DER STÄDTEBAU
39
*
friedenzustellen und allen Beschwerden ein williges Ohr
leihen. Er hat auch das Hecht, unliebsamen Parteien zu
kündigen, er wirbt und entläßt die Angestellten, er ersetzt
alle Beratungen und Kommissionen, nimmt allein alle Ver
antwortung auf sich und ist nur sich selbst Rechenschaft
schuldig.
Wie der Hausherr nun im einzelnen seine Einrichtungen
treffen könnte, kann hier nicht näher ausgeführt werden.
Durch eine wohldurchdachte Hausordnung sind die Rechte
und Pflichten der Mieter festzulegen. Die größte Aufmerk
samkeit müßte er dann der Beköstigung widmen. Gerade in
dieser Frag? ist nichts zu gering, als daß man großzügig dar
über hinweggehen könnte. Und wenn in einer künftigen Ent
wicklung der Gemeinschaftsbedienung sich verschiedene
Unterarten herausbilden sollten, so werden sie sich gerade
auf diesem Gebiete unterscheiden. Es gibt da ja viele Mög
lichkeiten, je nach den Ansprüchen der Mieter, der Höhe
des Beköstigungssatzes, der Zahl und Zeit der Mahlzeiten,
je nachdem, wie weit die Speisen in der Hauptküche vor
bereitet werden, wer das Geschirr liefert und wer für seine
Reinigung Sorge trägt.
Am besten wird der Betrieb der Hauptküchc an eine
Wirtschafterin verpachtet, wie dies mit gutem Erfolge in
den Berliner Einküchenhäusern geschieht. Sie übernimmt
die Besorgung der Verpflegung und aller damit zusammen
hängenden Geschäfte. Sie stellt auch das Küchennersonal ein.
An weiteren Angestellten ist ein Hausmeister erforder
lich; er versieht für die ganze Hausgruppe die Pförtner
dienste, bedient die Heizung, die Warmwasserversorgung,
die Entstaubungsanlage und die Fernsprechzentrale, er sorgt
für Säuberung der gemeinsamen Verkehrsräume, führt die
Aufsicht über Werkstatt und Fahrradraum, und mag da
neben noch Ladeninhaber oder häuslicher Handwerker sein.
Je, nach den örtlichen Verhältnissen und den Wünschen
der betreffenden Mietergruppe richtet sich die Einstellung
weiterer Hilfskräfte. So kann eine eigene Wäscherin und
eine Plätterin angenommen werden, auch eine Putzfrau,
welche den einzelnen Haushaltungen zu bestimmten Zeiten
für die gröberen Hausarbeiten zugewiesen würde. Die War
tung der Kinder zu bestimmten Stunden des Tages, beson
ders auch des Abends, kann durch die vorhandenen Ange
stellten mit übernommen werden.
Während für Haus und Garten eine feste Miete auf
längere Jahre festgesetzt werden kann, müßten für die
anderen Leistungen und Lieferungen in angemessenen Zeit
abschnitten besondere Stückpreise vereinbart werden. Es
wird also dann jedem Mieter nur seine eigene Nutznießung
in Rechnung gestellt, so die Nahrung nach Portionen, die
Heizung hach Zimmern, Warm- und Frischwasser nach
Kubikmetern, Wäsche nach Größe und Stück, Kinderver
wahrung und Putzfrauenhilfe nach Stunden usf.
Es liegt auf der Hand, daß die Einzelpreise, mit Aus
nahme natürlich der Wasser-, Gas- und Elektrizitätskosten,
sehr viel niedriger sein werden als im freien Verkehr. Sind
hier doch ähnliche Vorbedingungen gegeben, wie sie zur Bil
dung einer Einkaufsgenossenschaft erforderlich sind: der
Zusammenschluß von Verbrauchern mit gleichgearteten Be
dürfnissen auf verhältnismäßig engem Raum. So läßt es sich
auch erklären, daß es den Berliner Einküchenhäusern noch
im Jahre 1918 möglich war, den außerordentlich niedrigen
Beköstigungssatz von 3,50 Mk. für den Tag und die Person
beizubehalten.
