DER STÄDTEBAU
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mittelbaren Anschluß an die bebauten Stadtteile belegen, in
den Besitz der Stadt über. Durch die seit Jahren betriebenen
planvollen Ankäufe südlich des Pregels (Haberberger Wiesen,
Gut Rosenau) sind außerdem im Anschluß an diese Flächen
weitere Geländeteile von bedeutendem Umfange in städti
schen Besitz gelangt, so daß die Stadt über ganz erhebliche
Gebietsteile der Südfront verfügt. Die Vorteile, in deren
Genuß die gesamte Stadt durch die Entfestigung im Laufe
der Jahre kommen soll, sind der Südfront bisher noch nicht
zuteil geworden; eine kraftvolle Entwicklung der Stadt
hat zunächst fast ausschließlich im Norden und Westen
eingesetzt.
Die Erschließung der jetzt noch brachliegenden Gelände
der Südstadt ist jedoch für die wirtschaftliche Entwicklung
der ganzen Stadt deshalb von ausschlaggebender Bedeutung,
weil dieses Gebiet für Ansiedelungen der Industrie und des
Handels ganz besonders geeignet ist und Königsberg nach
seiner Entstehung, seiner Lage und seiner Entwicklung eine
ausgesprochene Handelsstadt ist. Infolgedessen muß auf die
Entwicklung derjenigen Stadtteile, welche zur Hebung des
Handels und des Verkehrs bestimmt sind, besonderer Wert
gelegt werden. Der Handel hat sich bisher, dem Charakter
Königsbergs als Seestadt entsprechend, in der Unterstadt an
gesiedelt und entwickelt, während die Oberstadt hauptsäch
lich Wohnzwecken dient. Die wirtschaftliche Kraft der
Stadt liegt deshalb in der Unterstadt.
Zur Förderung des Wirtschaftslebens, insbesondere des
Königsberger Handels und Verkehrs, haben die städtischen
Körperschaften in letzter Zeit Beschlüsse von weittragender
Bedeutung gefaßt. Abgesehen von dem schon erwähnten
Entfestigungsvertrage, sind in letzter Zeit folgende Verträge
abgeschlossen worden:
1. der Vertrag über die Umgestaltung der Eisenbahnanlagen
vom 15. Februar 1912,
2. der Vertrag über den Ankauf des Kaibahnhofes vom
19. August 1913,
3. der Vertrag über die Durchführung der Zugangstraße zum
neuen Personenbahnhof über den alten Haberberger Kirch
hof vom 13. Februar 1912.
Die von der Staatseisenbahnverwaltung mit dem Auf-
wande von fast 40 Millionen betriebene Umgestaltung der
Eisenbahnanlagen von Königsberg ist bereits in Angriff ge
nommen und soll so gefordert werden, daß der Haupt
bahnhof, wenn irgend möglich, im Jahre 1918 dem Verkehr
übergeben werden kann. Bis dann müssen natürlich die
Hauptzugangstraße zum Bahnhof atfsgebaut und der Bahn
hofsvorplatz hergerichtet sein. In dem Vertrage über den
Ankauf des Kaibahnhofes hat die Stadt die Verpflichtung
übernommen, bis spätestens am 1. Juli 1919 den gesamten
Betrieb der Hafenbahn zu übernehmen und spätestens bis
zum 1. Juli 1917 das Verbindungsgleis von dem neuen
Hafenbahnhof nach dem Aschhof und der Werfthalle fertig
zustellen.
Aus allen diesen Gründen müssen die Arbeiten für die
Erschließung der städtischen Ländereien südlich des Pregels
unverzüglich in Angriff genommen werden, insbesondere
muß das fast durchweg niedrig gelegene Gelände so
bald als möglich aufgehöht werden, damit der Füllboden
genügend ablagern kann. Es war beabsichtigt, mit den
Arbeiten bereits im Herbst 1914 vorzugehen; diese Absicht
wurde jedoch durch den Ausbruch des Krieges vereitelt.
