DER STÄDTEBAU
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höhtem Maße, den Wunsch, ein Häuschen zu besitzen und
einen Garten zu bewirtschaften, und gerade die jetzige Zeit
mit der Ein- und Durchführung verkürzter Arbeitsstunden,
Bestrebungen, die nicht nur bei uns, sondern auch bei
unseren Feinden im Gange sind und auch dort zu heftigen
Reibungen Anlaß geben, läßt den Wunsch nach Haus und
Garten, also nach einem Heim im Vorort, besonders leb
haft werden. Zu seiner Erfüllung gehören aber, wenn nicht
die Wahl der Arbeitsstätte sehr beschränkt sein soll, vor
allem gute Verkehrsverbindungen. Um diese zu schaffen,
sollen neue Ausfallstraßen gebaut werden, soll ferner die
unterirdische Schnellbahn, der „Metro“, über den Ring der
alten Festungswerke hinaus verlängert werden, sollen weiter
auch Kanäle zur Abkürzung der von der Seine gebildeten
Krümmungen angelegt werden. Letztere soll auch mit anderen
Wasserstraßen in Verbindung gebracht werden, so daß auch
zu Wasserneue Verbindungsmöglichkeitengeschaffen werden.
Augenscheinlich will man also dem Verkehr zu Wasser,
der bisher im großstädtischen Verkehrswesen sehr vernach
lässigt worden ist, in Paris endlich die ihm zweifellos ge
bührende Aufmerksamkeit widmen. Um allen hier gestellten
Anforderungen zu genügen, ist es nötig, daß ein Plan, der
das gesamte in Frage kommende Gebiet umfaßt, aufgestellt
wird. Wollte man nur für die einzelnen Vororte Verbesse
rungen in Erwägung ziehen, so würde jede Einheitlichkeit
fehlen und den mannigfaltigen Beziehungen, die die Vororte
zueinander haben, könnte nicht Genüge geleistet werden.
Paris leidet an einem Mangel an Park- und sonstigen
Grünflächen; sie im Innern der Stadt zu schaffen, ist wegen
des hohen Preises für den Grund und Boden wie in anderen
Großstädten auch ausgeschlossen. Aber in der Umgebung
Anden sich noch Gegenden mit hohen landschaftlichen Reizen,
Parkanlagen und Wälder. Um sie zu erschließen und für
die Erholung der Bewohner von Paris nutzbar zu machen,
bedarf es ebenfalls der Schaffung von Verkehrsmöglichkeiten,
Zur Gewinnung weiterer Grünflächen soll auch der äußere
Hing der Festungswerke, der acht bis fünfzehn Kilometer
außerhalb der eigentlichen Stadt liegt, wenn er frei wird,
zu Parkanlagen und Gartenstädten ausgenutzt werden.
Für diesen Teil des Wettbewerbs werden nur allgemein
gehaltene Skizzen und großzügige Pläne eingefordert; es
wird mehr Wert auf neue Gedanken als auf ins einzelne
gehende Ausarbeitung gelegt Fünf Preise im Betrage von
5 bis 30000 Franken sind ausgesetzt; außerdem stehen den
Preisrichtern 10000 Franken, jedenfalls zum Ankauf weiterer
Entwürfe, zur Verfügung.
