DER STÄDTEBAU
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Symmetrie erreichen, so hätte man für die (ungefähr) gleich
mäßige Gestaltung der gegenüberliegenden Häuserfronten,
je in den einzelnen Straßenabschnitten, sorgen müssen.
Hiermit sind wir nun schon zu dem zweiten Einzel-
fehler gekommen, nämlich zu der Vernachlässigung der
künstlerischen Gesichtspunkte in der Durchbildung der
Straßenwandungen.
Wenn man mit so hohen Kosten eine so großzügige
Straßenanlage schafft, muß man darauf bedacht sein, die
Straßenwand nach einheitlichen künstlerischen Gedanken
durchzubilden. Dabei hätte man zunächst die Häuserhöhe
gegen die Straßenbreite abstimmen müssen; man wäre dabei
aber zu Höhen, Stockwerkzahlen, gelangt, die aus manchen
anderen Rücksichten zu groß geworden wären. Ferner
hätte man für bestimmte Straßenabschnitte eine einheitliche
Durchbildung der Häuserfronten vorschreiben müssen, um
so mehr, als der Straßenzug sich aus einzelnen langen ge
raden Abschnitten zusammensetzt.
Von solchen Gedanken ist aber nichts zu spüren; es
herrscht vielmehr an dem Boulevard entlang große Bunt-
scheckigkeit in der Gestaltung der Häuser; neben monu
mental gehaltenen schloßartigen Landhäuser und Miet-
kasemen finden sich kleine und kleinste Reihen- und Einzel
häuser; neben den Werken bedeutender Architekten finden
sich Machwerke schlimmer Art. Sogar das Entstehen von
kahlen (oder mit Reklamen beklebten) Brandgiebeln ist nicht
verhindert worden.
Zu diesen Fehlern kommt die mangelhafte Durchbildung
des Längenschnitts hinzu. Lange gerade Straßenzüge be
dürfen einer feinen Abstimmung ihres Längenschnittes. Bei
dem Boulevard hätte man wohl Gelegenheit gehabt, in dieser
Beziehung Tüchtiges zu leisten, denn das Gelände zeigt
mehrere Wellen — es steigt von Lille nach Roubaix-Tour -
coing um insgesamt etwa 20 m —, und es waren mehrere
Eisenbahnlinien und der Kanal zu überschreiten. Gelegen
heit zu einer liebevollen Durchbildung — zu einem richtigen
Gruppieren der Knickpunkte des Grundrisses mit denen des
Längenschnittes, zum Herausarbeiten von Blickpunkten, zur
Ausnutzung der beiden großen Eisenbahnüberführungen als
Abschlüssen für das Auge — war also reichlich vorhanden.
Offensichtlich hat man aber auf das Mindestmaß von Erd
arbeiten zu viel Rücksicht genommen, und so gehen die ge
BÜCHERBESPRECHUNG.
VTATURBAUWEISEN. Ein Ratgeber für Siedler und Baulustige.
A » Im Aufträge des Reichsverbandes zur Förderung sparsamer Bau
weise (E. V.) und in Verbindung mit dem Deutschen Verein für ländliche
Wohlfahrts- und Heimatpflege, bearbeitet von Alfons Anker, im Verlage
der Deutschen Landbuchhandlung, G. m. b. H., Berlin SW 11.
Literatur auf dem Gebiete des Siedlungswesens ist reichlich vorhanden.
Meist handelt es sich um statistisch oder städtebaulich gehaltene allgemeine
Ausführungen, zum Teil auch um Einzelvorschläge. Dieses Schrifttum
befreite uns immerhin vom Gestaltungsdogma und vom Ballast polizei
licher Vorschriften. Keine der Arbeiten traf aber so den Nagel auf den
Kopf, wie dieses Buch des Reichöverbandes. Schon das Vorwort des Ersten
Verbandsvorsitzenden, Geheimrat Dr. Friedrich Seeßelberg, beleuchtet grell
die Notstände und die Möglichkeiten, unter denen überhaupt noch gebaut
werden kann.
