DER STÄDTEBAU
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Abend. Ja, es gibt viele, die eine besondere Lust daran
haben.
Dies alles zusammen nun: die steinernen Truhen mit
den vielen Menschen, die hohen Steinspalten, die hin- und
herziehen wie tausend Flüsse, die Menschen darin, das
Lärmen und Tosen, der schwarze Sand und Rauch über
allem, ohne einen Baum, ohne Himmelsblau, ohne klare
Luft und Wolken — dies alles ist das, was der Papalagi
eine „Stadt“ nennt. Seine Schöpfung, auf die er sehr stolz
ist. Obgleich hier Menschen leben, die nie einen Baum,
nie einen Wald, nie einen freien Himmel, nie den großen
Geist von Angesicht zu Angesicht sahen. Menschen, die
leben wie die Kriechtiere in der Lagune, die unter den
Korallen hausen, obgleich diese noch das klare Meerwasser
umspült und die Sonne doch hindurchdringt mit ihrem
warmen Munde. Ist der Papalagi stolz auf die Steine, die
er zusammentrug? Ich weiß es nicht. Der Papalagi ist
ein Mensch mit besonderen Sinnen. Er tut vieles, das
keinen Sinn hat und ihn krank macht, trotzdem preist er
es und singt sich selber ein schönes Lied darauf.
Die Stadt ist also dies, wovon ich sprach. Es gibt
aber viele Städte, kleine und große. Die größten sind
solche, wo die höchsten Häuptlinge eines Landes wohnen.
Alle Städte liegen verstreut wie unsere Inseln im Meere.
Sie liegen oft nur einen Badeweg, oft aber eine Tagereise
weit auseinander. Alle Steininseln sind miteinander ver
bunden durch gekennzeichnete Pfade.
Zwischen allen Steininseln ist das eigentliche Land,
ist das, was man Europa nennt. Hier ist das Land teil
weise schön und fruchtbar wie bei uns. Es hat Bäume,
Flüsse und Wälder, und hier gibt es auch kleine richtige
Dörfer. Sind die Hütten darin auch aus Stein, so sind sie
doch vielfach mit fruchttragenden Bäumen umgeben, der
Regen kann sie von allen Seiten waschen und der Wind
sie wieder trocknen, ln diesen Dörfern leben andere
Menschen mit anderen Sinnen als in der Stadt. Man nennt
sie die Landmenschen. Sie haben gröbere Hände und
schmutzigere Lendentücher als die Spaltenmenschen, ob
gleich sie viel mehr zu essen haben als diese. Ihr Leben
ist viel gesunder und schöner als das der Spaltenmenschen.
Aber sie selber glauben es nicht und beneiden jene, die sie
Nichtstuer nennen, weil sie nicht auch in die Erde fassen
und Früchte hinein- und herauslegen.
• Wir aber, die wir freie Kinder der Sonne und des
Lichtes sind, wollen dem großen Geiste treu bleiben und
ihm nicht das Herz mit Steinen beschweren. Nur verirrte
kranke Menschen, die Gottes Hand nicht mehr halten,
können zwischen Steinspalten ohne Sonne, Licht und Wind
glücklich leben. Gönnen wir dem Papalagi sein zweifel
haftes Glück, aber zertrümmern wir ihm jeden Versuch,
auch an unseren sonnigen Gestaden, Steintruhen aufzu
richten und die Menschenfreude zu töten mit Stein, Spalten,
Schmutz, Lärm, Rauch und Sand, wie es sein Sinn und
Ziel ist.
DER WIEDERAUFBAU IN DEN ZERSTÖRTEN
GEBIETEN NORDFRANKREICHS.
Von OTTO GRAUTOFF. Hierzu die Tafeln 9—10.
Eine Fahrt durch die zerstörten Gebiete des nördlichen
Frankreichs gehört zu den schmerzlichsten Eindrücken, die
den Fremden in Frankreich erwartet. Man fährt durch ein
Ruinenfeld, durch Dörfer und Städte, die in Schutt und
Asche liegen, aus denen hier und da aufragende Pfeiler
an Kirchen, hohe, melancholische Mauerflächen an Rat
häuser oder sonstige städtische Bauten erinnern. In diesen
Trümmern suchen Menschen nach Andenken an ihre Habe,
oder sie bemühen sich, die Grenzen ihres Besitztums aus
findig zu machen. Aus einzelnen eingestürzten Hausern
wird der Schutt herausgeholt. Zerschossene Häuser werden
wieder instand gesetzt. Terrainverschiebungen werden aus
ausgeglichen, Wege und Landstraßen gangbar gemacht.
Man spürt in den Aufräumungsarbeiten und in dem
Wiederaufbau keineswegs immer ein System, nicht immer
organisierte, zielbewußte Arbeit, die von einer Stelle aus
angeordnet und geleitet wird. Das ließe sich leicht tadeln.
Allein nur ein oberflächlicher Beobachter wird das tun.
Wandert man selbst durch Dörfer und Städte, wird man
sich des ungeheueren Umfangs dieses großen Unglücks be
wußt, wird auch ratlos und wüßte nicht, wo man anfangen
sollte.
Der Staat ist eigentlich dazu da, die Hilflosigkeit der
einzelnen Bürger zu Überwinden, ihnen Stütze und Halt zu
bieten; aber die französische Regierung leidet zurzeit unter
den schwersten Geldnöten. Gleichzeitig werden unermeß
liche Anforderungen an dieselbe Regierung gestellt. Zahl
lose Nationaldenkmäler befinden sich in ernster Lebens
gefahr. Für ihre Rettung und Erhaltung mußte der Staat
allein 36 Millionen flüssig machen, die sich folgendermaßen
verteilen: 3 Millionen für das Departement de l’Aisne, dar
unter 400000 Franken für die Kathedrale in Soissons und
650000 Franken für das Kollegium in Saint-Quentin, 700000
Franken für die Kunstbauten in den Ardennen, 3 Millionen
für den Pas de Calais, davon die Hälfte für Arras, je X '/ 2
Millionen für die Somme und die Oise, je Vj 2 Millionen für
die Marne und Maas, 1 Million für die Meurthe und Mosel,
1 Million für den Norden usw. Dieser Gesamtbetrag, der
nur für die ersten, dringenden Notstandsarbeiten ausreicht,
übersteigt die Gesamtsumme des Budgets der Denkmal
pflege um das Sechsfache.
Ein weiteres Hindernis, die Arbeiten schneller zu fördern,
ist der große Mangel an männlichen Arbeitskräften, der sich
in Frankreich besonders in der Provinz fühlbar macht. Die
vorhandenen Arbeitskräfte sind nicht alle geeignet für Lei
stungen, die beansprucht werden. Hinzu kommt, daß die
großen und wohlhabenden Industriellen vor allem den Wie
deraufbau ihrer Fabriken betreiben. Sind die Fabriken
wieder instand gesetzt, so wird die Industrie wieder auf
genommen. Dadurch aber werden dem allgemeinen Wie
deraufbau von neuem wertvolle Arbeitskräfte entzogen.
Dieser Erwägung wird entgegengehalten, daß die Wieder
aufnahme der Industrie für Frankreich auch eine Lebens
frage sei. So ergibt sich ein circulus vitiosus, aus dem schon