DER STÄDTEBAU
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mit dieses Gemeinwesen sich wirtschaftlich und kulturell
unbehindert zu entwickeln vermag; was ist nötig, damit es
nicht verkümmert?
Diese Frage ist nicht etwa erst durch den Umsturz der
Novembertage, der alles wilde Wünschen hemmungslos ent
fesselt hat, entstanden, nein, schon lange vorher hat sie
ernste Kreise Hamburgs an eine Bearbeitung getrieben;
denn sie ist nicht eine Frage des Interesses, das aus wohl
bestelltem Garten wünschend in den Nebengarten schweift,
sondern sie ist eine Frage der Not, — eine Frage bitterer
Not. Nur so kann sie verstanden und nur aus dem Ver
ständnis der Wurzeln dieser Not heraus zu einer stichhal
tigen Lösungsform gebracht werden.
Diese Notlage haben viele seit langem gefühlt. Sie
wußten auch, daß sie, ganz allgemein gesprochen, in der
Engbegrenztheit von Hamburgs Gebiet begründet liegt, aber
über die Frage, welche bestimmt umrissene Forderung dar
aus hervorging, konnte man in Laienkreisen die verschie
densten Ansichten hören, sobald der Boden, auf dem sie ge
wachsen waren, nur ein Gefühlsboden war. Daß der Hafen,
bei dessen letztem Ausbau die letzten Reste Hamburger Ge
biets aufgebraucht werden, vergrößerbar sein müßte, wenn
Hamburg nicht ersticken soll, war allerdings selbstver
ständlich. Aber sonst schweiften die Wünsche des einen,
je nach Neigung und näherer Kenntnis, mehr nach Altona
hinüber und von da die Elbchaussee entlang nach Blankenese,
die des anderen mehr ins Alstertal hinein, als der natürlichen
Fortsetzung der Hamburger Landschaft, die des dritten nach
dem Streifen der vereinzeltins preußischeGebieteingesprengten
„Walddörfer“, die er sich als einheitliches Gebilde mit Hamburg
verwachsen wünschte. Im allgemeinen schwebte meistens als
Ziel vor, außer demHafen den oberenKopfHamburgs zwischen
Langenhorn und dem Walddörferstreifen kugelig zu ver
größern; mancher aber setzte wohl auch geistig einen Zirkel
in der Gegend der Lombardsbrücke ein, schlug einen be
herzten Kreisschlag und sagte; Das enthält alles, was wir
brauchen. Er möchte recht haben, und doch hat all solches
Betrachten ebensowenig wirklichen Wert, wie wenn man
einem Architekten, der eine große Last von einer Stütze
tragen lassen soll, sagt: Mache sie 4 m dick, das reicht sicher
aus. Von Interesse ist nur die verstandesmäßig genau er
mittelte Form, die nötig ist; glaubt man dann, an ihr hinzu
setzen zu müssen, gut! aber man muß wissen warum und
nicht im Dunkeln tasten.
Betrachtet man so das Problem der Hamburger Not,
um zu einer festen Unterlage für Hamburgs Wünsche zu
kommen, so wird man auf vier verschiedene Gedankenreihen
geführt: man kommt auf allgemein-kulturelle, auf woh-
nungs-politische, auf ingenieur-technische und auf hafen
technische Gesichtspunkte.
Von den allgemein-kulturellen Gesichtspunkten kann
hier am flüchtigsten die Rede sein. Sie beziehen sich vor
allem auf das Verhältnis Hamburg-Altona. Jedem Vernünf
tigen ist es wohl schon lange als eine groteske Unnatur er
schienen, daß hier zwei große Stadtbetriebe, äußerlich durch
keinerlei erkennbare Schranke getrennt, innerlich voll
kommen gesondert nebeneinander hergehen. In allen
Kulturfragen, zu denen man in diesem Zusammenhang auch
die Fragen des Verkehrs und der Grünpolitik rechnen
möchte, herrscht keinerlei Fühlung, und so wird nicht nur
doppelt gearbeitet, sondern das eine hemmt auch das andere,
wobei natürlich der Kleinere vor allem vom Größeren ge
hemmt wird, obgleich er sich, nebenbei gesagt, tapfer genug
dagegen gewehrt hat. Daß das aufhören muß, und damit
zugleich der ganze Kulturkreis der Stadt Altona, der bis
nach Blankenese und Wedel reicht, mit Hamburg zu einer
Einheit verwachsen sollte, ist eine natürliche Forderung,
die kaum einer allgemeinen Begründung bedarf. Ähnliches
wie von Altona gilt in entsprechender Abstufung auch im
Hinblick auf Wandsbek und auf Harburg.
