DER STÄDTEBAU
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sich zür Grundlage eines architektonischen Aufbaues eignet.
Die harmonische Durchdringung von Programm und Archi
tektur gibt sich am sinnfälligsten in der Grundrißanlage
eines Baues zu erkennen. Ihr ganzer Wert, ihre letzten
Feinheiten lassen sich erst ablesen aus der Geschichte des
einzelnen Baues.
Wie in der Geschichte der Architektur die liebevoll
sich betätigende Programmarchitektur abgelöst . wird von
der überschwänglich sich gebenden rein architektonischen
Kunst, um einzumünden in eine schöne Ausgeglichenheit,
wie sich Zwischenstufen, Übergänge einschieben, alles um
den Pol der Vollkommenheit kreisend, so macht auch jeder
einzelne Bau eine Reihe von Stadien durch. Die ersten
Versuche werden sich vielleicht eng an das Programm an
schließen, um dann in freiere Rhythmen überzugehen, oder
es mag eine bestimmte Architekturidee am Anfang stehen,
um nur widerwillig schließlich sich mit dem Programm zu
verbinden. So wird bei der Betrachtung alter und neuer
Kunst, einfacher und reich durchgeführter Bauten die Frage
nach der Durchdringung von Programm und Architektur
zu einer besonderen Art von Wertschätzung führen. Es
ist möglich, daß für den oder jenen diese Betrachtungsweise
ein Weg ist zu den Schönheiten der Baukunst.
II.
Über Raumkomposition.
Wenn das Programm für architektonische Schöpfungen
die Veranlassung und Unterlage abgibt, so ist es . auf der
anderen Seite das Streben nach idealen Bildungen, das sich
mit der Erfüllung des Programms zu verbinden hat, wenn
anders ein Kunstwerk entstehen soll. Man wird sich fragen,
was es mit jenen idealen Bildungen auf sich hat, wie sie
sich darstellen, wie jene Sehnsucht des Architekten be
schaffen ist, die in jedem Bau wieder einer neuen Erfüllung
entgegenstrebt. Zu allererst tritt sie uns entgegen in der
äußeren Erscheinung der Bauten. Der körperhaft geformte
Bau will durch Mittel der Plastik gegliedert sein, im ganzen
wie im einzelnen: Große gegensätzlich geordnete Massen oder
einheitlich geformte Körper, im einzelnen, aufgeteilt durch ein
fein unterschiedliches Relief; die Massen wie die Einzelgliede
rung in bestimmte Verhältnisse gefügt, die sich vom Her
kommen oder vom persönlichen Geschmack herleiten.
Dann das Innere der Bauten, Räume, die den Gesetzen des
räumlichen Gestaltens folgen, daran anschließend die äußeren
Räume, die Höfe und Plätze, die wohl Teile der äußeren
Architektur zu ihrer Wirkung heranziehen, aber doch viel
weiter ausgreifen in ihren Wirkungen. Beides aber, äußere
Erscheinung und Bildung der Innenräume, sind letzten
Endes nur Einzeläußerungen einer umfassenderen Tätigkeit:
der Durcharbeitung eines ganzen Baues zu einem künst
lerisch durchgeführten Organismus. Jeder einzelne Teil
soll sich auf den anderen beziehen. Die Räume unter sich
sollen zu harmonischen Raumfolgen verbunden sein und
gleichzeitig im Einklang stehen zum Äußeren, das wiederum
nicht in Einzelheiten aufgelöst werden darf, sondern eine
Komposition mit Unterteilungen darstellen soll. Es sei ver
sucht, die eine dieser idealen Bildungen, die Raumkompo
sition, gesondert zu betrachten, um damit einen Schritt
einzudringen in den stolzen, dunklen Wald architektoni
scher Schönheit.
