DER STÄDTEBAU
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etwaige Hilfseinrichtung im wesentlichen auf das Entgegen
kommen der Regierungen angewiesen, wobei die Gefahr
besteht, daß diese durch dringliche Forderungen des Krieges
behindert sich mit den zeitlich ferner liegenden, aber zeit
raubenden Anforderungen nicht ausreichend befassen»
Erfreulich War die Bereitstellung von 1 Milliarde zu
Beginn des Krieges durch den Preußischen Staat, die wohl
im Falle einer Arbeitslosigkeit zum großen Teil dem Bau
gewerbe zugedacht war; wie aber die Durchführung dieser
oder ähnlicher Maßregeln gedacht ist, darüber war in den
baugewerblichen Zeitungen bisher noch wenig zu finden.
Von den Mitteln, die die übrigen Staaten und Gemeinden
bisher in Aussicht nahmen, läßt sich unter Anerkennung des
guten Willens heute mit Bestimmtheit sagen, daß sie in der
Zeit der ersten Friedensmonate den Anforderungen nicht
entsprechen werden und die Gefahr vorliegt, daß für etwaige
Weiterbewilligungen mit ausgearbeiteten Pianunterlagen
nicht vorliegen.
Eine verdienstliche Aufgabe der Fachzeitschriften und
Beteilichten wäre es, in dieser Hinsicht noch während des
Krieges Unterlagen zusammenzutragen und auf rechtzeitge
Bauvorbereitung zu dringen.
FAHRSTRASSEN — FUSSGÄNGERSTRASSEN.
Von J. F. HAEUSELMANN, Stuttgart.
Unser Straßenwesen steht auf dem Wege zu neuen
Entwicklungen. Grundsätzlich beruht jedoch unser Städte
bau noch auf dem Straßenbegriff des klassischen Altertums.
Dort galt die Straße als Ader des gesamten Stadtverkehrs,
und ein ethisch hochstehendes Volksleben, sowie eine glanz
volle Geschichte machten die Straßen zu Kanälen des Öffent
lichen Prunkes. Danach richtete sich auch die Gestaltung
der Hausformen; gegen die Straße wurden künstlerisch ge
hobene Schauseiten aufgeführt, während die übrigen Seiten
in geschmackvoller Einfachheit gegen die nichtöffentlichen,
oft auch prunkvoll ausgeführten Hausgärlen gerichtet waren.
Natürlich trat eine gewisse Abstufung der Straßen ein, so
daß sich als Grundlage des Straßenbaues die Anlage von
Prunk- und Nebenstraßen ergeben mußte. In der großen
römischen Zeit wurde diese Überlieferung mit Freuden auf
genommen; doch begann hier in der Anlage der Innenhöfe
schon die Verinnerlichung des Hausbaues, die dann später
zu den Schöpfungen „entre cour et jardin“ geführt hat.
Die Stadtanlagen des deutschen Mittelalters sind auf
diesen Grundlagen stehengeblieben; sie sind im Gegensatz
zu den klassischen Aufteilungsformen der antiken Städte
nur romantisiert worden, die Straßen werden krumm, und
es entsteht der malerische Städtebau des Mittelalters. Wenn
auch hier nicht mehr von Prunkstraßen Im Sinne des Alter
tums gesprochen werden kann, so sind die neuen Straßen
doch alle Schaustraßen, welchen sich nach wie vor die
Hauptseiten der Häuser zuwenden. Hier beginnen auch die
Anfänge des deutschen Baurechtes, das die Straßen als
öffentliche Glieder den Stadtanlagen einführt, sie werden
Gemeindeeigentum, während der Hausbau, als eine nicht
öffentliche Angelegenheit, zunächst frei, dann gesetzlich
geleitet einer höheren Ordnung zugeführt wird.
Die natürlichen Ursachen dieses Städtebaues sind bis
in das 19. Jahrhundert unverändert geblieben. Die Verkehrs
formen selbst in den größten Städten besaßen ein beschau
liches Gepräge, welches zu einer künstlerisch gehobenen
Ausbildung der Straßen führte und auch die Lage der besten
Hausräume nach der Straße zur Folge hatte. Gewiß hat
auch das deutsche Mittelalter Innenhöfe gekannt; es ist aber
bezeichnend, daß sie meist als Arkadenhöfe und weniger
als Wohnhöfe ausgebildet sind. Im 19. Jahrhundert jedoch
hat sich das Aussehen des Verkehrs zusehends verändert,
und heute ist es eine gewagte Behauptung, ihn noch als
anschaulich zu bezeichnen. Es kam zweifellos in unser
Straßenwesen eine Zwittererscheinung, indem die über
lieferten technischen Grundlagen mit einem neuartigen Leben
erfüllt wurden, das jedoch mit den früheren Zuständen nur
wenig mehr gemein hat und deshalb folgerichtig technische
Änderungen bedingt. Diese Sachlage wurde von unseren
Städtebauern auch erkannt, und sie haben sich bemüht, ihr
gerecht zu werden.
Wohl das größte Verdienst in diesen Bestrebungen
gebührt dem Herausgeber dieser Zeitschrift, dem Geheimen
Baurat, Professor Theodor Goecke. Die erstmals in den
„Preußischen Jahrbüchern“ von 1893 begründete Unter
scheidung zwischen „Verkehrsstraßen“ und „Wohnstraßen“
hat sich inzwischen fest eingebürgert, und der städtische
Verkehr ist damit einem hohen Grade der Unterscheidung
und Ordnung zugeführt worden. Die Verkehrsstraße ent
spricht heute im veränderten Sinne der antiken Prunkstraße,
die Wohnstraße trägt die Art der entsprechenden Neben
straßen, nur daß eben der heutige Verkehr auch nicht mehr
im alten Sinne beschaulich ist. Die Lage der besten Haus
räume nach den Straßen zu ist beibehalten geblieben. Im
übrigen ist zuzugeben, daß ein Teil der Straßen zeitweilig,
etwa in Festzeiten, immer noch im guten Sinne beschaulich
sind, und es gehört zum Stolz jeder Stadt für solche Gelegen
heiten mindestens eine „Ehrenpforte“ und eine „Ehrenstraße“
zu besitzen. Leider hat gerade diese Übung zur Vernach
lässigung der übrigen Straßen geführt, und erst in den letzten
Jahrzehnten hat man auch diesen mehr Sorgfalt zugewendet.
Viel schlimmer stand es aber infolge zu wenig einschrän
kender Bauordnungen mit den Neben- und Hinterflächen
der Wohnhäuser. Die Verbesserung wurde hier vielfach
durch Anlage von Vorgärten gegen die Straße zu gesucht,
damit wenigstens die Hauptfensterwand reichlich Lichtein
fall erhielt.
Es ist aber kein Zweifel mehr, daß die alte Bahn des
Straßenwesens dem Ende zugeht, und so hat erstmals der
amerikanische Städtebauer Ford beim Wiederaufbau von
San Franzisko die Trennung des Fahr- und Fußverkehrs
vorgeschlagen. Die alte Straße wird damit zur reinen Ver
kehrsfläche für den Fährverkehr herabgedrückt, während
für den Fußgängerverkehr das Innenland der Bauflächen
erschlossen wird, und Hand in Hand damit liegt die Ver
legung der Hauptwohnräume nach dem ruhigen Innenland
nahe. Die frühesten Spuren dieser Idee sind zweifellos in
Asien zu suchen. Die dortigen Bodengestaltungen haben bis
heute keinen technisch ausgebauten Straßenbau aufkommen
lassen, so daß sich auf den Straßen auch weniger ein an^