DER STÄDTEBAU
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Abb. i
wird der ganze Zug zwischen Schloß und Alexandrinenplatz
in zwei gleiche Abschnitte zerlegt. Jede der so entstehen
den vier Blockseiten zerfällt wieder in zwei gleiche Teile
dadurch, daß in ihrer Mitte größere durch Dachaufbauten
ausgezeichnete Häuser von 7 Fenster Breite ihren Platz er
halten. Diese treten um etwas mehr als Haustiefe hinter
die Flucht zurück, so daß neben der Straße jedesmal kleine
idyllische Plätzchen entstehen (Abb. e, Tafel 9). Die so
sich ergebenden 8 Teile der Straßenwandungen werden
weiter gegliedert durch ein heute nicht mehr ganz erhaltenes,
aber noch deutlich erkennbares System von Wirtschafts
wegen. Jeder Teil bietet Raum für 6 Häuser. Hinter diesen
folgten, jedesmal in gleicher Tiefe, der Hof und das Wirt
schaftsgebäude und weiterhin der Garten. Um nun für die
einzelnen Häuser die Durchfahrten zu sparen, vielleicht auch
um den Wirtschaftsbetrieb von der Hauptstraße der Resi
denzstadt möglichst fernzuhalten, ist neben dem ersten
Hause immer eine offene Einfahrt angelegt, die zwischen
den Hofgebäuden und Gärten entlangläuft und vor dem
letzten Hause wieder in die Straße einmündet. Die zwischen
der Ein- und Ausfahrt liegenden 4 Häuser sind unter ein
einziges Dach zusammengefaßt, so daß jeder Teil der
Straßenwand in eine dreigeteilte Gruppe aufgelöst wird, die
sich rhythmisch in der ganzen Straße wiederholt (Tafel 6
und Abb. d, Tafel 8). Die Abmessungen der kurzen Strecke
zwischen Alexandrinenplatz und Marstall lassen vermuten,
daß ursprünglich auch für diese der gleiche Ausbau geplant
war (in Tafel 6 punktiert angedeutet). Ludwigslust ist
wohl das einzige Beispiel aus späterer Zeit, wo der Grund
satz der Anlage besonderer Wirtschaftsstraßen der aus dem
Mittelalter in die ersten Schöpfungen des landesfürstlichen
Städtebaus übernommen, aber im Laufe der weiteren Ent
wicklung abgestoßen worden war, von neuem aufgenommen
und zur Herausarbeitung einer künstlerischen Form des
Straßenbildes benutzt worden ist. Außer den oben genann
ten 4 größeren Häusern an den seitlichen Plätzen zeigen
auch diejenigen am Anfang und am Ende der Straße, beim
Schloß und am Alexandrinenplatz, eine etwas abweichende
Form. Sie haben gleiche Größe und Umriß wie die Nor
malhäuser, der größere Reichtum ist aber bei ihnen nicht
in Dachaufbauten, sondern in die Hausfläche verlegt:
Rustikapfeiler und zum Teil Bogenfenster.
Ist der architektonische Ausdruck der Schloßstraße rein
sachlich aus ihrem Wesen als Wohnstraße heraus ent
wickelt, so gibt dem Teil zwischen Schloß und Kirche
allein der Gedanke rhythmischer Raumgestaltung die Form
(Tafel 6 und Tafel 7 [Schaubild]). Hierbei ist die Garten
kunst stark zur Mitwirkung herangezogen worden. Um
das Schloß herum zieht sich von Osten her der Ludwigs-
uster Kanal. Sein Wasser ist trotz seiner ganz geringen
Tiefe sehr geschickt zur Belebung des Platzes vor dem
Schlosse benutzt, nur in den trockenen Hochsommer
monaten versagt seine Kraft. Es wird in einem in der
Mittelaxe des Schlosses liegenden ovalen Becken, dem
„Bassin“, gesammelt, vor dem Eintritt in dieses zweigt ein
durch ein Wehr geregelter Arm ab, um ein noch vor dem
„Bassin“ liegendes rechteckiges Becken zu füllen und von
diesem in mehreren Stufen über eine etwa 3 m hohe mit
drei schönen Figurengruppen geschmückte Granitwand
herabzufallen. Eine künstliche Senkung des Schloßplatzes
nach dem „Bassin“ hin ermöglicht in dem durchaus ebenen
Gelände die Herstellung dieser prächtigen Kaskade 1 ) (Abb. f,
Tafel 9). Das „Bassin“ umsäumen zu beiden Seiten
zweigeschossige, der Rundung folgende Backsteinhäuser
(Abb. g und h, Tafel 9), die durch zwei kurze Reihen
einstöckiger, nur 3,15 m bis zur Traufe messender Fach
werkbauten mit dem in der gleichen Weise umbauten
quadratischen Kirchenplatze verbunden sind. Die weit
gedehnte rasenbedeckte Platzfläche bleibt vom Verkehr fast
unberührt, den seltenen Wagenfahrten zur Kirche dient ein
Weg unter einer den ganzen Raum umschließenden drei
fachen Reihe von Bäumen. Auch hier wird der Wirtschafts
verkehr von besonderen zwischen Gehöften und Gärten hin
laufenden Nebenwegen aufgenommen. Ihre Verwendung zur
Gliederung der Platzwandungen jedoch verbot ein sicheres
Maßstabsgefühl sowohl wie die Absicht, den Wirtschafts
verkehr von diesem Monumentalplatze überhaupt auszu
schalten; sie umlaufen die ganze Anlage in einem Zuge.
Der Unterschied zwischen Platz und Schloßstraße wird
besonders deutlich, wenn man ihre Querschnitte mitein
ander vergleicht (Tafel 6 [1:1000]): hier die Wohnhäuser
die Straße beherrschend, dort gegenüber der Breite des
Platzes, selbst an seiner schmälsten Stelle, fast verschwin
dend, sie scheinen nur bestimmt, durch ihre Kleinheit
Schloß und Kirche um so prächtiger erscheinen zu lassen.
Die Zeit des Absolutismus erachtet die Kleinsiedelung der
Nachbarschaft des Fürstensitzes nicht für unwürdig, benutzt
sie vielmehr sehr geschickt als äußerst wirksames Mittel
künstlerischer Wirkungssteigerung.
Ein Hauptreiz der Anlage liegt darin, daß sie sich nicht
offen vor dem Beschauer ausbreitet, sondern erst schritt
weise ihre Schönheiten enthüllt. Dem Blick vom Schlosse
aus wird manches noch verborgen, manches nur angedeutet,
besonders im Sommer, wenn die Bäume ihr Laub voll ent
faltet haben und die Häuser mehr oder weniger hinter
ihnen verschwinden (Textabb. 1). So erhält das Auge
einen immer neuen und ständig sich steigernden Anreiz,
sich weiter nach der Tiefe des Platzes hin vorwärts zu be-
') Das Wasser wird dann als 2 1 j i km langer schnurgerader von
Erdwällen und Rasenbänken eingefaßter und mit Brücken und Wasser
künsten belebter Kanal durch den Schloßgarten nach Westen abgeleitet.
Die hierdurch im Park gebildete Schneise, die in einem Winkel von etwa
30 Grad auf das alte Schloß stieß, ist wohl als Gegenstück zu der vom
Schlosse aus nach Nordosten verlaufenden Paul-Friedrich-Allee, dem An
fang der nach Neustadt führenden Straße, anzusehen.