DER STÄDTEBAU
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Wenn ich noch jene bunte Graphik streife, die jetzt
als Baukunst zum Überdruß ausgeklingelt wird und auch
hier darauf hinweise, daß das Mittel der Papierfläche, eine
Formabsicht festzuhalten, zum Endzweck ausgebaut wird,
so habe ich einige der wesentlichsten Gründe festgestellt
für die Tatsache, daß die junge Baukunst trotz aller
papiernen Programmatik Arbeiten von wahrhaft raum
künstlerischer Bedeutung noch nicht geschaffen hat. Betont
sei nur noch, daß die Vermanschung der reinen künstle
rischen Formprobleme der Raumschöpfung mit den an sich
sehr ernsthaften sozialen Entwicklungen unserer Zeit der
Sache selbst nur schaden kann und die Urheber in den
Verdacht einer üblen Konjunktur-Politik bringt.
Es sollen hier einige Arbeiten von jüngeren Architekten
gezeigt werden, die in der Idee ihres Strebens ernst zu
nehmen sind, und die — teils bewußt, teils gefühlsmäßig —
sich ehrlich, oft leidenschaftlich um Baukunst bemühen und
zugleich sämtlich den Vorzug haben, mit ihren künstle
rischen Ideen durch eine sehr konkrete berufliche Basis
verknüpft zu sein. So ist ihre Arbeit als eine Selbststeige
rung über das Schaffen des Alltags hinaus zu würdigen.
Ein Versuch, aus der Menge der Baubeflissenen einige
wenige herauszuheben, kann die Bedeutung eines Wert
urteiles nicht haben. Vielleicht sitzt irgendwo in einer
Ecke Europas das architektonische Genie, auf das wir
warten und das wir noch nicht kennen. Im heutigen Krisen
stadium sind Überraschungen nicht nur zu erwarten, sie
sind wahrscheinlich.
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Das große Verwaltungsgebäude, das Karl Wilhelm
Schulten, Düsseldorf, in Abb. 1 Tafel 10 zeigt, ist charak
teristisch durch rhythmische Problemstellung. Die Verhält
nisse dieses Baues oder vielmehr dieser Front scheinen gut
abgewogen, das Spiel und Widerspiel des vertikalen Auf
lösungsrhythmus und der horizontalen Bindung wirkungsvoll
durchgeführt. Gut auch die beruhigte Fläche des seitlichen
oberen Abschlusses über der Lebhaftigkeit der Fronten.
Was diese Arbeit gegenüber dem Mannesmannröhren-
Gebäude von Peter Behrens in Düsseldorf, an das sie er
innert, auszeichnet, ist das Empfinden für den Wert der
relativen Dissonanz. In diesem Falle würde die nüchterne
Reihung monoton, ja quälend wirken, wenn sie nicht zu
der starken und ruhigen vertikalen Masse in der Mitte des
Baues in einen sehr wirkungsvollen Kontrast gesetzt wäre.
Rhythmus an sich ist ebensowenig ein Evangelium wie
Glas an sich. Die unteren Eckbetonungen erscheinen auf
gelegt, der Kontrast von sachlichem Pfeiler-Rhythmus zum
ornamental betonten Haupteingang gibt Wirkung.
Für das prinzipielle Schaffen Schultens typisch ist Abb. 2
Tafel 10. Er versucht in einer Komposition Körper ver
schiedener Verhältnisse harmonisch abzustimmen und zu
sammenzufügen. Doch leidet dieses Bemühen noch unter
dem Ausdrucksmittel der Zeichnung, die immer zur Ansichts
flächenwirkung verleitet. Arbeit mit plastischem Material
dürfte den zweifellos begabten Architekten weiter führen.