Jetzt bot sich für die Stadt eine ausgezeichnete Gelegenheit,
die Erdarbeiten unter Zuhilfenahme von Kriegsgefangenen,
die unter günstigen Bedingungen zur Verfügung gestellt sind»
schon vor Beendigung des Krieges in Angriff zu nehmen.
Begünstigt wird die Förderung der Arbeiten ferner dadurch,
daß das Gouvernement zur Beschäftigung den Gefangenen
schon jetzt — also vor den Vertragsterminen — die Erlaubnis
erteilt hat, einen Teil der südlichen Stadtumwallung
einzuebnen. Weiter ist der Stadt zur Beschaffung von
Arbeitsgelegenheit für Kriegsgefangene das Recht ver
liehen worden, die benötigten Privatgrundstücke in der Süd
front und im Gebiet des neuen Hafens im vereinfachten
Wege zu enteignen.
Die Gemarkung von Königsberg südlich des Pregels
muß zugunsten der Entwicklung der Stadt nach einem
einheitlichen Plane aufgeteilt werden, damit die ver
schiedenartigen Anforderungen, welche zu beachten und
nötigenfalls auszugleichen sind, die gebührende Berück
sichtigung finden. Es kann hier nicht in erster Linie darauf
ankommen, wie es bei der Nordwestfront der Fall war,
neues Baugelände für Wohnzwecke zu erschließen, sondern
es muß der größte Wert darauf gelegt werden, daß unserem
Handel und Verkehr zu Wasser und zu Lande günstigere
Ansiedelungs- und Erwerbsmöglichkeiten wie bisher ge
schaffen werden. Weiter sind für die verschiedenen Arten
von Industrieen, wie sie sich bereits bei uns angesiedelt
haben, und wie sie für die Zukunft erwartet werden können,
die Ansiedelungsverbältnisse zu verbessern und zu erweitern.
Für den Handel und die Industrie, die vom See
verkehr abhängen, soll der Handels- und Industriehafen im
Westen zwischen dem Pregel und dem Nassen Garten ge
schaffen worden. Von diesen soll der Handelshafen der
Stadt am nächsten liegen, und zwar unmittelbar westlich
der neuen Eisenbahnbrücke; der Industriehafen soll etwas
weiter westlich, gegenüber dem KÖnigsberger Lagerhaus,
liegen. Vergleiche Tafel 3.
Bei der Neuanlage größerer Häfen geht das Bestreben
bekanntlich dahin, den Flußlauf selbst für die durchgehende
Schiffahrt frei zu halten. Weiter ist es erwünscht, daß die
Ein- und Ausfahrten möglichst bequem zur Schiffahrts
richtung liegen, und daß die Hafenbecken, der Übersicht
lichkeit wegen, eine möglichst geradlinige Form erhalten.
Ferner muß natürlich auf eine günstige Lage der Zugangs
straßen und der Eisenbahn-Anschlußgleise Rücksicht ge
nommen werden. Diese Grundforderungen galten auch bei
dem neuen Entwurf als Richtlinien.
Es sind zunächst fünf Hafenbecken vorgesehen, wovon
die Becken I und II des Handelshafens und das Becken IV
des Industriehafens zuerst ausgebaut werden sollen;
über 4000 m nutzbare Uferfront werden so gewonnen.
Das Hafenbecken I soll mit den dazugehörigen Ufer
flächen dem Handel, der auf die große Seeschiffahrt ange
wiesen ist, dienstbar gemacht werden. Sein Ostufer soll zu
einer öffentlichen Umschlagstelle ausgebildet und mit Kai
mauern, Umschlagsschuppen und Krananlagen ausgestaltet
werden. Auf dem Westufer sind Pachtplätze vorgesehen.
Das Hafenbecken II und die dazu gehörigen Uferflächen
sollen für die Anlage des Freibezirks Verwendung finden.
Das Hafenbecken III soll zu der später notwendigen Er
weiterung des Handelshafens ausgebaut werden. Die Hafen
becken IV und V sollen zur Ansiedelung von industriellen
Unternehmungen zu Pachtplätzen und zur Erbauung von
Getreidespeichern dienen.