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ZUR PHILOSOPHIE DES STÄDTEBAUES
VON KARL H. BRUNNER, WIEN
Der Städtebau unserer Zeit ist in gewaltiger Umbildung be
griffen. Alle Entfaltung im Grundriß ist auf eine Änderung des
Bisherigen, auf Lockerung und weiträumige Ausdehnung der Sied
lungskörper gerichtet; der Aufbau der Bauten folgt dem Geiste
einer neuen, kosmisch-erdhaften Architektur, das rechtlich-organi
satorische Gefüge neuen Leitsätzen sozialer Gemeinschaft. Das
Gebiet an sich und die Wege der Erneuerung sind dabei derart
vielgestaltige, daß wir die Bereiche nicht immer völlig übersehen
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und mitunter zu Irrun
gen neigen. So wird
die Stoff- und zweck
bedingte Baugestal
tung gepriesen, die für
den seelischen Grund
gehalt der Kunst nichts übrig hat, so die Zonenenteignung von
Bauland gefordert, ohne sie mit Grundgesetzen der Wirtschaft in
Einklang zu bringen. Dazu kommt die starke Bedingtheit des
Städtebaues durch Gegebenheiten der geschichtlichen Entwicklung,
so daß die Harmonie des Endergebnisses all der treibenden Kräfte
unserer Zeit gefährdet erscheint.
Es kann da zu einiger Läuterung führen, wenn wir uns der Bin
dungen der Baukultur, des Städtebaues an die übrigen Bereiche
unseres Daseins entsinnen und uns bemühen, ihnen unser Schaffen
einzuordnen. Als die Synthese der menschlichen Lebenskräfte er
weist sich die Dreieinigkeit Körper, Geist und Seele. Die gleichen
Elemente sind, wie die Soziologie lehrt, dem Dasein der mensch
lichen Gemeinschaft, der Auftraggeber^ im Städtebau, eigen und
bestimmen dessen Gestaltung. Im Reich des Körperlich-Materiellen
sind es die Bedürfnisse der Nahrung und Behausung, der Boden
nutzung und der Volksgesundheit, die durch ihre harmonische
Gestaltung zum Reich des Seelischen, durch physische und intel
lektuelle Arbeit zum Reich des Geistigen hinüberleiten. Dieses
Geistige der Volksgemeinschaft wieder schafft, vor allem verkörpert
in den Leistungen des technischen und sozialen Fortschrittes, das
Gefüge der Volkswirtschaft, des Verkehrs, die Organisation der
Arbeit und berührt sich in den Begriffsgebäuden von Recht und
Staat mit den ethischen Grundlagen der
menschlichen Gesellschaft, mit dem Bereich
des Seelischen. Hier aber wirken, genährt
und befruchtet vom ewigen Born der Liebe
und Religion, die Gebilde der sozialen
Gemeinschaft an sich (als Grundlage des
Staates) und der Kunst; die kosmische
Ordnung der Dinge, Rhythmus und Har
monie, verbindet wieder Kunst und Natur.
Wenn wir nun den geschlossenen Kreis
der Teilbereiche menschlichen, gesellschaft
lichen Wesens und Bedarfs auf die Ge
staltungen des Bauens — das im Dienste
der Gesamtheit eben Städte- und Sied
lungsbau ist “ einwirken lassen, so
verdichten sich diese völlig organisch
zu den drei grundsätzlichen Teilgebieten
der Baukultur: geistige und seelische
Werte weisen die Ziele, schaffen die
Vorsehung im Bauen, die Baupolitik;
geistige und körperliche Bedingungen
der Gestaltung führen zum System der
praktischen Ausführung, der Städtebau
technik, natürliche und seelische Gehalte
schließlich bestimmen die Veredlung, die
Stadtbaukunst. Daß die aneinandergereih-
ten Teilbereiche grundsätzlich und aus
nahmslos Bestimmungsstücke des Städte
baues sind, das geht gerade aus ihrer
schematischen Darstellung*) insofern her
vor, als die einander jeweils gegenüber
liegenden naturnotwendig gegenseitige Er
gänzungen oder aberGegensätze aufweisen,
die im Dienste der Kultur überbrückt werden müssen.
Eine ersprießliche Vorsorge für Nahrung und Wohnung —
um mit diesem materiellsten Bedarf zu beginnen — ist
nicht anders möglich als in den Rechts- und Organisation®-
formen des Staates, die soziale Gemeinschaft heute nicht
denkbar ohne Hygiene, eine soziale Nutzung der Stoffe und
Kräfte der Natur nur möglich im Rahmen der Volkswirtschaft (so
ist eine im Sinne der Gemeinschaft geübte Verfügung über den
Boden bedingt durch eine zielbewußte Bodenpolitik). Die Gegen
sätze, bezw. die Notwendigkeit eines Ausgleiches zwischen Verkehr
und Kunst sind durch den häufigen Meinungsstreit der Verkehrs
spezialisten und der Vertreter der Denkmalspflege und des Hei
matschutzes bekannt; die Auswertung des naturwissenschaftlichen,
technischen Fortschrittes ist wieder nur heilsam im Einklang mit
dem harmonischen Grundzug der Schöpfung und schließlich als
wichtigstes: die körperliche und intellektuelle Kräfte allein in An
spruch nehmende Arbeit nicht erträglich ohne die seelische Er
hebung in Liebe und Religion.
•) Erstmalig vorgeführt im Vortrage des Verfasser* „Der absolute Städtebau“ auf der
Tagung der Freien Deutschen Akademie des Städtebaues in Wien am 13 September 1926.