DER STÄDTEBAU
\
48
Abb. io. Göttingen. Blick auf die Stadt.
ist aber verderblicher für das Straßenbild, als die Festsetzung
neuer Fluchtlinien, wozu schon hier und da Ansätze bemerk
bar sind. Reichen die Straßenbreiten für den Verkehr nicht
mehr aus, so sind neue Straßen mitten durch ohnehin meist
eng verbaute Blöcke durchzubrechen und die Straßenbahn
linien zur Hin- und Rückfahrt zu trennen, so daß ein
Schleifenverkehr eingerichtet werden kann. Jetzt schon
haben die gesteigerten Anforderungen des Verkehrs das
Quentinsche Haus, das den die Weender Straße verlängern
den Kornmarkt abschließt, in die Gefahr der Niederlegung
gebracht.
Die leichtgekrümmten und oft auch nur kurzen Straßen
wirken, gleichviel nun, ob dies bei ihrer Anlage beabsichtigt
war oder nicht, außerordentlich reizvoll, zumal sie meist
auch durch eine Versetzung, Gabelung oder Knickung oder
dadurch, daß sich ihnen ein hübsches Haus in den Weg
^bb, ii. Göttingen. St. Johanniskirchc.
stellt, einen Schluß haben, daher als Räume erscheinen,
Räume, in deren Wandungen noch viele Fachwerkhäuser
stehen, mit stark übergekragtem zweiten Obergeschoß, oder
schon im ersten Obergeschosse beginnenden Erkern, die
dann fluchtrecht mit dem zweiten Obergeschoß Zusammen
gehen. Besonders Straßenecken sind dadurch kräftig be
tont, wie die Ecke Barfüßer- und Jüdenstraße durch das
Junkernhaus, die Ecke Markt- und Rothestraße durch das
Kaufhaus, dann die Ecke der Croner und der Kurzen Straße
durch das schon genannte Quentinsche Haus, die Ecke
Weender Straße und Barfüßerstraße durch die allerdings
nicht gerade glücklich wiederhergestellte Ratsapotheke und
andere mehr.
Dabei ist der Plan der Altstadt ein ziemlich regel
mäßiger, wenn auch nicht der einer einheitlichen Gründung.
Das Kirchspiel St. Alban am östlichen Höhenrande des
Leinetales am Hainberge hat noch lange das „Alte Dorf“
geheißen, wohin die Wendenstraße führt; seine Kirche gilt
als die zuerst gegründete, wenn auch nicht der heute noch
stehende Kirchenbau. Dann entstand etwas unterhalb an
der von Süden nach Norden streichenden Verkehrsstraße
— der heutigen zum benachbarten Dorfe Weende führenden
Weender Straße — der Markt. Erst zu Anfang des 13. Jahr
hunderts erhielt Göttingen Stadtrechte (siehe den Führer
durch Göttingen und Umgegend, 6. Auflage, Göttingen, Ver
lag von H. Lange) und eine Mauer, deren Verlauf im Süden
heute noch durch den Zug der Mauer- und Turmstraße ge
kennzeichnet ist. Im Westen reichte sie wahrscheinlich bis
nahe an den Leinekanal, auf dessen anderer Seite später die
Neustadt entstand mit der Kommende des Deutschen Ordens
und der Kirche zu St. Marien. Die zur Weender Straße
umgeknickten Straßen, Jüdenstraße und Stumpfebiel, lassen
im Norden den ungefähren Verlauf der Mauer vermuten,
die vielleicht an eine Burg in der nordöstlichen Ecke an
schloß und dann im Osten etwa, hinter der Burgstraße weiter
lief, so daß das „Alte Dorf“ außerhalb verblieb. Diese ur
sprüngliche Altstadt umfaßte außer den Kirchspielen zu
St. Johannes, St. Jakobi und St. Nikolai das Kloster der
Predigermönche an der Paulinerstraße, das nebst einem
daran gebauten Kollegiengebäude der im Jahre 1733 ge
gründeten Universität als Sitz angewiesen wurde und jetzt
ausschließlich der Bibliothek dient, sowie das Kloster der
Barfüßer, zu dem die Barfüßerstraße führt, jetzt Physio
logisches Institut, am Wilhelmplatz gegenüber der 1837 er
bauten Aula. Gerade dieser innere Kern der heutigen Alt
stadt zeigt durchaus regelmäßige Baublöcke, so daß ihr
gegenüber die landläufige Unterscheidung von gewordenen
und gegründeten Städten versagt. Die Stadt, die seit der
Mitte des 14. Jahrhunderts zur Hansa gehörte, ist dann —
am Ende des 14. und im Laufe des 15. Jahrhunderts — unter
Einbeziehung der Neustadt westlich des Leinekanals und
des „Alten Dorfes“ bei der Kirche St. Albani in weiterem
Umkreise befestigt worden. Diese Erweiterung ist natur
gemäß weniger regelmäßig ausgefallen, da sie bereits Ge
wordenes in sich aufnehmen mußte. Trotzdem ist sie weit
entfernt von willkürlicher Winkelei. Die von den Land
straßen gegebene Lage der Tore und die Verteidigungs
fähigkeit der Stadt haben die Straßenführung wesentlich
beeinflußt. So ist das die alte Hauptstraße, die Weender
Straße im Norden abschließende Weender Tor gegen das
die nächste Parallelstraße, die Kurze Geismarstraße im
Süden abschließende Geismartor versetzt, während die vom