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durchzuringen. Der Höhepunkt der Entwicklung liegt auch hier
im Bereich der Deutsch-Ordensbaukunst. Da bildet die zum
Schloß Neidenburg gehörende Stadtanlage, so klein sie ist, ein
ebenso glänzendes Beispiel der Weiterentwicklung auf ein klar
erkanntes Ziel, wie die Schloßanlage selbst. Auch das Letzte ist
hier erreicht, die Beziehung der raumkünstlerisch einheitlichen
Stadt zu der im gleichen Sinne gelösten Schloßanlage. Durch das
ganze Mittelalter wie die landesfürstliche Zeit zieht sich die Tat
sache hin, daß zur Stadt die Burg oder das Schloß des Stadt
herrn gehört. Im Mittelalter und im Anfang der landesfiirstlichen
Zeit haben beide noch ihre selbständige Befestigung und sind so
auch zur Verteidigung gegeneinander eingerichtet. Später fällt
diese Trennung, sie wachsen zur Einheit zusammen, in der die
Schloßanlage dann den Höhepunkt einer sich nach ihr zu ins
immer Großartigere steigernden räumlichen Symphonie bildet.
Dies alles ist schon vorgeahnt, vorgetan in der Stadt Neidenburg
und seiner Schloßanlage. In klarster Achsenbeziehung zur Stadt
thront das Schloß über dieser in einem architektonischen Aufbau
ohnegleichen. Deutsche Kunst im deutschen Osten! Es hat selbst
verständlich dem Umfange nach Größeres, der Form nach Reicheres
gegeben, aber nichts im Sinne raumkünstlerischer Synthese Voll
endeteres.
Das in diesem Sinne Größere und Reichere finden wir dann
in ausgedehntestem Maße im Zeitalter des Landesfürstentumes.
Das Programm der mehrräumigen Bauten und der Stadtanlagen
wird hier ein viel Inhalt- und umfangreicheres und ist raum
künstlerisch, wie schon angedeutet, in derart glänzender Weise
gelöst, daß damit alle früheren Leistungen in den Schatten ge
stellt wurden. Da sich diese Entwicklung der landesfiirstlichen
Zeit aber aufbaute auf der Sprache der Renaissance antiker
Formenwelt und ihren Abwandlungen, hat die ausführlich ge
schilderte formalistische Anschauung des verflossenen Jahrhunderts
ihre hohen raumkünstlerischen Leistungen als identisch, als ab
hängig von der damit verbundenen Formensprache genommen.
Sie ist in dieser formalistischen Einseitigkeit, wie ebenfalls schon
erwähnt, soweit gegangen, das Zufällige, das im Mittelalter eben
noch nicht Fertige als ein selbständiges Prinzip architektonischen
Gestaltens zu nehmen, das im ausgesprochenen Gegensatz stände
zu dem, was die Antike wie ihre Wiederaufnahme in der Renais
sance und deren Abwandlungen räumlich gewollt. Mit einem
Worte, man hat geglaubt, es gebe zwei Wahrheiten in einer Sache,
der größte Irrtum, der überhaupt nur denkbar ist. Haben wir
diesen Irrtum aber erst wirklich erkannt als das, was er ist, so
kann es keinen Zweifel darüber geben, was heute Aufgabe und
Ziel unseres raumkünstlerischen Gestaltens sein muß. Unsere
ganze sichtbare Kultur trotz ihres großen Inhalts und Umfangs
und der damit verbundenen modernen technischen, sozialen,
hygienischen usw- Anforderungen, den Verkehrsfragen zu Lande,
zu Wasser wie zur Luft usw. zur selben künstlerischen Synthese
zu bringen, wie sie der Antike, dem Mittelalter und der landes-
fürstlichen Zeit als Ideal vorgeschwebt hat. Es gilt mit einem
Worte, die platonischen Ideen höchster raumkünstlerischer Voll
endung von den Sternen herunterzuholen. Neben dieser grenzen
losen Aufgabe spielt die Frage, das muß immer und immer wie
der betont werden, in welcher formalen Sprache wir dies tun,
eine höhst nebensächliche Rolle. Es liegt aber auch nicht der
mindeste Grund vor, warum wir dies nicht in unserer eigenen
Sprache tun sollten. Nichts Verfehlteres aber, als sich den Sinn
für die Hauptaufgabe von dem Trugbilde der Schaffung eines
neuen Stils trüben zu lassen. Friedrich Ostendorf, der als erster
mittelalterliche Baukunst an unserer Hochschule lehrte, hat es
klar ausgesprochen, daß ein neuer Stil immer nur dann ent
stehen kann, wenn ein junges kräftiges Volkstum neu in die
Entwicklung eintritt und das Erbe einer großen Vergangenheit
übernimmt. Diese Tat ist zweimal in großartigster Weise ge
leistet worden, einmal durch die Griechen, das zweite Mal durch
die Germanen. Uns fehlt jede Voraussetzung für ein gleiches.