Man kann die räumlichen Gestaltungen betrachten nach
der Art, wie sie der künstlerisch Empfindende in sich auf
nimmt, wie sie erlebt werden. So bietetsich zuerst eine Gruppe
von Räumen zum Durchschreiten. Die ursprünglichste
Fassung: der Flurgang, der Verbindungsraum vor einer
Zimmerflucht. Die gleichmäßige Breite und Höhe dient
dem Vorwärtsschreitenden vergleichsweise als Führung,
die gleichmäßige Ausbildung der Stirnseiten entspricht
dem Hin und Her des Gehens. Die Längsseiten sind un
gleich gebildet; an der Außenwand eine lange Reihe von
Fenstern, gegenüber eine nur von wenigen Türen unter
brochene, geschlossene Wand. Dem Rhythmus der Fcnster-
pfeiler werden auf der gegenüberliegenden Seite Wand-
pfeiler gegenübergestellt oder angedeutet, die einen Rhythmus
auf die Türwand übertragen. Das Hell und Dunkel, diese
Pfeiler und Zwischenpfeiler geleiten nun in besonderer
Art den Schritt, der den Raum entlang auf und nieder
führt. Ein großer feil der architektonischen Kraft muß
auf die Decken gesammelt werden; denn die Längswände
in ihrer ungleichen Durchbildung vermögen nur unvoll
kommen den Gang des Dahinschreitenden zu begleiten. Die
Decke in ihrer gleichmäßigen Breite und Wölbung über
spannt den Raum dagegen gleichmäßig und wird durch
starke Betonung, etwa durch Einteilung in rhythmisch an
geordnete Felder, die Führung zu übernehmen haben. 1 )
Die Halle oder Galerie stellt eine höhere Ordnung des
Flurganges dar. Alle Elemente des Korridors finden sich
hier gesteigert, weiter entwickelt, der Verbindungsraum ist
zum selbständigen Raumgebilde geworden. Die Längsseiten
werden in Pfeiler und Felder gegliedert von stärkerer Be
tonung. Die Stirnseiten, in reicherer Ausstattung und stär
kerer Wirkung, haben die beiden äußersten Enden des
langgestreckten Raumes zusammenzufaseen. Die beschei
dene Felderteilung der Decke wird in der aufs höchste ent
wickelten Fassung zur rhythmischen Anordnung von
Deckengemälden. Die Einseitigkeit der Längswände freilich
bleibt und damit der besondere Charakter des Raumes, sein
Reichtum und seine Schwäche. Die Anordnung von fenster
artigen Nischen den wirklichen Fenstern gegenüber — Spie
gelgalerie Versailles — zeigt deutlich die innere Hemmung.
Wenn die Einseitigkeit der Beleuchtung aufgehoben werden
kann, muß der Raum seiner schönsten Bildung entgegen
geführt werden. Die Vorhalle des großen Trianon zeigt
solch eine Galerie mit beidseitiger Beleuchtung; hier dürfte
die Ausbildung der Decke zurücktreten, hier konnte der
Rhythmus der Fensterpfeiler, die auf beiden Seiten gleich
wertig und in gleich schöner Marmorbekleidung auftreten,
unwidersprochen die Führung übernehmen. Reiner noch
ist die Aufgabe gelöst im Antikensaal des Vatikans: hier
sind die Längswände nur durch Nischen unterbrochen, der
Raum empfängt sein Licht durch langgestreckte Felder im
Scheitel der tonnenförmigen Überwölbung. Hier ist der
nutzbauliche Charakter des Raumes bis auf den letzten Rest
getilgt — der Raum stellt wohl die schönste Bildung dar, die
sich dem Auf- und Niederschreiten bieten kann. Auch der
kirchliche Langhausbau gibt eine Raumform, die sich in
J ) ln der Ungleichheit der Längswände Hegt der Reichtum der
Möglichkeiten, der schon in diesem einfachsten Raumgebilde gegeben ist.
Sie schließt aber auch gleichzeitig seine Bedingtheit ein; durch seine Ein
seitigkeit wird der Raum unwiderruflich zu einem weniger weihevollen
gestempelt.
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