Der zweite Teil des Wettbewerbs bezieht sich auf die
Verschönerung des jetzigen Paris. Es gibt dort wie in
allen älteren Städten Stadtviertel, die namentlich in hygienischer
Beziehung neuzeitlichen Ansprüchen bei weitem nicht ge
nügen und daher schon längst hätten beseitigt und durch
bessere Anlagen ersetzt werden sollen. Solche Verbesserungen
waren früher infolge der Beschränkungen, die der Festungs
gürtel der Stadt Paris inbezug auf ihre Erweiterung auf
erlegte, unmöglich. Wenn jetzt, wie es das den Ab
bruch der Festungsanlagen anordnende Gesetz verlangt, das
Festungsgelände mit billigen Kleinwohnungen bebaut wird,
durch die also Ersatz für die jetzt vorhandenen Klein
wohnungen in jenen alten Stadtteilen geschaffen wird, wird
es möglich sein, an die Stelle der engen Bebauung jener
Gegenden eine weiträumige zu setzen und dadurch eine
erhebliche Verbesserung herbeizuführen. Dadurch wird
ferner die Möglichkeit geboten, neue Straßendurchbrüche
und Boulevards zu schaffen, wie es in Paris zur napo-
leonischen Zeit schon einmal geschehen ist, und hieraus
werden sich erhebliche Verbesserungen der Verkehrsver
hältnisse ergeben. Im Zusammenhang damit steht die Be
seitigung der Hochwassergefahr für die tiefer gelegenen
Teile von Paris, die bekanntlich durch die Hochwasser der
Seine stark zu leiden haben. Einerseits sollen zu diesem
Zwecke die Flächen am Fluß aufgehöht werden. Um
fassendere Abhilfe soll aber andererseits dadurch herbeige
führt werden, daß ein Umgehungskanal äuf dem linken
Seineufer angelegt wird, der das Hochwasser abtängt und
es in unschädlicher Weise um Paris herumführt. Dies sind
nur die bedeutendsten Anfgaben, die im zweiten Teil des
Wettbewerbs der Lösung harren; ihnen gliedern sich noch
eine Reihe von Aufgaben von untergeordneter Bedeutung
an. In dieser Abteilung betragen die Preise, vier an der
Zahl, 4 bis 7000 Franken, und 6000 Franken stehen über
dies zur Verfügung.
Der dritte Teil des Wettbewerbs behandelt die Bebau
ung des Festungsgeländes und seiner nächsten Umgebung.
Hier ziehen sich um die inneren Befestigungen mit ihren
Gräben und Glacis weite Flächen hin, die, solange die
Festungen als von militärischem Wert angesehen wurden,
unbebaut bleiben mußten. Von dem hier verfügbar werden
den Gelände sollen große Teile verkauft werden, um die
Mittel zur Durchführung der Stadterweiterungs- und Ver-
schonerungspläne zu beschaffen. Unter den hier zu er
richtenden Gebäuden sind Kasernen — das sieht nach Ab
rüstung aus! —, Krankenhäuser, Schulen, Markthallen in
Aussicht genommen; sie sollen die älteren entsprechenden
Anlagen im Inneren der Stadt ersetzen, die neueren hy
gienischen Ansprüchen nicht mehr genügen. Auch Fabriken
sollen hier gebaut werden, doch ist für sie, um Belästigungen
durch Rauch hintanzuhalten, elektrischer Betrieb in Aus
sicht genommen. Zur Gewinnung des hierzu nötigen Stromes
und überhaupt zur Versorgung von Paris mit Licht und Kraft
sind große Anlagen im Oberlauf der Rhone mit Fernleitungen
geplant. Die Arbeiterviertel in der Umgebung der Fabriken
sollen als Gartenstädte mit reichlichen Spielplätzen ausge
bildet werden. Die besondere Erwähnung der Spielplätze in
diesem Zusammenhang läßt erkennen, daß man in Frank
reich endlich die mit dem Fehlen des Nachwuchses und
dem Geburtenrückgang verbundenen Gefahren erkannt hat,
die durch die MenschenVerluste im Kriege noch erhöht
worden sind, und daß man sich infolgedessen genötigt sieht,
etwas für die heranwachsende Jugend zu tun. Diese Grün
flächen sollen eine Ergänzung der schon erwähnten, weiter
draußen gelegenen Parkanlagen in den Außenbezirken der
Innenstadt bilden. Da die jetzigen Festungswerke zum
Teil in hügeligem Gelände liegen, bieten sich hier dem
Städtebauer ganz besonders reizvolle Aufgaben zur Lösung.
Ein Teil des Festungsgeländes im Westen der Stadt soll
zur Anlage einer dauernden Ausstellung Vorbehalten bleiben.
Die Preise sind in dieser Abteilung dieselben wie beim
zweiten Teil des Wettbewerbs.
Im vierten Teil sollen Einzelaufgaben gelöst werden.
Die Wettbewerber können gewisse Teile, z. B. die Be
bauung einer bestimmten Geländefläche, nach eigener Wahl
herausgreifen und dafür Entwürfe aufstellen. Auch schrift
stellerische Arbeiten mit und ohne zeichnerische Dar
stellungen, z. B. über Wohnungsfragen, öffentliche Gesund-