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Ähnliches Bemühen zeigt der Architekt K. P. Andrae,
Dresden. Leider läßt sich der Verfasser zu einer stark
graphischen Behandlung seiner Blätter verführen, die — ihre
Geschicklichkeit ungeachtet — das wesentlich Architekto
nische gefährdet. Ein Symptom der graphischen Gefahr,
auf die wiederholt hingewiesen wurde. Die Manie vieler
begabter junger Architekten, sich graphisch auch in Ra
dierung und Holzschnitt zu betätigen, bedeutet in der Tat
eine ernste Bedrohung der körpersinnlichen Grundelemente
des architektonischen Formausdruckes. Wieder einmal zeigt
sich, wie leicht alle leidenschaftliche Bemühung in eine irrige
Richtung treiben kann, weit ab vom Ziel. Abb. 3 Tafel 11 ist
eine jener Arbeiten von Andrae, die schon einige Zeit zurück-
liegen. Die untere, längere und niedrigere Horizontalmasse
des Baues gibt eine Art Sockel zur hinter ihr erwachsenden
schmäleren und höheren Form, die aber wieder betont
horizontal gebunden ist, was besonders dem Eckumlauf
zugute kommt. Noch stärker, im engeren Horizontal-
Rhythmus, wächst die oberste Masse des gekuppelten Turmes
heraus. Ein Torhallenbau vermittelt Übergänge. Zwei senk
rechte Pilaster überschneiden flankierend und verhelfen den
Horizontalen erst zum Wert, der stets in der Relation be
steht. Das vorgelagerte Wasserbecken gibt ein Gefühl der
horizontalen Ruhe, hebt zugleich durch die unterbewußte
Empfindung der Tiefe den monumentalen Ausdruck der
Gesamtanlage, schafft zuletzt Kontrastreiz zwischen mächtig
geformten festen Massen des Baues und der leichten flächen
haften Flüssigkeit des Wasserspiegels.
In neuerer Zeit widmet sich Andrae, von Architekturen
des Orients angeregt, jenen exzentrischen Versuchen, an
denen die junge Baukunst so reich ist. Abb. 4 Tafel 11 zeigt
einen solchen Entwurf, der wertvoll dadurch ist, daß er von
Tradition frei zu kommen sich bemüht und mit einer nicht
geringen raumsinnlichen Wucht Wirkung ausübt. Hier darf
jene andere Gefahr angedeutet werden, die darin besteht, daß
man nur die mitteleuropäische Bautradition mit der. indischen
oder ägyptischen vertauscht, wobei in Wahrheit nichts ge
wonnen und nur der Rock gewechselt ist. Im ganzen ge
nommen ist der Eindruck einer wertvollen Entwicklung in
einer Reihe von Arbeiten Andraes nachhaltig.
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Abb. 5 und 6 Tafel 12 zeigen Entwürfe des jungen Ham
burger Architekten J. D. Peters. Zahlreiche Arbeiten von ihm
bemühen sich um jene bereits erwähnte enge Beziehung
zwischen Bau und Raum, Masse und Luft, Bauwerk und
Landschaft. Von völlig Ungeformtem her verdichtet sich
die Materie allmählich zur Baumasse, in ihrer Festigkeit
betont durch die eingerammten breiten Kamine. Der Ent
wurf in Abb. 5 ist (wie bei Lloyd Wright, Amerika-China)
wesentlich horizontal gebunden und dadurch in seinem Aus
druck von einer gesicherten Ruhe. Die kontrastierende
Wirkung der lotrechten Säule wird gemildert durch das
umgebende Wasser, das das Lastgefühl aufhebt, und durch
die ruhig sich schließende Kreisform des Bassins. Gut
gefühlt die Raumtiefe, d. h. die ausschlaggebende Bedeutung
der dritten Dimension.
Auf ähnlicher Grundlage, der Entwicklung der Raum
tiefe, diesmal durch Pfeiler-Rhythmus, beruht der Entwurf
in Abb. 6. Hinleitung zur Tiefe ferner durch Behandlung
der Fußbodenfläche, die in diesem Sinne aber doch nicht
stark genug ist. Das Gewicht der umlaufenden Wandfläche
über den Pfeilern aufgehoben durch Malerei. Zusammen
bindung des Raumes durch die Art der Deckenbehandlung.
Im ganzen trotz graphischer Gefahren Arbeiten voll starker
Empfmdungswerte im räumlichen Sinne.