Wir sind kein junges Volk mehr, wo ist heute die Einheit der
Weltanschauung, die Einheit des Lebensziels, der Gleichtrilt der
Massen, die hierzu unbedingte Voraussetzungen bilden! Lassen
wir es also, solchen Träumen nachzuhängen, und seien wir dank
bar, wenn es uns gelingen sollte, die großen räumlichen Auf
gaben unserer Zeit in dem erkannten einzig möglichen Sinne zu
lösen, im Sinne einer künstlerischen Synthese unserer gesamten
sichtbaren Kultur.
Aber das, was das größte Hindernis für die Erreichung eines
solchen Zieles in unserer Zeit bildet, wurde im Vorhergehenden
schon angedeutet. Die allgemeine Auflösung, das Neben- und
Auseinander, in dem sich unsere Lebensbetätigung befindet. Die
Arbeitsteilung war die Stärke des verflossenen Jahrhunderts,
aber zugleich sein Fluch. Soviel der Bienenfleiß dieser Arbeits
teilung den Einzelgebieten auch Erfolge gebracht, er bildet das
größte Hindernis für die Zusammenfassung auf ein einheitliches
Ziel. Man versteht sich untereinander nicht mehr und kann sich
so auch auf keinen einheitlichen Marschrichtungspunkt einigen.
Und was wir auf wissenschaftlichem und technischem Gebiete hier
erleben, ist nur ein Spiegelbild der allgemeinen Zerrissenheit
unseres Volkstums! Vertikal sind wir gespalten in Konfessionen,
Geistesrichtungen der verschiedensten Art, horizontal in Klassen,
Parteien, Interessengruppen usw. usw., jede ihrem Sonderziel nach
jagend und sich als Todfeindin der anderen fühlend. Wo soll da
eine einheitliche Kultur und ihre künstlerische Synthese her-
kommen? Wir müssen uns darüber klar werden, es handelt sich
heute darum, ob wir noch die innere Kraft besitzen, einem Zeit
alter der Teilung, des Nebeneinanders und des Auseinander
menschlichen Kennens und Könnens, eine Periode der Zusammen
fassung, der Einheit, der Synthese dieses Kennens und Könnens,
aber nicht nur das, sondern noch darüber hinaus, auch unseres
Wollens heraufzuführen. Hiermit steht und fällt unsere ganze
Zukunft, die Frage Kultur oder Chaos, hiermit wird entschieden,
ob dieses unser Leben noch lebenswert sein soll, ja noch vielmehr,
ob dieses unser Leben überhaupt noch sein soll oder ob ein
junges, neues Volkstum, das sich solche Kraft noch zutraut, über
uns zur Tagesordnung übergeht. So gilt es, diesen schweren Kampf
um die innere wie äußere Einheit auf allen Gebieten zu führen mit
dem Einsatz letzter körperlicher, letzter geistiger Kraft, aber
nicht zum wenigsten auch mit dem Einsatz letzter sittlicher Kraft.
„Sein oder Nichtsein, das ist Hier die Frage“.