DER STÄDTEBAU
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In einem frisch und anregend geschriebenen Aufsatz be
handelt Dr. Rud. Hecker die Beziehungen zwischen Bau
beratung, Kleinwohnungsbau und Wirtschaftsleben. Der
Jahresbericht für 1912 enthält, neben einer Denkschrift zum
Preußischen Wohnungsgesetzentwurf, die Mitteilungen über
die Vereinsarbeit und die fortschreitende Tätigkeit der Bau
beratungsstelle, sowie eine Abhandlung von Dr. Lin decke
über die Pflege von Kleinwohnungen, der ein beachtenswertes
in 17 Artikeln abgefaßtes „Merkblatt“ beigegeben ist. 1 )
Aus dem Bericht über die 16. Generalversammlung des Rheinischen
Vereins für Kleinwohnungswesen am 15. und 16, November 19x3 ist ins
besondere der Vortrag von Oberbürgermeister Dom in icus-Schöncberg
Uber Wohnungsordnung und Wohnungsaufsicht, ihre praktische Ausge
staltung und Durchführung in den Gemeinden auf der Grundlage des
preußischen Wohnungsgesetzentwurfs hervorzuheben.
Der Westfälische Verein für Kleinwohnungswesen er
wähnt im Jahrgang 1912 * 2 * ) die bedeutenden Leistungen, die die
privaten Arbeitgeber für die Herstellung von Kleinwohnungen
aufwenden; die Zahl der durch Arbeitgeber in Westfalen
errichteten Wohnungen hat sich von 22196 im Jahre 1903
auf 56348 im Jahre 1912 gehoben. Bemerkenswert ist die
Pflege des Kleinhauses bei den Bauten der Arbeitgeber; rund
52°/ 0 der Häuser sind Ein- und Zweifamilienhäuser. Der
Jahresbericht enthält die Vorträge von Geheimrat Prof. Dr.
Erman (Die privatrechtlichen Fragen des Baubodens und des
Baukredits), Dr. Altenrath (Forderungen an die Wohnungs*
gesetzgebung) und Dr. Lade (Geldbeschaffung der Bau
genossenschaften). Der Jahresbericht für 1913 erscheint in
wesentlich erweitertem Umfang und füllt einen stattlichen
Band. Neben den Vorträgen von Vormbrock über Er
fahrungen aus der Baugenossenschaftsarbeit und Stempel
über die genossenschaftlich gebundenen Vermögen der Mit
glieder enthält der Bericht die Wiedergabe eines Vortrags
von Ministerialdirektor Dr. Freund, dessen Ausführungen
über „die gemischte wirtschaftliche Unternehmung im Dienste
des Wohnungswesens“ eine hervorragende Bedeutung zu
kommt. Auf den drei wichtigsten Gebieten der Wohnungs
reform, nämlich der Beschaffung billigen Baugeländes, der
Herstellung günstiger Verkehrsverbindungen und der Er
bauung guter Wohnungen mit billigem Baugeld, müssen
wir versuchen, zu besseren Zuständen zu gelangen, wobei
wir indes keineswegs das Privatkapital ausschalten dürfen,
sondern die öffentlich-rechtlichen mit den privatgewerblichen
Interessen verbinden müssen. Die heute hier bestehenden
Gegensätze sollen ausgeglichen werden, indem eine Form
der Unternehmung gefunden wird, die das Privatkapital be
friedigt und anreizt, zugleich aber die anerkannten öffent
lichen Interessen sicherstellt. „Der Hypothekarkredit hat
die Tendenz, in die Selbstverwaltung der Haus- und Grund
besitzer überzügehen.“ Gegenüber den Versuchen, die Ge
meinden zur Beschaffung von Realkredit heranzuziehen,
kann Dr, Freund eine gewisse Befürchtung nicht unter
drücken; namentlich die Hergabe II. Hypotheken in größerem
Umfange erweckt Bedenken (S, 28). Die richtige Lösung
ist die Vereinigung der Gemeinde mit den Trägern des Grund
besitzes in einer Gesellschaftsform, in der das öffentliche
Interesse gleichberechtigt neben dem privaten zur Geltung
*) Denkschrift zum Preußischen Wohnungsgesetzentwurf und Jahres
bericht des Rheinischen Vereins für Kleinwohnungawesenfür 1912, Düssel
dorf (fiagel) 19x3; 60 S. 4 0 .
2 ) Berichte Uber die 11. Mitgliederversammlung des Westfälischen
•Vereins zur Förderung des Kleinwohnungswesens am 16. November 1912
in Dortmund, Münster. i./Westf. (Bredt) >913; 120 S. 8°.
gelangt. Eine solche Form erblickt Dr. Freund in der von
ihm vorgeschlagenen „gemischten wirtschaftlichen Unter
nehmung“, in der das Privatkapital die Mehrheit des Aktien
besitzes hat, der Gemeinde dagegen neben bestimmten Auf
sichtsrechten qualifizierte Minoritätsrechte zustehen sollen.
