DER STÄDTEBAU
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Karten besteht darin, daß sie nur bestimmte Linien des
Geländes aüfnehmen und zwar in der Regel nur die von
Menschenhand geschaffenen. Das gilt auch von den Höhen
schichtlinien, die ja nur Verbindungslinien der Punkte gleicher
Meereshöhe sind, also auch erst von Menschenhand nach
Höhenmessungen hergestellt werden müssen.
Infolge dieses Mangels gaben die bisherigen Pläne und
Karten nur das Skelett des Geländes wieder und suchten
das fehlende Fleisch und Leben durch Flächen- und Höhen
signaturen zu ersetzen. Wo auch diese und sonstige über
lieferte Zeichen für immer wiederkehrende Gegenstände
und Linien versagten, mußten Zahl, Schrift und Farbe ber-
halten, das Kartenbild möglichst vollständig und naturähn
lich zu gestalten.
Dabei hat die Kartographie die verschiedensten Wand
lungen durchgemacht, die zum Teil als bureaukratische Irr
wege bezeichnet werden können: wie z. B. der Katasterplan
und die militärtopographische Spezialkarte, und erst in
neuester Zeit ist man, namentlich in der Schweiz (die so
genannte Reliefkarte 1:50000) und in Frankreich (die neue
topographische Karte 1:50000), dazu übergegangen, die karto
graphische Darstellung der Erdoberfläche einer wirklich
künstlerischen Behandlung unter Anstrebung möglichster
Porträtähnlichkeit würdig zu erachten.
So vollendet nun auch die genannte Reliefkarte der
Schweiz vom Standpunkte der bisherigen Kartographie aus
angesehen werden darf, von dem oben besprochenen Erb
fehler der Pläne und Karten kann auch sie nicht freigesprochen
werden, und mit den eigentlichen Plänen, deren Maßstab
nicht unter 1:10000 hinunterreicht, verhält es sich allgemein
noch genau so wie bisher: sie sind heute noch ohne Fleisch
und Leben und versagen in dieser Hinsicht dem mit der
Erschließung der Landschaft beauftragten Fachmanne so
gut wie alles.
Wer das Beste aus dem Landschaftsbilde herausholen
und schöpferisch ausgestalten will, ist angesichts der bis
herigen Plan- und Kartenunterlagen in der Hauptsache auf
örtliche Studien und örtliches Ausprobieren angewiesen,
sonst fehlt seinen Schöpfungen Wahrheit und Leben.
Die Aufgabe des Landschaftsbildners, wie der plan
mäßige Erschließer der Landschaft allgemein heißen möge,
besteht im wesentlichen darin, das Charakteristische eines
Geländeabschnittes richtig zu erfassen und entweder künst
lerisch hervorhebend zu besonders reizvoller Geltung zu
bringen oder technisch so um- und auszugestalten, daß es
wirtschaftlich und ästhetisch gleich vorteilhaft ausgewertet
werden kann.
Charakteristisch ist im Gelände alles, was es augen
fällig von seiner Umgebung unterscheidet und ihm besondere
Kennzeichen verleiht. So kann die horizontale Gliederung
(die sogenannte „Situation“) einschließlich der Gewässer
(des „Gefließes“), der vertikale Aufbau (das eigentliche „Ge
lände“ oder die „Höhenformation“), die Bodenbeschaffenheit
(die „Geologie“), die Bodenbewachsung (die „Kultur“) usw.
jedes für sich eigenartig und von der Umgebung verschieden
sein. Den Charakter erhät aber der betreffende Gelände-
abschnitt erst durch das Zusammenwirken aller dieser
Eigenartigkeiten, und ihn künstlerisch, technisch und wirt
schaftlich zu ausschlaggebender Geltung bringen, heißt erst
das Gelände richtig erschließen.
Es bedarf bei Benutzung der bisher üblichen Planunter
lagen eines eingehenden Geländestudiums an Ort und Stelle
und vielfachen örtlichen „Begehens“, um künstlerisch hinter
die Schönheiten und wirtschafts-technisch hinter die ver
borgenen Werte der Natur zu kommen.
Wer sich früher daran gewöhnt hatte, zuerst Vorstudien
an der Hand großmaßstäblicher topographischer Karten,
wie insbesondere der bekannten Meßtischblätter 1:25000,
zu machen, und die genügende Fertigkeit besaß, sie zweck
entsprechend zu lesen, fand darin eine große Erleichterung
bei seinen Vorarbeiten.
Aber auch das blieb deshalb immer noch ein schwer
fälliger Notbehelf, weil dieses Lesenkönnen der Karte das
unausgesetzte Übersetzen aus der stummen Sprache der
konventionellen Kartographie in die Natur (die „Örtlichkeit“)
und umgekehrt zur unerläßlichen Begleiterscheinung hatte
und darum auf die Dauer ermüdend und wenig erfreulich
wirken mußte, es sei denn, daß die Benutzer der Karte
berufsmäßige Karto- oder Topographen waren.
Wie ganz anders gestaltet sich dagegen die Benutzung
des Luftbildes bei dem Studium des zu erschließenden
Landschaftsteiles!
Auch die beste Signaturgebung ist nicht imstande, den
Charakter einer Landschaft kartographisch überzeugend
wiederzugeben. Bei ihrer Deutung bleibt der Phantasie
und der künstlerischen Begabung des Kartenlesers ein zu
großer Spielraum, sich das Dargestellte vorzustellen, um
immer gleich das Richtige zu treffen. Das Luftbild dagegen
bringt die Natur genau so, wie sie im Augenblicke der
Aufnahme sich darbot, und gestattet keine andere Deutung des
Bildes, als eben nur die der Wirklichkeit entsprechende.
Daß aber auch zum Lesen des Luftbildplans eine ge
wisse Übung gehört, darf nicht unbetont bleiben; nur, daß
das Übersetzen aus der Kartensignatur in die Natur und
umgekehrt im allgemeinen unnötig wird. So sieht z. B.
Laubwald im Luftbildplan anders aus als Nadelwald,
ohne daß man ohne genügende Erfahrung oder ohne eine
Luftbildansicht daneben zu haben, ohne weiteres sogleich
zu sagen vermag: „Dies ist Laub- und das ist Nadelwald“.
Auch kann z. B. bei größeren Gewässern nicht ohne
Übung sofort angegeben werden: „Dieser üferstreifen hat
Röhricht und jener einen rohrfreien Grasstand“ oder bei
Untiefen; „Hier ist eine Sand- und dort eine Schlickbank“
und dergleichen mehr.
Doch von solchen Feinheiten abgesehen, legt sich die
Landschaft im Luftbild dem Beschauer in wunderbarer
Klarheit und Ausführlichkeit dar, etwa so, wie sich die
Talwelt vor dem Hochgebirgswanderer gleich einer unge
heueren Relifkarte hinhreitet und doch überall, wohin er
blickt, Leben atmet und Ihn zu immer neuem Schauen und
zu immer größerer Vertiefung in ihre verborgensten Reize
einladet. Und am meisten trifft dies zu, wo sich Luftbild
plan und Luftbildansicht gegenseitig ergänzen.
•
Um zunächst das Zusammenwirken von Luftbildplan
und Luftbildansicht in ihrer Bedeutung für die Erkenntnis
des Charakters einer Landschaft und deren Feinheiten
richtig verstehen zu lernen, sehen wir uns die Tafel 30 und
die Ansichten 17 bis 21 genau an. Sie stellen ein Gelände
dar, das wegen seiner landschaftlichen Schönheit und Eigen
art allgemein bekannt und beliebt ist: Die Havellandschaft