DER STÄDTEBAU
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baumeister. Dieser überwies ihn nach Cassel an den Hof
Karls II, 1698 baute er hier sein Wohnhaus als dreistöckiges
Eckhaus, an der Esplanade gelegen. Was seine Oberneu^-
stadt vor anderen, insbesondere modernen Stadtvierteln
auszeichnet, leider muß man richtiger sagen
auszeichnete, ist die eindrucksvolle Ruhe der
äußeren Erscheinung. Schon die Stadtgrundrisse
mit ihren schnurgeraden Straßenzügen lassen
etwas davon ahnen, obwohl solche Straßen
meistens weniger schön zu sein pflegen als
krumme. Aber gerade bei gestreckten Straßen,
die das einzelne Haus nicht in so breiter Front
ansicht zeigen, wie die konkaven Wände der
krummen Straßen, ist eine ruhige, gleichmäßige
Aufteilung der Schauseiten Vorraussetzung für
eine gute Wirkung der Straße. Anderenfalls
bietet sich dem Auge ein zusammenhangloses
Hintereinander von Häusern dar, das infolge der
Verkürzung beim Gang durch gerade Straßen
doppelt unangenehm wirkt.
Die Häuser der Oberneustadt haben meist
eine Breite von fünf Fenstern, wobei die Pfeiler
etwa das Anderthalbfache der Fensteröffnungen
ausmachen. Eine Straße, die der Landgraf für
die Bauhandwerker und Maler errichten ließ,
heißt daher heute noch die Fünffensterstraße.
Die Häuser in den Straßen sind sämtlich mit
der Traufe nach der Straße gestellt, besitzen
aber durchweg einen Giebel, der sich über
den drei mittleren auch im Dachgeschoß aus
gebauten Fenstern erhebt. Auf dem Plan von
etwa 1700 (siehe Tafel 24 oben) zeigt sich so die
Ansicht der Stadt in völlig gleichem Rhythmus.
Überall zwei Geschosse mit je fünf Fenstern,
darüber der dreiaxsige Dachaufbau mit dem
unvermeidlichen Ochsenauge im Giebelfeld, das
wie geschaffen erscheint zum Heraushängen der
Fahne. ,■ Der einzige Architekturschmuck ist
neb^n dem Gesims das einfache Gewände der .
Fenster, 15 cm breit, 2 cm vorstehend. Die
Fenstergewände wurden meist braun oder krapp
rot gestrichen. Ebenso die Lisenen, wenn solche
angebracht wurden, um ein öffentliches Gebäude
auszuzeichnen oder einen längeren Bau (wie
das Meßhaus) zu gliedern. Auch die Eckhäuser
erhielten Lisenen und durften ein Stockwerk
höher gebaut werden. Bei ihnen finden sich
die Lisenen aber nur einseitig an der tatsäch
lichen Straßenecke. (Ecke der Schönen Aussicht;
Fünffenater- und Frankfurter Straße, Karlsplatz,
Tafel 25.) Das ist ein Beweis, daß Du Ry
nicht Haus ncbeh Haus stellte, sondern den
ganzen Baublock als ein zusammenhängendes
Ganzes entwarf. Selbst bei dem Rathaus ist die
Monumentalität nur durch Lisenen hervorgerufen,
die hier allerdings schon so stark sind, daß sie
Halbsäulen vertreten, die einen massigen Archi-
trav tragen. Zurückhaltender, wenn sonst auch
ganz ähnlich ist das schräg gegenüberliegende
Hospital ausgebildet (mit einem Glockentürmchen,
Tafel 2$). Durch solche einfachen Mittel sind
die öffentlichen Gebäude genügend hervorgehoben
und fallen doch nicht aus dem Charakter und dem Rhyth
mus des Straßenzuges heraus. Das gilt auch für die reich
mit plastischem Schmuck versehenen Häuser, wie das
spätere Haus des Bildhauers Nahl am Königsplatz, oder
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Abb. g.
Oarlen
Bebauungsplan von 1743.