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Potsdam. Blick nach Norden, Paradeplatz mit Sladtschloß im mittleren Vordergrund
POTSDAMER VOGELSCHAU
Einen Beweis für die Notwendigkeit weiterer Verbreitung städte
baulicher Einsicht, wie sie auch die Zeitschrift „Städtebau“ anstrebt,
bietet die Betrachtung des Planes von Potsdam. Das Fehlen eines
großen, einheitlichen und städtebaulich klaren Leitgedankens und
eines gebildeten Publikums, das fähig gewesen wäre, einen solchen
großen Baugedanken zu würdigen, anteilnehmend weiterzuentwickeln
oder — da er fehlte — zu fordern, ist in Potsdam fast noch ent
täuschender als in Berlin. In Potsdam läßt sich ja nicht, wie in
Beilin, die Zerfahrenheit der früheren und die Häßlichkeit der
neueren Leistungen durch den Hinweis auf ererbte Schwächen und
übermenschlich schnelles Wachstum der Stadt entschuldigen.
Unter den zahlreichen Manuskripten und Bild Vorlagen, diesich wäh
rend des vorübergehenden Nichterscheinens der Zeitschrift „Städte
bau“ angehäuft haben, finden sich auch diehier mitgeteilten Potsdamer
Aufnahmen, die von dem rühmlich bekannten Regierungsbaumeister
Dr. Ewald (vgl. Jahrgang 19, „Der Städtebau“) erworben und von
denen vor dem Wiedererscheinen der Zeitschrift bereits Druck
stöcke gemacht worden waren. Dazu lag von anderer Seite ein
ausführlicher Text vor, den hier abzudrucken kaum mehr zweck
dienlich erscheinen kann, obgleich er sehr wirkungsvoll im folgenden
Satze gipfelt: „So klingt durch die Stadtanlage von Potsdam
neben dem baukünstlerischen Gestalten der Gedanke durch von
der landesväterlichen Fürsorge, von der Pflichterfüllung, der Unter-
fFortseliung auf S. 78;
Ordnung des Einzelnen unter das Ganze, der Zusammenfassung
aller Kräfte zur dienenden Arbeit für Volk und Vaterland.“
Wichtiger als derartige Betrachtungen, die weder heute neu
noch in der Vergangenheit fruchtbar gewesen sind, wäre vielleicht
der Versuch, sich darüber klar zu werden, warum doch in Potsdam
stadtbaukünstlerisch wesentlich weniger geleistet worden ist, als
z. B. in Versailles, Karlsruhe oder dem mecklenburgischen Ludwigs
lust. Waren doch zur Zeit der Entwicklung Potsdams schon im
Auslande nachahmenswürdige Vorbilder geschaffen, und waren doch
die wirtschaftlichen Mittel, die in Potsdam der Nachahmung fremder
Vorbilder gewidmet wurden, und die verfügbaren innerpolitischen
Machtmittel besonders groß. Wenn Deutschland auf einem Gebiete
geistiger Bewegung, besonders in der bildenden Kunst, hinter süd
lichen und westlichen Nachbarn einherhinkt, ist mancher bescheiden
genug, dies nicht erstaunlicher zu finden als die Tatsache, daß
heute, wohl meist mit Recht, die baulichen Leistungen früherer
Jahrhunderte der Bewunderung für würdiger gelten als unsere
eigenen. Erstaunlicher ist vielleicht, wie gern man geneigt ist,
die jeweiligen Herren von Potsdam, bald zu viel, bald zu wenig, für
die erfreulichen Leistungen früherer und die schlechten Leistungen
neuerer Zeit verantwortlich zu machen, statt sich bei der Suche
nach dem Verantwortlichen an das tiefsinnige Wort zu erinnern,
mit dem Friedrichs des Großen Testament sein Volk charakteri-
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vg[. besonders auch die Abbildungen auf S. 74 und 75j