DER STÄDTEBAU
H. P. BERLAGE UND SEIN ERWEITERUNGSPLAN
AMSTERDAM-SÜD.
Von MAX EISLER, Wien.
Nur der Krieg hat es mit sich gebracht, daß der 60. Ge
burtstag des großen Baumeisters, des größeren Vorkämpfers
einer neuen Baugesinnung, nicht auch außerhalb Hollands
festlicher begangen wurde; denn ein Künstler wie er ge
hört seinem Vaterlande allein nicht an. Wohl ist die ört
liche Bedingung in seinem Tun lebendig, man vergegen
wärtigt sie am besten mit seinen eigenen Worten, mit seiner
Verherrlichung der nationalen Backsteinkunst: „Auf den
Bergen des Schweizerlandes ist eine Steinbackerei nicht
möglich, und darum ist auch dort keine intime Begriffs
äußerung zu erwarten, so gefühlvoll, wie sie in gebackener
Erde zu machen ist. Die nationale Äußerung entsteht durch
die Arbeit mit der Materie des Mutterbodens; ein Holländer
ist kein Steinhauer, ein Bergbewohner macht keinen Terra
kottabau.“
Aber dem Mann des neuen Bauprogramms ist die gegen
wärtige Kulturwelt eine zweite Heimat. Aus dem Teil ihres
Zusammenlebens schöpft er den Teil des Grundsätzlichen in
seinem Werke, der überall möglich und gültig ist, und der
Idee letztes Ziel ist die Menschheit, der Sozialbegriff. Neben
jenen vaterländischen Sätzen stehen andere; sie verlieren
nicht den nationalen Grund, sie kommen aus ihm, das farb
lose Allerweltswesen ist diesem Charakter durchaus fremd,
aber sie greifen darüber hinaus ins Allgemeine: „Sowie der
Humanismus unter die Menschen kommt, entsteht eine neue
Baukunst.“ Oder: „Die modernen Künstler müssen über die
Einseitigkeiten der griechischen und mittelalterlichen Kunst
hinauskommen (das heißt nach allem übrigen: sie müssen
zur Allseitigkeit ihres Lebens kommen)“. Und endlich: „Die
,soziale Idee der allgemeinen Menschlichkeit* würde er
reicht werden, wenn der Mensch seine Herrschsucht ab
gelegt hat. Wenn er, absehend von allen Bemühungen,
seinen Nächsten zu übertreffen, Übermacht über ihn aus
zuüben, ihm seinen Willen aufzuzwingen, ihn freiläßt in
seiner innigsten Überzeugung, ihn leben läßt sein eigenes
individuelles, persönliches, nicht allgemeines Leben.“ Solche
Sätze erreichen über den Baumeister hinaus den Menschen
Berlage, der auch uns gehört.
Vor allem Deutschland wird seinen Teil an ihm bean
spruchen dürfen. Hier hat er gelegentlich gebaut: schon
1887 eine Schankstube in Berlin, 1893 zwei solche in Ham
burg und Bremen, 1902 das Kontorgebäude der „Allgemeinen
Lebensversicherungsgesellschaft“ in Leipzig. Seine Arbeit
trat in tätige Beziehung zu deutscher Kunst und Forschung:
1906 entwarf er ein Wagnertheater für Amsterdam, 1910
eines für den Haag, und er hat nach Haeckels Naturforraen
eine Reihe von Ornamentstudien gezeichnet. Vor deutschen
Hörern hat er in Vorträgen seine Baugedanken entwickelt
und zum Teil auch in deutscher
Sprache erscheinen lassen: 1905 die
„Gedanken über Stil“ (Leipzig), 1908
die „Grundlagen und Entwicklung der
Architektur“ (Berlin), Seine Schrift
stellerei war reichlich deutscher Ar
beit gewidmet; ihr galten die Auf
sätze über Alfred Messel, über die
moderne deutsche Architektur und
die Brüsseler Ausstellung, der Reise
eindruck auf der Internationalen Bau-
fachausstellung in Leipzig und die
Schrift über mein Buch: „Die Ge
schichte eines holländischen Stadt
bildes“. Aber darüber hinaus ist sein
Wirken und Denken vielfach ver
ankert im deutschen Geistesleben,
dem alten und gegenwärtigen. Un
vergessen ist mir die Stunde, da
zwischen uns das Gespräch über
Otto Wagner ging. In vielem er
scheint durch ihn Haag-Amsterdam
als der nördliche Pol einer modernen
Baubewegung, die in Wien ihren
südlichen hat, namentlich auch in
der Sache des Städtebaues.
Und so sei ihm von hier aus
nachträglich der bescheidene Fest
gruß gebracht, der zugleich Dank
und Bekenntnis ist.
Abb. 7. Amsterdam, gesehen von der neugeplanten Amstelbrücke.