DER STÄDTEBAU
in einer Hand liegen. Weit wichtiger aber für Hamburg ist
noch der Besitz des Alsterlaufes aus wassertechnischen
Gründen. Dieser Fluß, der in mannigfachsten künstlichen
Fassungen ganz Hamburg durchzieht, ist bei Hochwasser
nur zu bändigen, wenn man im jetzt außerhalb Hamburgs
liegenden Teil seines Laufes Macht hat über sein Über
schwemmungsgebiet. Dieser Umstand ist bereits lange
Gegenstand der heftigsten Sorge und der dringendsten
Forderungen Hamburgs. Es ist sehr zu wünschen, wenn in
dieser wichtigen technischen Frage für die große Stadt
natürliche und sichere Zustände geschaffen werden.
Was für Hamburgs kleine Flüsse gilt, das kann man
endlich in verstärktem Maße von Hamburgs großem Strome
sagen: auch hier ist die Vorbedingung für ein gedeihliches
Entwickeln die einheitliche Gewalt über die Gestaltung der
Wasserzüge. Hamburgs Not auf hafentechnischem Gebiete
beruht nicht etwa nur auf der rein quantitativen Frage, die
sich aus der Tatsache ergibt, daß es bereits beginnt, den letzten
Rest seines Stromgebietes zu Häfen auszubauen, — die erwei
terte Ausdehnungsmöglichkeit ist gleichsam nur eine grobe,
leicht übersehbare und leicht begreifliche Grundforderung.
Ebenso wichtig und nicht sofort übersehbar ist jene zweite
Not, die darauf beruht, daß im Hamburger Hafengebiet un
sichtbare Kräfteströme eine einheitliche Entwicklung aus
einanderreißen.
Sieht man sich das geographische Bild an, das die Elbe
an der Stelle bildet, wo Hamburg liegt, so besteht der aus
schlaggebende Eindruck in dem charakteristischen Umstand,
daß die Elbe sich an der äußersten Spitze von Finkenwärder
(Bunthäuser Spitze) in zwei Arme spaltet, die Norder- und
die Süderelbe. Sie umfassen eine große längliche Insel, um
sich dann unterhalb Wilhelmsburg wieder zu vereinigen.
Am einen Arm liegen Altona und Hamburg, am anderen
Harburg, dazwischen das zu einer großen einheitlichen Form
zusammengefaßte Gebiet jener Insel, das in der Mitte durch
schnitten ist durch den Wasserarm des „Köhlbrand“.
Sieht man sich das politische Bild an, so wird
dies klare geographische Gefüge zur größtmöglichen Un
klarheit gebracht. Ganz willkürlich schneidet die Hoheits
grenze Preußens durch das hindurch, was der Natur
nach zusammengehört. Die Insel, die nach einem ein
heitlichen Hafensystem ausgebaut werden müßte, ist nur
an den Rändern, die Hamburg gehören, in einer solchen
Weise ausgebüdet; die Wasserläufe, die zu einheitlichem
Ziel benutzt werden müßten, müssen entgegengesetzten
Zielen dienen, wie sie sich aus dem Wettbewerb dreier
im Gegensatz zueinander stehender Häfen ergeben. Sie
sind deshalb im Kampf der Verträge mit Klauseln be
lastet, die eine vernünftige Einrichtung der so dringend
nötigen Hafenverkehrsanlagen unterbinden. Was unter
weiser Berücksichtigung der Eigentümlichkeit jedes der drei
Häfen zu einer fruchtbaren Rollenverteilung an der großen
Arbeit, die hier geleistet werden soll, führen müßte, führt zu
unfruchtbaren und kostspieligen Doppelanlagen, weil jeder
glaubt, alle Aufgaben für sich in Anspruch nehmen zu
müssen.
