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Siedlungshäuschen für eine achsige Anordnung zu winzig ist, warum soll durch Reihung
oder Gruppierung mehrerer Einheiten nicht dem herrschenden Bedürfnis nach der ein
fachsten Klärung nachgegeben werden? Ich glaube nicht, daß ein Architekt dadurch sein
„höchstes Kompositionsmittel“ verschießen würde und „mit leeren Händen“ dastände, wenn
er darauf an eine „wichtige Aufgabe“ herantreten müßte.
Das dritte Bedenken: Die Achse ist ein Überbleibsel aus absolutistischer Zeit. Mit
herrischem Machttrieb heischt sie Abhängigkeit und Unterordnung. Darum darf sie im
eingeebnelen Europa nicht mehr ihr Szepter schwingen. Es wird hier offenbar an jene
Achsen gedacht, die oben als Raumachse, übertragende Achse und Gesamtachse bezeichnet
wurden. Ich habe in meiner Wohnstube nur regelmäßige Möbel stehen, kann aber nicht
feststellen, daß ein jedes, weil es kein „Weltmittelpünktchen“ sein kann, nun „ver
schlossen und mürrisch seine Achsen gegen den Nachbarn sträubt“. Ein alter Glasschrank
steht sogar in der Mitte einer Wandfläche, ohne daß ich die Hilfslinien seiner Entwurfs
zeichnung dräuend aufblitzen sähe. So kann ich auch in einer Straße nicht entdecken, daß
symmetrische Häuser ihre Achsen sträuben „wie Igelstacheln, verärgert, daß ihre Macht
schon am nächsten Gartenzaun zu Ende ist“. Die Forderungen des Bauprogramms und
die Bedingungen der Baustelle sorgen schon häufig genug für ein Abweichen von der
strengen Regelmäßigkeit der Gesamtanlage, wie es die Entwürfe für die neuen Rat
häuser in Bochum und Düsseldorf gezeigt haben. Aber darüber hinaus eine künstlerische
Unordnung künstlich Hervorrufen zu wollen, kann nicht als „beziehungsreich und zukünftig“
(Worte der Baugilde), sondern nur als bedenklich bezeichnet werden. —- Daß die über
tragende Achse sich städtebaulich nur bei hervorragenden Gebäuden auszuwirken sucht, ist
selbstverständlich.
Ein vierter Einwand besagt, man dürfe nicht „von außen nach innen“, sondern nur
umgekehrt bauen. Dabei wird nicht erkannt, daß die eigentliche Baukunst erst dort be
ginnt, wo ein ernsthaftes Bemühen die innere und äußere Organisation eines Hauses zu
einem klaren Ganzen zu vereinigen sucht.
Der fünfte Vorwurf endlich ist allen Achsgegnern gemein. Man nennt die nach der
klarsten und einfachsten Erscheinungsform strebenden Architekten kurzweg „Klassizisten“.
Ostendorf hat zwar nachdrücklich darauf hingewiesen, daß die Achse mit den übrigen
Gestaltungsmitteln der Baukunst, besonders mit der Formsprache nicht das geringste zu
tun hat. Vergebens, Niemand liest ihn mehr. Statt dessen hagelt es von ähnlichen Schlag
wörtern wie: akademisch, formalistisch, dogmatisch, allzu billig erkauft, verführerisch ein
faches Rezept, des eigenen Nachdenkens enthoben, bornierte Monomanie, billiges Pathos,
phantasielos, erstarrt, vertrocknet usf. Ich hoffe, daß nach allem, was hier von der Achse
Abb. 18 / Johanneskirche zu Stralsund rr.it „Paradies“
gesagt wurde, sich ein weitei es Eingehen
hierauf erübrigt. Die rheinisch-westfä
lische Architektenschaft, welche im heu
tigen Deutschland wohl die Führung
inne hat, arbeitet überwiegend auf Achse.
Abb. 19 / St. Etienne zu Caen
Abb. 20 / Zadelstaat mit Dom zu Utrecht
Abb. 21 / Cnthedrale zu Angers