DER STÄDTEBAU
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liehe, das, worauf der ganze Wert der Gioconda z. B. be
ruht. Sollte zwischen Notwendigkeit dem Geiste nach und
empirischer Zufälligkeit ein geheimer Zusammenhang be
stehen? So daß es einer Notwendigkeit entspricht vor Gott,
wenn zufällig auf Erden ein Genie ersteht, zu bestimmter
Zeit in die Geschichte eingreift, von ungefähr eine bestimmte
Linie zieht? — Ich weiß nichts Bestimmtes, so vieles ich
ahne. Aber durch die unmittelbare Manifestation eines
selbständigen Sinnes allein scheinen mir die Wunder der
Renaissance- und der Mogulenkunst erklärbar.
Taj Mahal.
Wie ein Schloß, erbaut aus dem Schimmer des Mondes,
herabgesunken in einer lichtdurchfluteten, elfendurchtanzten
indischen Nacht, wie eine Vision, wie ein Bild aus einem
traumhaft zarten Märchenlande, unwirklich und verirrt, mit
nichts in der Welt an machtvoller Schönheitsoffenbarung
zu vergleichen, erhebt sich im Innern Indiens das Herz der
Welt, der Taj-Mahal.
Er ist die Krone der Kunstschöpfungen aller Zeiten, und
seine Wirkung ist so stark, daß alles, was man je an
künstlerischen Eindrücken empfing, restlos aus der Erinne
rung herausgleitet, um im Meere der Vergessenheit zu
versinken.
Wenn ich an ihn denke, glaube ich, daß wir die er
habenste Offenbarung des Genius Goethes verloren haben:
Die indische Reise, die er nicht schrieb, den Taj-Mahal,
von dem er nicht spricht, das Werk, das er in mondschein
umflossenen einsamen Märchennächten zu seinen Füßen
sitzend empfangen hätte.
So ist der Taj allen denen verloren, die ihn nicht selbst
aufsuchen können, denn jeder noch, der zu ihm kam und
Briefe sandte oder Bücher schrieb, gestand, daß seine Feder
vor dem Taj versagte.
Europa kennt ihn nicht. Der Leser liest den leeren
Namen und ahnt nicht, was an ihm vorüberschwebt. Er
weiß nicht, daß die Pyramiden, daß die ungeheuren Tempel
an den heiligen Wassern des Nils, daß die gigantischen
Baalsäulen am Libanon, daß Ephesus, daß alle sieben Welt
wunder zusammenschrumpfen und versinken, daß selbst
die heilige Schönheit des 'alten Hellas ehrfürchtig in den
Schatten tritt, wenn der Taj-Mahal aus der Tiefe der Ge
dankenwelt des weltdurchpilgernden Schönheitssuchers auf
taucht. Nichts bleibt ihm von dem Schimmer der Akro
polis, nichts von der Wirkung des St. Peter, nichts von der
Agia Sophia, nichts von allen sonnengeborenen Wundern
des Orients, wenn der Taj neben sie tritt.
Sie alle verbleichen — wie die Sterne und Sternchen ver
bleichen, wenn die Majestät des Vollmondes über dem Hori
zonte erscheint . . .
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Damals, als arm und reich noch gleichbedeutend war
mit gemein und edel, und der Sprung von dem einen in
das andere um so viel länger dauerte als etwa eine Reise
um die Welt, geschah es, daß ein armer Perser, Myrza
Ghyjas, an der ostindischen Küste landete, um auf einent
reichgesegneten Boden sein Glück zu versuchen. Er
stammte aus Schiras und hatte nichts als einen starken
klaren Kopf und eine kleine Tochter, Arjmand Banu, die
an Schönheit den Rosen glich, unter denen ihre Mutter sie
geboren hatte.
