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AUS DEM ULMER FEDERKRIEG UM DEN MÜNSTERPLATZ
AUSZÜGE AUS DEN AUFSÄTZEN:
MÜNSTERPLATZFRAGE
VON DEM ULMER ARCHITEKTEN A. UNSELD
(ULMER TAGEBLATT VOM 14. UND 22. JANUAR 1924)
„Im allgemeinen erscheint es geradezu unerklärlich, daß das
Ergebnis dieses Riesenwettbewerbs wenig mehr darstellt, als eine
meist nicht einmal verbesserte Abwandlung des Ergebnisses
von 1906.“
„Die Entwicklung der Fischerschule hatkeine Fortschrittegemacht,
das allein kann man in der Ausstellung der Wettbewerbsentwürfe
sehen. Unglaublich ist, was dem verehrten Publikum von Stadt
und Land in Form von ersten Preisen an Kunstwerten empfohlen
wird. Ehrfurchtgebietend ist allein die eiserne Stirn, die alles
hinauswirft, was nicht nach Frauen- und Männerklosterbauweise
aussieht. Wie Exempel statuiert wurde, wie fiirden.der feiner hinein
sieht als das Auge eines harmlos mittuenden Laienpreisrichters,
die Mainlinie als Banngrenze gilt. Wie alles schwarz behängen ist,
was vom Norden kam, auch das Feinste, seelisch Gehaltvollste,
Ideengebendste, Inhaltvollste. Aber unser Vaterland heißt Deutsch
land, und in München-Stuttgart stagniert die Kunst leider etwas.
Dort oben im Norden regt sich viel mehr. Auch hier gibt es Leute,
die den wirklichen Fortschritt sehnlichst herbeiwünschen. Darum
Geduld! Man denke,Theodor Fischer, unter seinem Namen erfasse
ich auch die Einheit des Preisgerichts 1906, bot uns damals Ent
würfe, die ebenfalls ausschließlich seinen Anschauungen über
Baukunst gerecht wurden. Seine Hand hat die Architektur des
Klemmschen Hauses geleitet. Er ist es gewesen, der uns den
schönsten Blick ins Münster beinahe verbaut hätte. Er ist es jetzt
wiederum, der von neuem den Fortschritt in Gestalt seiner aus-
schießlich ureigensten Kunstanschauungen, die gegenwärtig Gegen
stand lebhaftester Kritik sind, bieten will. Ich und mit mir viele,
wir glauben nicht mehr daran.“
BEMERKUNG DER SCHRIFTLEITUNG
Angesichts der zahlreichen Anklagen gegen „die Fischerschule“,
die uns zur Veröffentlichung übersandt wurden, möchten wir auf
den unten abgebildeten wertvollen Entwurf Hinweisen, dessen Ver
fasser einem der Preisrichter nahesteht, ohne deshalb einen Preis
bekommen zu haben, woraus zur Genüge hervorgeht, daß „die
Fischerschule“ doch nicht eine Art Versicherungsanstalt auf Gegen
seitigkeit ist, wie zwar nicht Herr Unseld, aber andere Kritiker
wahr haben wollen.
AUSZUG AUS DEM AUFSATZ:
DER WETTBEWERB ULMER MÜNSTERPLATZ
UND DIE FISCHERSCHULE
VON PAUL BONATZ (ULMER TAGEBLATT. 28. JANUAR 1925)
Herr Professor Paul Bonat* war Mitglied des Preisgerichts
„Die Ulmer Wettbewerbsarbeiten kann man in zwei Kategorien
teilen. In völliger Verkennung der schuldigen Rücksichten auf das
Münster ergehen sich die einen in Gewaltsamkeiten, suchen auf
fallende Motive, setzen stark bewegte Umrisse gegen das Münster,
Zickzackzinnen, Hochbauten und Türme, oder sie suchen aus dem
Platz ein symmetrisches Regelgebilde mit Achsenbeziebungen zu
machen, sie legen vor das Münster ovale Kolonnadenplätze in der
Art des Pctersplatzes in Rom. Das ist Formalismus.
„Die Gotik hat die Achse in diesem Sinne nirgends angewandt,
weil der Blick aus jeder Schrägrichtung auf ein gotischer Bauwerk
dem Achsenblick vorzuziehen ist.
„Die zweite Kategorie sind die Arbeiten, die sich einordnen, an
richtiger Stelle unterordnen, die aus der Not der unregelmäßigen
Voraussetzungen eine Tugend machen und die Baumasse suchen,
welche die auseinanderstrebenden Einzelteile zu einem harmonischen
Raum zusammenbindet.
„Das ist Fischerschule! Theodor Fischer hat bei seiner
Schulung im Gegensatz etwa zu Ostendorf, der alles in feste Regeln
bindet, immer die vorgefaßte Meinung bekämpft. Der Ostendorf
oder Neckclmannschüler muß bei einer Aufgabe wie dem Münster
platz scheitern, weil ihn seine Theorien nur irreführen. Derjenige
ist hier im Vorteil, der weniger zur festen Form als zum Takt
erzogen ist und sich genügende Unbefangenheit und Freiheit von
Vorurteilen bewahrt hat. Nur der oberflächliche Beurteiler hält
die Fischerschule für mittelalterlich. . . .
„Das Verdienst Theodor Fischers um die deutsche Baukunst ist
knapp und treffend in der Urkunde niedergelegt, die der Senat der
Technischen Hochschule Stuttgart ihm bei seiner Ernennung zum
Ehrendoktor übergab. Die Urkunde nennt ihn „den großen deut
schen Baumeister, der die Baukunst vom Formalismus befreit und
sie in Wort und Beispiel zurückgeführt hat zu Innerlichkeit und
Wahrheit.“
„Wenn der Wettbewerb auch nicht den einzigen, besten und
ausführungsreifen Entwurf gebracht hat, so wurde doch nach
Meinung der Preisrichter die Baufrage so geklärt, daß nun mit
ziemlicher Sicherheit die wünschenswerte Baumasse in Grundform,
Höhe und Dachbildung umschrieben werden kann. Durch Stangen
und Gerüste wird man den Umrissen an Ort und Stelle nachprüfen.“
ABB. 113-15 / KENNWORT: MONSTERGASSE. ARCH.: KARL BONATZ. Vgl. Erläuterung S.53, oben