Es wird nun kaum möglich sein, einen genauen Kosten
vergleich zwischen der jetzigen und der erstrebten Bedie
nungsart aufzustellen, zumal die erzielten Vorteile sich meist
nicht zahlenmäßig festlegen lassen. Doch kann mit Sicher
heit angenommen werden, daß sich die Gesamtauslagen der
Mieter eher niedriger als höher stellen.
Die Baukosten werden sich ziemlich ausgleichen: Dem
Mehr an gemeinschaftlichen Wirtschaftsräumen und -gangen
steht ein Weniger an einzelnen Wirtschaftsräumen und eine
bessere Ausnutzung des Kellers und Dachraumes gegen
über. Ähnlich verhält es sich mit dem Vergleich der anderen
Ausgaben: Die geringere Anzahl der Angestellten wird
durch ihre bessere Entlohnung aufgewogen, die Kosten für
Miete und Pflege des Gartens deckt sich mit seinem Ertrags
wert, die Einrichtung der gemeinnützigen Anlagen und die
Anschaffung möglichst vieler und zweckmäßiger Maschinen
und Maschinellen wird sich bald bezahlt machen.
Ausschlaggebend sind aber die Vorteile ideeller Natur.
Zu dem volkswirtschaftlichen und sozialen Nutzen, von dem
anfangs schon: gesprochen wurde, gesellen sich noch große
Annehmlichkeiten für die einzelnen Haushaltungen selbst.
Schon daß die Hausfrau Von der Sorge um die Anwerbung
eines Mädchens befreit 4kt und nicht Gefahr läuft, eine an
spruchsvolle, schwatzhafte oder unehrliche Fremde in ihre
Wohnung, zu ihren Kindern aufzunehmen, ist ein Vorzug,
den mancher zu schätzen wissen wird, und zwar schon heute,
da wir erst im Anfänge einer dienstbotenarmen Entwicklung
stehen, die in Australien schon vor dem Kriege vollendet
war l V Wie selbstverständlich man sich aber in diese Ver
hältnisse hineinlebt, zeigt ein trefflicher Austrälienforscher:
„Und ich habe mich schnell daran gewöhnt, nichts Außer
gewöhnliches darin zu erblicken, daß der Herr des Hauses,
mag er auch ein Einkommen von 20000 Mk. genießen, mir
eigenhändig die Tür öffnet, daß die Töchter die Speisen auf
tragen und den Tisch abdecken 2 ')/'
Auch die Befürchtung, daß die von Wohnung zu Woh
nung wandernde Aushilfe eine Ouelle der Geschwätzigkeit
und des Zwistes würde, ist unbegründet, da die Aushilfe
weniger Einblick in das Familienleben gewinnt als ein
Dienstmädchen, und man längst schon ohne Bedenken
Stundenfrauen zum Waschen, Nähen und Putzen ins Haus
nimmt.
Es wurde auch schon gesprochen von den reinlichen,
bequemen und arbeitsparenden Einrichtungen, die der Haus
frau ihre Arbeit eher als Freude denn als Last erscheinen
lassen werden' und die, auf die niedrige Bebauung an
gewandt, die Vorzüge des kleinen, abgeschlossenen, mit
Garten versehenen Vorstadtheimes mit den Vorzügen des
großstädtischen Mietshauses vereinen.
Schon vor 100 Jahren hat der Franzose Fourier in der
Unmenge der kleinen Hauswirtschaften eine Verschwendung
und Kraftvergeudung erkannt und schlug dann in radikaler
Weise Gemeindewaschhäuser und Kochanstalten vor, Pläne,
wie sie unerwartet jetzt im Kriege in den „Volksküchen“
verwirklicht wurden.
Eine für die Dauer der Friedenszeit geschickte und dem
deutschen Familienleben angepaßte Milderung dieser Reform-
gedankch vorzubereiten, ist der Zweck der vorliegenden
Arbeit.
J ) In Deutschland waren 1882 2,9 0, o. 1895 2,6%, 1907 3,0% der
Bevölkerung Dienstboten.
*) Alfred Manes »los Land der sozialen Wunder“, Berlin 191t.