Mit einem Worte, wasserbautechnisch zeigen sich ge
fährliche Hemmungen, betriebstechnisch gefährliche Häu
fungen. Kräfte sind durch den Zufall politischer Grenzen
gegeneinander gespannt und schwächen sich, während sie
zusammengespannt eine große Steigerung der Gesamtkraft
bedeuten müßten. Dieser ungesunde und Hamburgs große
Aufgabe mit der Zeit lahmlegende Zustand kann nur durch
ein politisches Zusammenfassen, vor allem mit Harburg,
aufgehoben werden. 1 )
Solch eine Zusammenfassung würde bedeuten, daß
Hamburg, das sich jetzt nur in unnatürlicher Verstümme
lung einseitig an die Kraftquellen des Hafens anzusaugen
imstande ist, sich rings um dieses Zentrum herum zu ent
wickeln vermöchte; gegenüber dem Schwerpunkt auf dem
rechten Ufer würde sich ein natürliches Gegengewicht auf
dem Unken bilden, und die Lösung der Wohnfrage würde
im Hinterlande Harburgs längs der Bremer Bahn diese
willkommene Schwenkung mitmachen. Wir kämen allmäh
lich zu dem einzig gesunden Bild einer Siedelung an einem
großen lebengebenden Strom, einem zentrischen Stadt
gebilde, statt der jetzigen Entwicklung, die sich, soweit
Hamburg inbetracht kommt, nur in einem Viertelsektor des
gegebenen Kräftekreises mühselig einklemmt. Kein Wun
der, daß sie dabei alle Krankheitserscheinungen eines Krüp
pels zeigt;
Es zeigt sich jetzt schon, daß Hamburg nicht etwa
sagen kann: wenn nur meine Arbeitsstätten kräftig blühen,
die Wohnfrage wird sich dann schon von selber lösen;
können die Arbeiter nicht in Hamburg Unterkommen, so wer
den sie sich irgendwie in Preußen einrichten und uns dadurch
manche Unbequemlichkeit ersparen. Das ist eine Auf
fassung, die bald traurig scheitern würde. Rings um Ham
burgs Lebenskörper würden sich dann solche wilde Siede
lungen ergeben, wie wir sie in Wilhelmsburg und in Schiff-
bek vor uns sehen, und diese kranken Gebilde würden, sobald
die Menschen sich immer dichter um den Strom zusammen
ballen, Hamburgs innere Kraft gefährden und seine soziale
Gesundheit zu ersticken drohen. Nur wenn die politischen
Vorbedingungen zu einem großen einheitlichen Siedelungs
gedanken gegeben sind, können die schwierigen Aufgaben
der Zeit überhaupt angepackt werden.
Es ist also eine schwere innere Not, die zu diesen Forde
rungen führt. Sie greifen über in die Gebiete zweier Pro
vinzen: Schleswig-Holstein und Hannover. Das erschwert
die Erfüllung, aber es charakterisiert deutlich die Unnatur
der jetzigen Lage Hamburgs. Eingekeilt liegt es da zwischen
zwei großen Nachbarn, die von beiden Seiten die Ufer des
Stromes beherrschen; dessen eigentliches Herz doch Ham
burg ist und nur sein kann.
Diese Diagnose der Not Hamburgs führt zu dem
Schluß, daß seine Krankheiten nur geheilt werden können,
wenn ein Bezirk als Einheit zusammengefaßt wird, dessen
Gebiet im Norden der Elbe den Gemeindegrenzen folgend,
etwa von Wedel über Halstenbek oberhalb Langenhorn in
Harksheide seinen höchsten Punkt gewinnt. Dies Gebiet
würde die ganze Einflußzone Altonas umfassen. Dann
müßte die Grenze an Glashütte vorbei, wo Hamburg bereits
die großen Moore zur Torfgewinnung erworben hat, die Watd-
dörfer Wohldorf und Groß-Hansdorf umfassen und über
Lüttjensee, Trittau, Schwarzenbeck unter Einbeziehung des
Sachsenwaldes nach Geesthacht an die Elbe zurückkehren.
Im Süden des Stromes müßte das Gebiet jedenfalls über
Stöckte, Hörsten, Hittfeld, Tötensen, Schwiederstorf, Daer
sen, Ottensen, Neukloster, Jork geführt werden, um Wedel
gegenüber in Börstel die Elbe wieder zu erreichen (vgl. die
*) Vergleiche Engels: Der deutsche Seehafen Hamburgs 1 und seine
Zukunft. 1918.