DER STÄDTEBAU
wie zweifelhaft und werden hierbei durch die als „Ab
schluß“ vorgepflanzten Baumreihen noch nachdrücklichst
unterstützt. Die Mehrzahl der Blockbewohner aber müßte
sich einige Meter weit aus den Fenstern hängen, um einen
Blick ins vielgepriesene Grün zu erhaschen. Da der
menschliche Organismus hierauf noch nicht eingerichtet
ist, ist eine solche Anordnung völlig wertlos, solange noch
die Blocks als lange Rechtecke gebaut werden, die eine
Schmalwand nach der Grünanlage zu öffnen. Ehe nicht
die Blockanlage im Grundriß und im Aufbau so
wie in der kubischen Durchbildung sich staffel
förmig zum Grün hin öffnet und so mit ihm unlösbar
verwächst (oder einfach aber kühn diagonal statt
rechteckig gestaltet wird), solange kann von einer
günstigen direkten Beeinflussung der Klein
wohnungen durch Grünanlagen keine Rede sein.
Dann aber wird das Grün kein Streifengrün mehr sein,
sondern Raumgrün, und die städtebaulichen Methoden der
Gegenwart werden auch in diesem Punkte einer grund
legenden Umgestaltung dringend bedürfen.
Kann es noch immer eine Frage sein, wo der Kern des
städtebaulichen Problems der zukünftigen Großstadt zu
suchen ist? Die grundsätzliche Neugestaltung des Klein
wohnungswesens ist eine der ernstesten, wenn nicht das
ernsteste Problem der Volkswirtschaft unserer Zeit wie der
Zukunft. Man verfolge die innerpolitischen Bewegungen,
die ausnahmslos irgendwie mit dieser Materie in Verbindung
stehen. Der heutige Zustand ist eine Quelle der Krankheit,
der Enge, der Not, des Hasses und der Revolte, Kann es
für irgendeinen unter uns eine schönere und größere Auf
gabe geben, als mitzuarbeiten an diesen Dingen, die für
die Zukunft der Nation von denkbar größter Bedeutung
sind? Es ist Unsinn, die Großstädte zurückbilden, aus
löschen oder flachwalzen zu wollen. Sie sind zwangs
läufige Bildungen des Wirtschaftssystems unserer Zeit, ge
boren aus der rapiden Entwicklung von Industrie und
Handel bei gleichzeitigem Rückgang der Landwirtschaft
und sind fest im Grundgefüge der Vergangenheit verankert.
Die Großstädte werden im Gegenteil eine weitere
Zunahme und Ausdehnung erfahren und damitnoch
entscheidender wie heute zu Brennpunkten der
innerpolitischen und außenpolitischen Entwicklung
werden. Die Großstadt bekämpfen, heißt diese
starke Konzentration kulturbiidender Faktoren
hinwegleugnen, die sie nun einmal ohne jeden
Zweifel repräsentiert. Aufgabe ist allein, den
Zusammenhang der Großstadtbildung mit den
nationalen und weltwirtschaftlichen Notwendig
keiten zu erkennen und die Organisation der
Großstadt danach aufzubauen.
Auch von diesem Pole aus hat das Kölner Problem
von keiner Seite aus Durchbildung erfahren. Köln ist ein
noch immer im starken Wachsen begriffener Groß
organismus, und dessen Durchbildung und Formgestaltung
ist nicht nur für Köln, für das Rheinland als Grenzland
zweier noch feindlicher Völker, sondern für die handels
politische und staatenbauliche Entwicklung Europas von sehr
wesentlicher Bedeutung.
Der Vertrag von Versailles ordnet im Artikel 180 die
Schleifung der Kölner Festungswerke an, wodurch die
Voraussetzungen zur räumlichen Ausdehnung der Stadt
gegeben sind. ; Gleichfalls durch Bestimmung des Ver
sailler Friedens werden die Seehafen-Ausnahmetarife für
Bremen und Hamburg beseitigt und im gleichen Augen
blicke der Rhein internationalisiert. Es ist hier nicht der
Ort, um die auf dieser völlig neuen Basis notwendig ein
setzende Entwicklung Kölns eingehender zu behandeln.
Von Bedeutung ist noch die Tatsache, daß die kanalbau
lichen Bestimmungen des Friedensvertrages Deutschland
die Fortführung des geplanten Schelte-Rhein-Kanals auf
erlegen, wobei das südliche Kanalprojekt mit Köln als
Mündungsort die meisten Aussichten zu haben scheint.
Hierzu tritt Kölns Bedeutung als Kohlenumschlagplatz.
Es ist nach alledem mehr wie wahrscheinlich, daß
ein weitblickender Volkswirt über jenes Gelände an
einer der bedeutendsten europäischen Menschen- und Güter
verkehrsstrecken und ihren Haltepunkten ganz anders dis
poniert hätte, wie es vom Standpunkt des Stadtbau
fachmannes aus geschehen ist. Dann aber hätte die
Gesamtplanung des Umlegungsgebietes von Köln von viel
weitsichtigeren und unendlich großzügigeren Grundlagen
ausgehend wie heute zu einem ersten und entscheidenden
Schritte auf dem Gebiete einer neuen Stadtbaukunst der
Zukunft führen können, und diese soviel diskutierte und so
wenig vollverstandene Materie hätte von über ihr liegenden
Gesichtspunkten aus die denkbar stärksten und fruchtbarsten
Anregungen erfahren können. Noch ist es nicht zu spät,
und es ist wohl der Hauptwert der Arbeit von Professor
Bonatz, daß das Problem Groß-Köln noch einmal grund
sätzlich aufgerollt wird und daß es dann vielleicht weit
weniger in den jeweiligen Lösungen als schon bereits in
der Aufgabenstellung ganz anders angesehen wird, wie
heute. Dann, aber nur dann auch, könnte Köln so ein
Großstadtkörper unserer Zeit ebenso wie der Zukunft
werden, der, an einem entscheidenden Brennpunkt des
Weltgeschehens liegend, seiner kaum hoch genug zu
schätzenden Aufgabe auch gewachsen wäre. (Siehe auch:
Alfons Paquet: „Der Rhein als Schicksal“. Kurt Wolff
Verlag, München 1920.)
Die Bausteine aber, aus denen ein solcher
Riesenorganismus zu errichten ist, wenn er ge
sund, lebensfähig und arbeitsfreudig sein soll,
sind die Wohnzellen, die Volkswohnungen. Heute
sind diese Zellen krank. Wollen wir an einer
solchen Aufgabe verzweifeln, deren Lösung das
Fundament einer besseren Zukunft bedeutet?
Wollen wir aus Verzweiflung, aus Mangel an
Interesse und Energie, ausRespekt vor traditionell
Schlechtem, aus Rücksichten auf eine eventuelle
Umwertung der Grundrente und des Bodenkredites
uns einreden, es wäre nun einmal unmöglich, an
diesen Dingen etwas zu ändern? Wollen wir auch
hier warten, bis uns endgültiger Zusammenbruch
rücksichtslos zum Neugestalten zwingt? Ob wir
nun wollen oder nicht?
Vielleicht ist es nicht ohne Wert, einmal mit Schärfe
diese Fragestellung festzulegen in der Hoffnung, daß sich
ernsthafte und zuversichtliche Köpfe finden, die sich in
leidenschaftlicher und hingebender Arbeit um ihre Be
antwortung bemühen. Denn eine Antwort ist möglich,
H. de Fries.