Schon damals war die Kluft zwischen den Vornehmen
und Geringen, den Reichen und Armen im Orient größer
und unüberwindlicher als irgendwo unter einer milderen
Sonne. Und wenn man außer Betracht läßt, daß diese
Sonne selbst den im Staube Geborenen der gegen Morgen
gelegenen Länder eine viel größere Beweglichkeit der
Intelligenz mitgibt als den schwerblütigen, gern der idealen
Tiefe zugewandten Völkern des Nordens, muß man den
armen Perser, von dem hier die Rede ist, für ein souve
ränes Genie halten, w6nn man erfährt, daß er als Landes
fremder und arm Geborener nach fünfzehn Jahren der
mächtigste Mann im mächtigsten Reiche des ganzen Welt
ostens war.
Sein Kaiser, der Großmogul Schah Jehan-Shahabu-din-
Ghazi, heiratete Arjmand Banu und gab der zarten Rose
aus Schiras den Zunamen Mumtaz-i-Mahal, Wunder
höchster Weiblichkeit. Er war mehr Künstler als Kaiser,
genial wie sein erster Diener — die richtigen Männer zu
erkennen und an die richtigen Plätze zu setzen, war schon
damals ein Hauptbefähigungsnachweis für Monarchen —
und lebte nur für seine Frau wie sie für, ihn. Noch heute
ist ihr Verhältnis zueinander sprichwörtlich für den ganzen
Osten, für alle Länder der Vielweiberei. Auf den turm
hohen Mauern des Forts zu Agra, das die weite Ebene
des Jumna beherrscht, entstand ein flacher, dem Laufe der
Mauern angepaßter Marmorpalast, in dessen lichtem Schutze
die heiligen Stunden dieser Liebe nur zu schnell in das
tote Meer der Ewigkeit flössen. Dem Reiter in der Ebene
erscheint der Palast wie das Nest eines Adlerpaares auf
schroffem, himmelstürmendem Fels. Er schwebt in Luft
und Licht, sein leuchtendes Dach ruht auf zierlichen Säulen,
der marmorumschlossenen Gemächer und Höfe sind wenige,
und doch sahen nur die Sonne, der Mond und die Sterne
das heimliche selige Leben des Kaisers und der Kaiserin.
Das in die Marmorqüadern des Fußbodens eingelassene,
mit den kostbarsten Edelsteinen verzierte Marmorbecken,
in dem sich die schneeweißen Glieder der Kaiserin von
den Fluten duftender Essenzen liebkosen ließen, liegt luft
umfächelt inmitten eines offenen, den jähen Absturz der
Mauer überragenden Balkons.
Schah Jehan Shahabu-din-Ghazi, der seinen Schwieger
vater zum Itimadu d’daulah, zum Vizekaiser ernannt und
sich aller Sorgen entledigt hatte, wurde in allen Ländern
der aufgehenden Sonne als der glücklichste der Sterblichen
gepriesen, bis Arjmand Banu Mumtaz-i-Mahal ihn nach
siebenjähriger Ehe im verfrühten Kindbett plötzlich sterbend
verließ. Da brach das vom rosigen Licht durchflutete
Gebäude, in dem seine Gedanken bisher gewohnt hatten,
zusammen und finstere Trübsal umhüllte seinen Geist. Und
als er wieder zu sich kam, beschloß er, über den irdischen
Resten seiner Frau ein Denkmal zu errichten, so schön
und so kostbar, daß es in allen Zeiten unerreicht sein
sollte. Und die Allgewalt seiner im Unirdischen wurzelnden
Sehnsucht setzte das Unmögliche Arch. Er gab der
Schönheit einen Leib, er schuf die Verkörperung der Liebe,
der Liebe aller Männer und aller Frauen aller Zeiten.
Mit den Millionen seines unerschöpflichen Reichtums
kaufte er ganze Länder, in denen er den Marmor, den er
brauchte, wußte, ließ ihn durch die Hunderttausende seiner
Sklaven brechen und durch eigene Karawanen herbeiführen.
Seine Gesandten durchstreiften die ganze Welt und brachten
die kostbarsten Edelsteine r und Goldbarren, die berühmtesten