DER STÄDTEBAU
s
ZUR FRAGE DER GROSSSTÄDTISCHEN SCHNELL
BAHNEN.
Von Geheimem Baurat Dr.-lng. h. c. EWALD GENZMER, ordentl. Professor an der Technischen Hochschule Dresden.
Hierzu die Tafeln 1—3.
Der Verfasser hat in den Jahren 1917 und 1918 im Aufträge
der sächsischen Staatsregierung einen Vorschlag zu einem
Ortserweiterungsplan für Groß-Dresden aufgestellt, d. h. für
eine Fläche, die außer dem eigentlichen Stadtgebiet auch die
umliegenden mit Dresden wirtschaftlich Zusammenhängen
den Ortschaften zwischen Pirna und Meißen umfaßt.
Der Entwurf behandelt im wesentlichen folgendes:
1. Die Schnellbahnen und Straßenbahnen;
2. die übrigen Verkehrswege (einschließlich der Wasser
wege), die verschiedenen Besiedlungsarten und die
Grünflächen (Wald- und Wiesengürtel mit einer
Aussichtsstraße auf beiden Elbufern, die radialen in
das Stadtinnere hineinführenden Grünstreifen, im Zu
sammenhang mit den Parkanlagen, Friedhöfen, Spiel-
und Sportplätzen, Pachtgärten usw.);
3. die allgemeine Entwässerungsfrage.
Der Teil 2 ist gemeinsam mit Herrn Geheimem Rat
Professor Dr. Cornelius Gurlitt bearbeitet worden.
Wenn nun auch die Zeitläufe es verhindert haben, daß
Beratungen und Beschlußfassungen über diese umfassenden
Planungen bisher noch keine greifbare Gestalt angenommen
haben, so dürfte doch vielleicht eine kurze Besprechung
wenigstens des ersten vom Verfasser bearbeiteten Teiles der
Gesamtaufgabe, die Schnellbahnfrage, schon jetzt an
gebracht sein, da diese in ihrer allgemeinen Anordnung
vielleicht auch für andere Großstädte, die an breiten Flüssen
oder Strömen liegen, von einigem Belang sein könnte.
Es sollen daher im nachstehenden die allgemeinen
Gesichtspunkte, die im ersten Teil der Ausarbeitung vom
Verfasser entwickelt sind, hier erörtert werden, ohne daß
dabei auf die besonderen örtlichen Einzelfragen näher ein
gegangen wird, die sich nach dem zeitigen Stand der ganzen
Angelegenheit für die Behandlung in der Öffentlichkeit noch
nicht eignen.
In der Stadt Dresden besteht ein größeres Bedürfnis
nach Schnellbahnverbindungen als in anderen Städten der
gleichen Einwohnerzahl, und zwar aus zweierlei Gründen;
1. Die Bebauung ist an sich (erfreulicherweise) fast
durchweg eine besonders weiträumige und
2. das bebaute Stadtgebiet hat, im Gegensatz zu der sonst
meist auftretenden kreisförmigen oder quadratischen
Gestalt, eine ungewöhnlich langgestreckte Form.
Die mit dem Stadtinnern schon jetzt in unmittelbarem
baulichen Zusammenhang stehenden Vorstädte oder Vororte
haben eine größte Längenausdehnung, entlang der Elbe,
von rund 20 km und eine größte Querausdehnung, senkrecht
zur Elbe, von rund 9 km. Für die Zukunft wird auf eine
sehr erhebliche Vergrößerung dieser Ausdehnungen zu
rechnen sein. Zwar sind alle dichter bebauten Stadtteile
und Vororte durch ein vortreffliches einheitliches Netz von
Straßenbahnen miteinander verbunden. Der Betrieb dieser
Straßenbahnen wird aber, da ihre Gleise fast ausnahmslos
im Straßeopflaster liegen, durch den Puhrwerksverkehr und
den Personenverkehr so stark behindert, daß die „Reise
geschwindigkeit“ — d, h. die durchschnittliche Geschwindig
keit zwischen den Endstrecken unter Hinzurechnung des
Aufenthaltes für Ein- und Aussteigen — im Stadtgebiet nur
etwa 12 km in der Stunde beträgt. Eine Steigerung der
Reisegeschwindigkeit der jetzt bestehenden Straßenbahnen
über dieses Maß hinaus wird innerhalb des Stadtgebietes
kaum, in den Außengebieten nur in geringem Grade erreicht
werden können.
Für den Stadtreisenden kommt noch die Verzögerung
in Betracht, die durch ein oft mehrmaliges Umsteigen und
Abwarten des Anschlusses entsteht. Das Durchfahren des
ganzen Siedlungsgebietes in der Längsrichtung von 20 km
nimmt also jetzt mindestens l 3 / 4 Stunden, dasjenige in der
Querrichtung von 9 km mindestens 3 / 4 Stunden Zeit in An
spruch.
Es würde nun für das ganze Geschäftsleben von Stadt
und Umgebung einen sehr großen Gewinn bedeuten, wenn
diese Zeiten durch geeignete Schnellbahnverbindungen auf
mindestens etwa die Hälfte herabgesetzt werden könnten.
Für die allgemeine Anordnung eines Schnellbahn
netzes in Dresden ist der Umstand besonders erschwerend,
daß der breite, das gesamte Stadtgebiet in der Längsrichtung
durchziehende Elbstrom selbst dann ein starkes Verkehrs
hindernis darstellt, wenn außer den 5 bestehenden Brücken
auf der etwa 20 km langen Strecke innerhalb des jetzigen
Verkehrsgebietes noch eine ganze Reihe der für später
vorgesehenen weiteren Brücken erbaut werden sollte. Aus
diesem Grunde wird man mit einer einzigen Schnellbahn-
linie in der Längsrichtung nicht auskommen, sondern jeden
falls deren zwei anordnen müssen: auf jedem Ufer der Elbe
eine. Das Schnellbahnnetz wird also die in Abb. 1 (Tafel II)
angegebene allgemeine Anordnung haben müssen, da nach
den Erfahrungen anderer Großstädte eine das ganze städtische
Weichbild umziehende Rundbahn für absehbare Zeit nicht
in Frage kommen kann.
Die vorhandenen Eisenbahnlinien (im Lageplan Tafel I
mit angegeben) können dieser Bedingung im
vollen Umfange nicht gerecht werden, selbst wenn die
Eisenbahnverwaltung sich dazu entschließen sollte, den
elektrischen Betrieb mit kurzfristiger Zugfolge auf ihren
Linien einzuführen; denn für die Verbindung nach IV (siehe
Abb. 1) ist überhaupt keine Eisenbahnlinie vorhanden und
auch schwerlich in Zukunft herstellbar; die Eisenbahnlinie
nach VI aber führt an den sehr ausgedehnten stark be
siedelten östlichen Stadtteilen so weit vorbei, daß sie für
diese als Stadtschnellbahn gar nicht in Betracht kommen
kann. In der Richtung der übrigen Linien-Züge I—II, III
und IV sind allerdings Eisenbahnlinien vorhanden. Diese
durchqueren aber nicht die am dichtesten bevölkerten
Stadtteile und reichen namentlich nicht bis in den innersten
Stadtkern hinein. Das wird auch bei den bestehenden
Eisenbahnen in den meisten anderen Großstädten nicht der
Fall sein. Die Hauptaufgabe der Stadtschnellbahnen liegt