Auch vom wohnungspolitischen Gesichtspunkte läßt
sich im Verhältnis zu dem, was man eigentlich dazu aus
führen müßte, nur in wenigen Stichworten sprechen. Weiitt
man sagt, daß Hamburg auf diesem Gebiete, infolge seiner
Enge, einer großen Not entgegengeht, könnte man wohl da
gegen geltend machen: aber im Norden des Stadtparks
dehnen sich doch bis hinauf nach Langenhorn noch Gebiete,
in denen mehr als eine halbe Million Menschen Platz haben;
in Farmsen und den Walddörfern sowie den anderen noch
schwach bebauten Stadtteilen des Ostens kann sicher noch
eine weitere viertel Million Unterkommen. Es steht doch
nichts im Wege, für diese Gegenden gute Bebauungspläne
zu machen und sie mit gesetzlichen Bestimmungen zu be
legen, die jede nicht sozial-hygienisch einwandfreie Woh
nung ausschließen. Was wollt Ihr also? Die Sorge, die über
diese drei viertel Million künftiger Mitbürger hinausgeht,
könntet Ihr doch ruhig der nächsten Generation überlassen.
Gewiß, solche Bebauungspläne und solche Gesetze sind
der Vollendung nahe, aber so einfach ist das Wesen der
Wohnungsfrage einer Großstadt nicht, daß sie damit schon
gelöst wäre. Um auf diesem Gebiete im Gleichgewicht zu
sein, ist es nötig, daß aus dem natürlichen Wachstumsprozeß
der Stadt Wohnungen hervorgehen, von denen 85% Ein- bis
Drei-Zimmerwohnungen mit einer niedrigen Mietsgrenze
(vor dem Kriege höchstens 400,— Mk.) sein müssen, wäh
rend nur 15 % von der Vier-Zimmerwohnung an in die Klasse
der Luxuswohnungen steigen dürfen, wo die Mieten einen
weiten Spielraum lassen. Wird dieses Verhältnis nicht ^er
reicht, so ist auch die Wohnfrage nicht gelöst, mögen noch
so viele gute Wohnungen gebaut werden.
Und darin liegt in Hamburg die große Schwierigkeit.
Dieses erforderliche Verhältnis von kleinen Wohnungen
gegenüber den größeren wird sich, wenn man einen Blick in
die Zukunft wirft, von selber nicht ergeben. Und das liegt
an den unglücklichen Eigentümlichkeiten der gegenwärtigen
geographisch-politischen Gestalt Hamburgs.
Der erste Grund dafür ist tatsächlich die Enge des Ham
burger Gebietes; aber das ist nicht unmittelbar zu verstehen,
sondern die Ursache liegt in der mittelbaren Wirkung, die da
durch auf die Grundstückspreise ausgeübt wird. Das Angebot
an Hamburger Bauland ist infolge dieser Enge deutlich be
grenzt, und Ware, deren Menge erkennbare Grenzen hat,
wird teuer. Das braucht man denen, die vier Kriegsjahre
hinter sich haben, nicht erst klarzumachen. Der hohe Preis,
der sich in Hamburg überall in der Nähe der bereits be
stehenden Siedelung jetzt schon für Bauland gebildet hat,
macht es meist unmöglich, hier Kleinwohnungen zu er
richten, die innerhalb der erschwingbaren Preisgrenze blei
ben; es werden sehr hübsche Häuser entstehen, aber sie
werden, trotz aller Einfachheit, nicht im Rahmen jenes ge
forderten Prozentsatzes stehen.
Gut, kann man sagen, dann schiebt man eben die Klein
wohnungssiedelungen weiter an die äußeren Grenzen des Ge
bietes hinaus, wo die Preise mit der Entfernung vom jetzigen