DER STÄDTEBAU
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Baumwege (Alleen) und Haine einen Raumteil, und die
verschiedenen Baumstrukturen von Wall zu Wall steigend,
ergeben dabei eigenartige rhythmische Wirkungen.
Unterpflanzung ist nicht häufig vorhanden, nur im
„Bois de Boulogne“ ist sie landschaftlich ausgebildet, kann
aber nicht mehr ganz die alte Form verdecken, deren Schön
heit überwiegt. Stutzt man die jetzige Unterpflanzung ein
wenig und läßt einige unwesentliche, später hinzugekommene
Pflanzungsteile weg, so ergeben sich tektonisch-rhythmische
Gartenbilder, wie sie einzelne wenige Skizzen zeigen. Da
bei ist nichts an der vorhandenen Bodenplastik von damals
geändert.
Die spitz aufeinander zulaufenden Sternteile und Wall
formen ergeben in der Pflanzung oft recht eigenartige Ver
schneidungen, die ständig sich ändern und sich herauslösen
aus der Baummasse und von großem malerischen Wert sind.
Oft ist die Alleebepflanzung nicht am Weg entlang geführt,
sondern läuft in zackigen Ausbuchtungen neben dieser her.
Als Wegemotiv immerhin beachtenswert. Voll malerischer
Schönheit und etwas für rhythmische Feinschmecker ist die
stufenartig ansteigende und wechselnde Wallbepflanzung
außerhalb der Zitadelle, Die Sternspitze an der Bastei ist
durch zwei Pappeln betont.
Wundervoll wirken die grünen Sternzacken des Bois de
Boulogne von der freien Seite von Lambersart her, manche
Spitzen sind noch betont. Ich habe die sternförmige An
ordnung auch kulissenhaft in der „Flandria Illustrata“ ge
funden, und zwar bei einem Klosterpark bei Alt-Brüssel.
Die Sternform war hier als Rasenfläche ausgenutzt; die
großen und kleineren Zacken bildeten bei der Prozession
die einzelnen Stationen.
Abb, io. Sternzacke der Zitadelle, Polygon-Platz und Lindenhain
am Deule-Kanal.
Wenn eine Stadt, wie Lille, das Vorgelände der Wälle,
das frei ist und zum Teil aus Wiesen besteht, erwirbt, um
diese als größere Freiflächen zu Spiel- und Sportzwecken in
den grünen Ring einzubeziehen, hat es jetzt noch Gelegen
heit, auf geschichtlicher Grundlage sich einen Volksring zu
schaffen. Aber die Geldmänner sind schon an der Arbeit,
und Lille wird wohl bald nach dem Kriege seinen grünen
Ring verlieren, und die rasche Industrie wird ihren Eisen
gürtel dem grünen Ringe folgen lassen. Noch aber gehören
die grünen Wälle der Jugend, und der Volkshunger nach
dem Grün ist groß. Hat doch Lille neben seinen allerdings
wundervollen Esplanaden, neben seinem Hain am Kanal von
Vaubans Zeiten her, außer dem Garten beim Palais Vauban
keine nennenswerten Volksgärten.
DOMFREILEGUNG IN MAGDEBURG.
Von Geheimem Baurat PETERS. Stadtbaurat in Magdeburg.
Die Frage der Freilegung unserer Kathedralen hat
bekanntlich vor etwa zwei Jahrzehnten alle Welt, nicht
nur die mit städtebaulichen Fragen sich beschäftigende
Fachgenossenschaft, zur Erörterung angeregt, ob die da*
maligen Bestrebungen zur Steigerung der monumentalen
Wirkung der großartigen Bauwerke durch ungehinderte
Öffnung des Blicks, durch Aufschließung der Nachbarschaft,
Niederlegung der sich herandrängenden Gebäude, Be
seitigung ganzer Baublöcke nicht arg verfehlt waren.
Klärend und bahnbrechend wies Camillo Sitte in seinem
klassischen Werke: „Der Städtebau nach seinen künst
lerischen Grundsätzen“ auf die höchst bedenklichen ästhe
tischen Schädigungen hin und betonte, daß die alten go
tischen Dome gerade zu ihrem Vorteil rings herum so eng
verbaut sind, daß sie nur zum Hauptportal einen freien Zu
gang behalten sollten, was durchaus der Bewegung des
Volkes zur Kirche, dem Einzuge von Prozessionen bei hohen
kirchlichen Feierlichkeiten entspräche. Dafür genügte aber
eine auf den Haupteingang führende Straße von ange
messener Breite, die zugleich den Charakter der „Aussichts
straße“ erhielte, vollkommen! Die Freilegung einer ehr
würdigen, alten gotischen Kirche darüber hinaus gereicht
dem Eindruck der gewaltigen Verhältnisse des Bauwerks,
deren Vergleich mit Gebäuden gewöhnlichen Maßstabs nicht
mehr möglich erscheint, entschieden zum Nachteil. „Die
Wiener Stefanskirche würde, auf den endlos leeren Votiv
kirchenplatz versetzt, ihre ganze jetzige mysteriöse Wirkung
einbüßen, während die herrliche Votivkirche, an Stelle des
Straßburger Münsters oder an Stelle von Notre Dame zu
Paris versetzt, eine viel mächtigere Wirkung hervorbringen
müßte als in ihrer jetzigen unpassenden Umgebung.“ C. Sitte
schlug für die Wiener Votivkirche eine Verbauung vor der
Turmfront nachträglich vor, um für das Bauwerk erst die
Umrahmung und den Maßstab zu gewinnen. Auf die be
kannten Beispiele von jetzt als fehlerhaft allgemein be
dauerten Freilegungen soll hier nicht weiter eingegangen
werden!
Der Magdeburger Dom bedarf keiner eigentlichen Frei
legung mehr. Im Norden breitet sich von jeher ein überaus
weiträumiger Platz vor ihm aus, viel zu groß, so daß die
Gesamtwirkung des Domes viel eindringlicher sein würde,
wenn man eine Schätzung der gewaltigen Längen- und
Höhenabmessungen nach den Verhältnissen von Gebäuden
in näherer Umgebung vornehmen könnte. Das ist nicht der
Fall und wird auch niemals erreicht werden können, wie man
seit dem frühen Mittelalter hier immer mit einer „Dom
freiheit“ — merkwürdigerweise und ganz abweichend von
sonstigen Beispielen — zu tun gehabt hat. Die seit Jahr