Wir wissen, daß der f Rcichsverband zur Förderung sparsamer Bau
weise“ sich seit Jahr und Tag weitgehend mit allen Fragen befaßte, die
raden Straßenstrecken an vielen Stellen über Buckel hinweg,
die recht häßlich wirken. Es ißt nun aber darauf hinzu
weisen, daß es glücklicherweise noch die Möglichkeit gibt,
von den bisher gemachten -Fehlern manchen wieder gut
zumachen.
Wie oben bemerkt, sind nämlich bisher auf volle Länge
nur die Schnellbahn und der Schnellfahrdamm fertig; da
gegen sind die seitlichen Fahrdämme und die Bürgersteige
vielfach noch nicht in Angriff genommen, und der Reitweg
und die Radfahrwege sind vor dem Krieg nur roh instand
gewesen, auch die Bebauung ist noch stark zurück, auf lange
Strecken steht noch kein Haus.
Man ist daher in der Lage, noch viel zu ändern. Aller
dings muß man an der Trace und Höhenlage der Schnell
bahn und des Schnellfahrdammes, das heißt an einem rund
20 m breiten Teil festhalten; von dem übrigen kann man
aber viel ändern. Bei der Änderung wird man sich dazu
bekennen dürfen, vor allem den Reitweg, dann aber auch
die Radfahrwege auf große Längen fortfallen zu lassen, be
sonders dann, wenn man sich zu der Anlage des oben an
gedeuteten Verbindungsparkes entschließt. Man würde da
mit zunächst etwa 10 m sparen, außerdem könnte man die
beiden Langsamfahrdämme, die zwischen den Bordsteinen
5,5 m breit sind, auf 4,5 m Breite einschränken; auch ließe
sich vielleicht streckenweise der östliche Langsamfahrdamm
näher an die Schnellbahn heranschieben. Der Gesamtquer
schnitt könnte also um etwa 12 m verringert werden. Wenn
man hiervon Gebrauch macht, das heißt, also die Häuser
fluchten streckenweise vorspringen läßt, und wenn man dann
die Übergangsstellen von dem bisherigen zu dem verklei
nerten Querschnitt an die Buckel des Längenschnittes legt
und sie architektonisch richtig gestaltet, so wird man die
ästhetischen Mängel des Längenschnittes mildern können.
Andererseits empfiehlt es sich auf einige kürzere Strecken,
die Häuserfluchten zurückzusetzen, und zwar einerseits
dort, wo man seitlich stehende — glücklicherweise bisher
noch nicht gefällte — alte schöne Bäume damit retten und
in das Straßenbild einbeziehen kann, andererseits dort, wo
bereits vorhandene — in der jetzigen Fluchtlinie stehende —
wertvolle Gebäude durch das Zurücktreten der anschließen
den Häuser stärker hervorgehoben werden könnten.
dazu führen, selbst unter den jetzt obwaltenden Verhältnissen bei er
schwinglichen Freisen standfeste und warme Häuser errichten zu können.
Aus diesem gemeinnützigen Wirken heraus erscheint nun auch das vor
liegende Buch. Weitschweifigem Tbeoretisieren geht die Schrift aus dem
Wege. Die Betonung ist auf das Unmittelbare, Handgreifliche, Mögliche
gelegt. Jeder, auch der ganz einfache Siedlersmann muß endlich die
Mittel und Wege der neuesten Technik für sparsames Bauen erfassen
lernen, sonst geht das ganze deutsche Siedlungsvorhaben, von dem wir
uns doch gerade wesentlich eine Umschaltung unserer Wirtschaftlichkeit
vom Industriellen auf die Bodenpolitik versprechen, einem katastrophalen
Zusammenbruche entgegen.
Das vor uns liegende Problem ist dieses: Da uns die Kohlen fehlen,
so fehlen auch alle diejenigen Baustoffe, zu deren Herstellung reichliche
Kohle gehört. Das sind Ziegelsteine, Zement und Eisen; selbst an ge
branntem Kalk gebricht es. Da heißt es nun: „Lerne wieder bauen, wie
es die Leute taten, als man diese Stoffe noch gar nicht kannte!- 1