in § 42 des
gleichen Gesetzes, der aber wieder im wesentlichen nur besondere
„Teile von Ortschaften“ gegen Verunstaltung schützt, anstatt
die wirkliche Gestaltung des Stadtganzen zu ermöglichen und da
mit die an sich wunderliche Unterscheidung zwischen geschützten
und ungeschützten Gebieten verewigt. Damit ist nichts gewonnen.
Nun ist es klar, daß es nicht möglich und auch gar nicht er
wünscht sein kann, diesen Aufbauplan im Sinne des Gesetzes,
der jeden einzelnen Baukörper in Grundfläche und Höhe enthält,
durch Polizeiverordnung oder Ortssatzung rechtsverbindlich als
Modellplan festzulegcn. Wohl aber ist ein Zwischending zwischen
Fluchtlinienplan und dem in die Einzelheiten gehenden Modell
plan möglich, mit dem mit einem Schlage die oben genannten
Lücken in den heute vorhandenen zwingenden Gestaltungs
mitteln geschlossen und darüber hinaus jede gewünschte Be
lebung in der Eintönigkeit des Zonenplanes erreicht werden kann.
Wie etwa ein solcher Plan aussehen muß, wird hier an einem
Beispiel (Abb. 3) gezeigt, und sei kurz erläutert:
Wie ein Vergleich mit Abb. 1, dem zuerst entworfenen, bis
in die Einzelheiten gehenden Wunschplan zeigt, sind die für die
städtebauliche Gesamtwirkung wesentlichen Unterscheidungen
bezüglich Bauart und Bauhöhe durch ganz einfache Zeichen
gebung festgelegt. Drei Stricharten für offene, gruppenweise und
geschlossene Bauart in Verbindung mit vier bis fünf Farben,
die in der Abbildung leider nur durch graue Töne wiederzugeben
sind, genügen völlig, um das Wichtigste festzulegen. Ein Ab
setzen dieser Linien bedeutet pflichtmäßiges Aussetzen der Be
bauung in Form eines Wiehes, oder auf größere Strecken (z. B.
Offenlassen der kurzen Seiten von langgestreckten, nur an den
Längsseiten zu bebauenden Blocks), Ergänzt werden diese Grund-
Abb. 2 / Fluchtlinienplan, auf
ALT-GINNHEIM UND AM Grund des FluchtUniengesetzes fest-
SCHWALBENSCHWANZ geeilt, enthält die Straßen- und
Baufluchtlinien, läßt aber die Höhe
. und Art der Bebauung offen, ist
also nur eine zweidimensionale und
damit völlig unzureichende Unter
lage für die bauliche Erschließung.
Zeichen durch qucrgestellte Striche
die die Stellen bezeichnen, wo
Seitenflügel aus wirtschaftlichen
Gründen (besonders große Grund
stückstiefe) zulässig oder aus
städtebaulichen Erwägungen er
wünscht sind, während diese im
übrigen in neueren Bauordnungen
meist grundsätzlich verboten
werden dürften. Doppellinicn
deuten ausnahmsweise zulässige
Hinterhausbebauung an. Auch
für diese Seiten- und Hinter
gebäude sind die Höhen ohne
weiteres durch die jeweilige Farb
gebung und rein aus den örtlichen Gegebenheiten oder Ge
staltungsgründen festzulegen. Schließlich läßt sich noch durch
auf die Baulinien gesetzten Meterzahlen die einheitliche Haustiefe
streckenweise festlegen, die nur nach vorheriger Sicherung für
ganze Gruppen- oder Reihenteile oder nach einheitlichem Rhyth
mus über-resp. unterschritten werden darf, womit die Verwendung
von hinteren Baufluchtlinien im Fluchtlinienplan, die ihn nur ver
wickelter macht, entbehrlich wird. Natürlich ist als Ergänzung
durch die Bauordnung das Zurückbleiben hinter der Fluchtlinie
nur in begründeten Fällen und nur dann, wenn sie dem Sinne des
Planes nicht zuwiderlaufen, zu gestatten. Die angegebenen Ge
schoßzahlen sind nicht nur als Höchst-, sondern auch als Mindest-
zahlen festzulegen, während für solche Stellen, die als beherr
schende Betonungen besondere Höhe erhalten sollen, nicht von
vornherein zwingende Angaben gemacht werden sollten.
Gelingt cs, diesen Aufbauplan in der vorgeschlagenen Form
zur Grundlage städtebaulicher Verwirklichung zu machen und
seine Festlegung durch Polizeiverordnung zugleich mit der Fest
stellung des Fluchtlinienplanes zu erreichen — es sind Anzeichen
vorhanden, daß dies gelingen wird — so werden wir einen ge
waltigen Schritt weiter gekommen sein. Dann wird die schöpfe
rische Leistung der Stadtplanung, da wo sie schon zu einiger
Reife gekommen ist, nicht so oft durch Willkür und Unverständnis
des Einzelnen zum Scheitern verurteilt sein.
Daß hierzu nicht nur erhebliche Widerstände eben dieser
Vielzahl von Bau- und Bodeninteressenten zu überwinden, son
dern auch manche sachlichen Schwierigkeiten und Bedenken
aufzulösen sein werden, ist klar. Drei Einwände insbesondere
dürften sogleich gemacht werden:
1, wird das Bedenken laut werden, daß durch den Aufbauplan
der frei schaffende Architekt in ungebührlichem Maße geknebelt
und die lebendige Fortentwicklung der künstlerischen Gestal
tungsgrundsätze durch Festlegung des Entwurfes auf lange Frist
unterbunden werden könnte. Dazu ist zu sagen, daß kulturell
höherstehende Zeiten ebenfalls diesen Zwang, oft in noch viel
schärferer Form ausgeübt haben und zwar mit bestem Erfolg.
Nur Zeiten kulturellen und gesellschaftlichen Gleichgewichtes
haben auf eine solche Regelung der Bautätigkeit verzichten
können und trotzdem städtebaulich Wertvolles hinterlassen.
Ein übertriebener Individualismus war noch immer Feind des
Städtebaues als kollektiver Leistung. Und das zweite an sich