Die Darlegungen Dr. Freunds erscheinen gleich wertvoll
durch die scharfsinnigen und mitunter programmatischen
Ausführungen, in denen die Hauptprobleme des Wohnungs
wesens knapp zusammengefaßt werden, wie durch den neuen
Reformvorschlag, der eine zweifellos aussichtsreiche Form
für die Behandlung wohnungspolitischer Aufgaben bietet.
An den Jahresbericht schließt sich eine inhaltsreiche Abhandlung,
die die verschiedenen Gebiete des Wohnungswesens erörtert. Aus den
einzelnen Abschnitten seien erwähnt die Ausführungen Uber den Wohnungs
gesetzentwurf und die Realkreditfrage. Die statistischen Erhebungen Uber
die Wohnverhältnisse sind seitens des Vereins fortgesetzt worden. Hin
sichtlich der Hausformen hat sich ergeben, daß das Einfamilienhaus von
privaten Unternehmern fast nur in den mehr ländlichen Gegenden West
falens errichtet wird; das Zweifamilienhaus überwiegt noch in einer
großen Anzahl von Gemeinden mit industriellem Charakter, während im
allgemeinen mit fortschreitender Industrialisierung die engere Bebauung
und das Mehrwohnungshaus (6—8 Wohnungen) an Ausdehnung ge
winnen (S. 155). Aus der Statistik ergibt sich weiter, daß durch die
gemeinnützige Bautätigkeit (Reich, Staat, Gemeinde, Arbeitgeber) bis
zum Jahre 191a in Westfalen, 1307a Wohnungen für Beamte und
62069 Wohnungen für Arbeiter errichtet worden sind.
Der Bericht des Württembergischen Landes
wohnungsinspektors gibt in dem Jahrgang 1911/1912 be
merkenswerte Schilderungen der Wohnverhältnisse. 1 ) Die
ungünstigsten Wohnungszustände finden sich in den Bauten
älteren Bestandes, die einer Zeit entstammen, in der der
Begriff der selbständigen Kleinwohnung noch unbekannt
war. Ältere Bürgerhäuser und Wirtschaftsgebäude wurden
zu Kleinwohnungen aufgeteilt, Schuppen und Stallungen in
Kleinwohnungen umgewandeit, eine Verwendung, für die
diese Bauten in keiner Weise geeignet waren (vgl. Eberstadt,
Städtebau und Wohnungswesen in Holland S'. 128ff., 193ff.).
Von den Wohnungszuständen, die sich in solchen Gebäuden
entwickeln, gibt der Bericht S. 22 f. anschauliche Beispiele.
Besonders ungünstig erscheinen die Wohnverhältnisse in
den den ausländischen Arbeitern (Polen, Russen, Italienern)
zugewiesenen Gebäuden. Die Wohnungsinspektion hat in
der Beseitigung oder Milderung der Mißstände eine umfang
reiche Tätigkeit entfaltet. Über die Bodenpolitik der Ge
meinden bringt der Bericht eingehende Angaben. Die Be
deutung und der Erfolg der Ulmer Bodenpolitik werden
hervorgehoben.
Im Eigenbau von Kleinwohnungen haben sich drei württembergische
Gemeinden betätigt: Giengen a. B. mit 10, Göppingen mit 16 und Ulm
mit 232 Häusern, die fast sämtlich der Form des Ein- und Zweifamilien
hauses angehören. Der Herstellungspreis der Gebäude beträgt 2021791 Mk.,
eine Summe, die von der Landesversicherungsanstalt mit 1,8 Millionen
= 88 ° ; ',i belieben worden ist. Hervorzuheben ist, daß der Herstellungs
preis einer Wohnung der Gemeindebauten durchschnittlich nur 4850 Mk.
betragen hat, gegenüber 5780 Mk. bei den Baugenossenschaftswohnungen
CS* 53).
Der im Jahre 1911 begründete Badische Landes-
wohnungsverein gibt seinen Jahresbericht für 1911/1912
heraus, aus dem hervorgeht, daß der junge Verein eine leb
hafte und ersprießliche Tätigkeit entfaltet. 2 ) Die gemein
nützige Bautätigkeit erfuhr eine namhafte Förderung; für
die Besserung der Wohnverhältnisse versuchte der Verein
1 ) Jahresbericht des Königl. Württembergischen Landeswohnungsin
spektors für die Jahre 1911 und £912, Stuttgart (Kohlhammer) 1913; 104 S. 8°,
*) Schriften des Badischen Landeswohnungsvereins: Jahresbericht
für 1911 —1912;. Karlsruhe,