40
Abb. 54 und 55
Athen / Ansicht
und Grundriß der
Akropolis.Die un
regelmäßige An
ordnung war be
dingt durch alte
Lokalkulte, also
nicht durch künst-
IcrischeAbsichten.
Das gewaltige
Standbild der
Athene sollte als
Gegengewicht ge
gen das Parthenon
die Asymmetrie
etwas ausglcichcn.
Nach Choisy.
Abb. 56 und 57
Ercchtheion und
Propyläen waren
ursprünglich re
gelmäßig geplant,
wie die beiden von
Doerpfeld und El-
derkin rekonstru
ierten Grundrisse
beweisen.DerAuf-
gang zu den Pro
pyläen imZickzack
(ungebrochene Li
nie) stellt den von
Elderkin rekon
struierten Weg
dar, für dessen Be
nutzer die Ansich
ten des Gebäudes
im Gleichgewicht
erscheinen.
r~]
TE KM «WIIA
Hit * * .fll
Abb. 58 / HeliopoHs. Dieser Jupitertempel mit seinen Vorhöfen ist ganz im Sinne der Symmetrie
gebaut, die den Baumeistern der Akropolis von Athen wünschenswert erschien. Die Rekonstruk
tion ist von H. Frauberger
Vor vierzehn Jahren wurde von sachkundiger Seite
versucht, die Verantwortung für die heillosen roman
tischen Verirrungen im Städtebau von 1890-1910 dem
berühmten Begründer dieser Zeitschrift, Camillo Sitte,
zuzuschieben. Der Unterzeichnete, Sittes bescheidener
Nachfolger in der Leitung dieser Zeitschrift, rechnet es
sich als besondere Ehre an, daß er damals die Unhalt
barkeit dieser Beschuldigung Sittes nachweisen durfte
(vgl. „Der Städtebau”, Jahrg. 1911, S. 105). Dieser
Nachweis zeigte, daß Sitte, wenn er auch mit manchen
der romantischen Sünder jener dunklen Zeit befreundet
war, dennoch in zahlreichen gedruckten Äußerungen und
veröffentlichten Entwürfen schon für die großen städte
baulichen Gedanken der Ordnung und Achsenbildung
eingetreten ist, die sich heute fast überall wieder
durchgesetzt haben; und daß also nicht Sitte, sondern
höchstens seine mißverstehenden Nachbeter für die ro
mantische Verwilderung verantwortlich sind, die so viele
deutsche Städtebaupläne aus den Jahren 1890-1910 heute
durchaus ungenießbar macht. Nachdem dieser Nachweis
geführt war, blieb es unbestimmt, wer in erster Linie
für das städtebauliche Unwesen von 1890-1910 verant
wortlich sei. Es ist darum lebhaft zu begrüßen, daß hier
der in Ulm ausgebrochene Streit etwas Klarheit schaffen
zu sollen scheint. Bei näherer Betrachtung mancher Er
eignisse, die mit dem Ulmer Münsterplatz Zusammen
hängen, gewinnt man in der Tat den Eindruck, als er
hebe die sogenannte „Fischerschule” geradezu mit Stolz
einen Anspruch auf die berüchtigte Romantik von
1890-1910. Schon bei dem ersten Wettbewerb um den
Ulmer Münsterplatz, im dunkeln Jahre 1906*), stand ein
Entwurf im Vordergrund der Erörterung, der in seinen
Absichten für den Münsterplatz (wenn auch nicht mit
seinen Vorschlägen für die Entwicklung längs der Ver
kehrsstraßen) im weitgehenden Maße den geklärten, also
nicht-romantischen Anschauungen von heute entspricht
(Abb. 5). Dieser Felix Schustersche Entwurf wurde trotz
seiner unromantischen Klarheit vom Preisgericht, an
dessen Spitze der Begründer der sogenannten „Fischer
schule” stand, noch mit dem dritten Preise ausgezeichnet
(1925 hat das Preisgericht geistesverwandte Entwürfe
scharf getadelt), wurde aber mit einem Urteil bedacht,
das im Lichte der gewandelten Anschauungen heute
erheiternd wirkt. Das Preisgericht von 1906 erklärte
nämlich: „Vor dem Hauptportale des Münsters einen
regelmäßigen, vom Wagenverkehr abgeschiedenen Tiefen
platz zu schaffen, ist an sich ein beachtenswerter Ge
danke. Diese Regelmäßigkeit tritt freilich in einen
gewissen Gegensatz zur Unregelmäßigkeit des vorhan
denen Münsterplatzes. Der Gegensatz kann aber durch
Umsäumung des Vorhofes in weniger geometrisch ge
bundenen Linien vermieden werden.” (Vgl, „Der Städte
bau“, Jahrg. 5, S. 38). An die erste Stelle wurde 1906
ein Entwurf gerückt (Abb. 4), der in wesentlicher Hin
sicht dem entspricht, was auch im Wettbewerb von 1925
wieder den ersten Preis erhielt; die erste Preisarbeit
von 1906 wurde unter anderem mit folgenden viel
sagenden Worten ausgezeichnet: „In der Südwestecke
des Münsterplatzes ist eine Baugruppe gedacht, die in
den leicht gekrümmten Linien des Grundplans sich voll-
*) Das Jahr 1906 kann vielleicht als das finsterste in der Geschichte
der romantischen Ausschweifungen im deutschen Städtebau bezeichnet
werden: Sitte war drei Jahre vorher gestorben, Brinkmanns „Platz und
Monument“ erschien erst zwei Jahre später.