DER STÄDTEBAU
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eine Hausreihe vom Kirchplatz, doch der
alte Zugang zu diesem blieb erhalten. Ge
meinsam mit der Kirche ist er der Mittel
punkt der Stadt, von dem sie sich aus
breitete mit dem Wachstum des Handels.
Die beiden Beispiele zeigen, wie die
Marktplätze der westfälischen Städte in der
Hauptsache aus der Wirkung der Kirchen
entstanden sind, wie sie ihrem Wesen nach
sich selbständig behaupteten und doch eines
das andere beeinflußte als eigenartige städte
bauliche Momente. In ihnen beruht das
Wachstum der Städte und zugleich auch,
als Erbe für uns, nicht nur ihre Schönheit,
sondern auch die Pflicht, sie ihrer Eigenart
entsprechend zu erhalten und auszubauen.
Die natürlichen Grenzen ihrer Wechsel
wirkung zu zerstören heißt beiden ihr
Wesen rauben, das darin beruht, den
Frieden des geweihten Ortes mit dem Ge
triebe des Handels, des Gewerbefleißes, des
frohen Lebens zu vereinen, ohne sie zu
stören.
BAUET RÄUME, KEINE ZELLEN!
Von JAKOB DETLEF PETERS, Architekt, Altona.
Das Siedlungsproblem ist schon zur Genüge von den
verschiedenen Standpunkten betrachtet und bearbeitet worden,
vom wirtschaftlichen, städtebaulichen, bautechnischen,
bodenreformlichen usw., nur von dem einen nicht: vom
seelischen Standpunkte aus.
Steht ein Architekt vor der Lösung einer Wohnungs
aufgabe, so hat er hierzu den Charakter und die Lebens
gewohnheiten des Bewohners zu studieren. Ist er einer, der
hohe idelle und sittliche Gesichtspunkte mit seinem Wirken
verbindet, wird er bestrebt sein, mit der Lösung seiner Auf
gabe die Bewohner zu Höherem emporzuführen. Er wird
versuchen, althergebrachte Lebens- und Wohngewohnheiten
klarer, präziser im neuen Hausorganismus zum Ausdruck
zu bringen. Sich dessen bewußt, kulturell fördernd zu
wirken, hat er zunächst das Problem des Raumes, Wohn-
leibes, zu bewältigen, denn alle andern Dinge sind mehr
oder weniger zivilisatorischer Art.
Wohnräume für seinen Mitmenschen zu schaffen, er
fordert ein starkes Fluidum mit dem Bewohner selbst. Und
wo dieses nicht in persönlicher Beziehung geschehen kann,
weil der Architekt bei Kleinhaussiedlungen einer ganzen
Gruppe gegenübersteht, hat er sich mit dem Innenleben
dieser eingehendst zu beschäftigen.
Wie eng Gefühlsleben und Raum miteinander verbunden
sind, in Wechselwirkung stehen, mag daran ersehen werden,
daß ein Mensch, der in großen Räumen geboren und auf
gewachsen ist, nicht imstande ist, ohne enorme seelische
Depression einen Tag in der Wohnung eines Großstadt-
Arbeiterviertels zu atmen. Das Deprimierende ist nicht
allein das sogenannte Milieu, es ist ebensoviel die räumliche
Beengtheit, die Wände, Steine ringsum, die immer zu er
drücken willens scheinen.
Und in diesen Zellen leben Menschen jahraus, jahrein.
Sie fliehen von den Akkord-Arbeitsstellen, die beengt, weil
jede unnütze größere Bewegung an ihrem Verdienste frißt,
durch Straßenfluchten in Schluchten, die man Wohnterrassen
nennt; gelangen in ihre Behausung, Wohnung — Zellen! —
so eng, daß der Mann mit der einen Hand den Rock an den
Kleiderhaken hängen kann, während er mit der andern seine
Frau am Küchenherd begrüßt.
Brauchen wir uns denn zu wundern, wenn er eines Tages
aufbrüllt, beide Hände gegen die Wand stemmt und die
Zelle sprengt?
Dies ist geschehen.
Wir haben den Zustand schon seit Jahren erkannt, —
bauen Arbeitersiedlungen auf dem freien Lande.
Doch — bemühen wir uns schärfer zu sehen: ist es
denn bisher wirklich besser geworden, haben wir dieser
seelischen Evolution wirklich Rechnung getragen ?
Es scheint doch nicht!
Denn die Bau wissenschaft hat nach zehnjähriger eigener
Erfahrung und solcher aus England, Holland und Amerika
festgestellt: eine Wohnküche braucht nur(?) qm groß zu
sein, ein Wohnraum genügt mit (?) qm. Ist es nicht
genau dasselbe wie früher? Stellen wir nicht die Wände aui
dem flachen Lande wieder ebenso eng um den Menschen,
daß er sich gerade noch bewegen kann, — sind es nicht
wiederum Zellen ?
Denken wir nur einmal an den Wohnraum, der im
Mindestausmaß hergestellt wird und in den Langseiten die
Fenster, gegenüber eventuell zwei Türen hat! Dahinein
kommt der Arbeiter mit seinen Möbeln, die in ihren Ab
messungen immer noch die bürgerlichen Grundmaße haben.
Was bleibt denn noch als Bewegungsraum übrig? Was kann