DER STÄDTEBAU
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Vom Graben rechtwinklig abzweigend, hat man den
Wenzelsplatz, eine kurze, breite Prachtstraße, den sanften
Höhen im Westen des Stadtgebietes entgegengeführt und ist
hier großzügig genug, einzelne Bauten über die sonst nach
der Bauordnung zulässige Höhe sich herausheben zu lassen:
ein Zugeständnis, das dem Straßenbild vielleicht einmal die
Größe verschaffen wird, die die Erbauer im Sinne haben
mochten, als sie die mächtige Baumasse des Nationalmuseums
zum Zielpunkt und zur Bekrönung dieser SIraße bestimmten.
Wer vom Belvedere oder der Hasenburg, zwei Aussichts
punkten über der Kleinseite, die unvergleichlich schöne Pano
ramen der Stadt zeigen, auf die weit ausgedehnte rechte Moldau
stadt herabblickt, wird das Nationalmuseum als eigentlichen
Stadtmittelpunkt weit über das Dächermeer herausragen sehen,
in beherrschender, edel gelagerter Masse, gleich hervorragend
durch die Gunst seiner Lage wie durch die Monumentalität
seiner Formen.
Der Wenzelsplatz mochte die Prager Stadtväter befriedigt
haben; darum glückte es, auch in den neuen Stadtteilen ge
nügend viele und weite Ffeiplätze der Bebauung zu entziehen,
namentlich aber die an den Anhöhen sich hinaufschlingenden
Grünflächen zu Stadtgärten und öffentlichen Anlagen auszu
bauen. Dies bedeutet einen gewissen Ausgleich für dieSchäden
der dichten Bebauung. Bei seiner geringen Gesamtboden
fläche besitzt Prag an Gärten und öffentlichen Anlagen das
hohe Maß von 287 ha, d. s. 13,65°/ 0 der Gesamtfläche.
Dabei entfällt der größte Teil dieser Freiflächen in Prag
auf die wunderbaren Parkanlagen an den Hängen des linken
Moldauufers, die, bekrönt von bemerkenswerten Bauwerken
und benetzt von dem breiten, inselreichen Strom, den schön-
heitlichen Ruf von Prag nicht in letzter Linie mitbegründet
haben.
Der Kinskygarten, der Wald des Lauretiziberges, der Lob-
kowitzgarten und die Belvedereanlagen begleiten die Moldau
fast auf dem ganzen schönen Halbbogen, in dem diese
die Stadt umschlingt, und sind mit ihrem prächtigen, üppigen
Baumwuchs, den wohlgepflegten Wegen und Dutzenden
überraschender Aussichtspunkte das beliebtesteZielder Prager
Spaziergänger. Der Umstand, daß die Umgebung der Stadt
an schön gelegenen Ausflugsorten außerordentlich arm ist und
zu weiteren Spaziergängen nicht verlockt, erhält diesen An
lagen dauernd die Liebe der Bevölkerung, auch der wohl
habenden. Sie werden, auch wenn die Prager Altstadt eine ähn
liche Citybildung erleben sollte wie bereits einzelne unserer
deutschen Großstädte, stets in unmittelbarer Nähe diese
Geschäftsmitte umschließen, ihre liebenswürdige Frische
darauf zurückstrahlen und, da sie wohl stets der Bebauung
entzogen bleiben, dem Prager Stadtbild an der hervorragendsten
Stelle seine Schönheit für alle Zeiten bewahren.
Bisher durchfließt die Moldau in Prag im wesentlichen
noch eine Wohnstadt, und sie selbst, wie ihre Uferbilder sind
noch wenig beeinflußt von den Zweckbauten und dem leb
haften geschäftlichen Verkehr, wie ihn ein lebhafter Handel
und bedeutende industrielle Tätigkeit hervorrufen. Die
Handelsschiffahrt konnte bisher keine recht große Bedeutung
gewinnen, da die Industrie am Oberlauf der Moldau nur spär
lich vertreten ist. Und auch der Verkehr der Ausflugsdampfer
ist nicht bedeutend. Er leidet unter der geringen Anziehungs
kraft der Landschaft. Dagegen hat die ruhige Strömungund
die seeartige Verbreitung derMoldau inner- und oberhalb Pr^gs,
die in dem sonst schnellen Bergstrom durch zwei Staustufen
hervorgerufen worden, einen fröhlichen Wassersport insLeben
gerufen, der namentlich an warmen Sonntagen ein zahlreiches,
frohes Völkchen in leichten Booten auf das Wasser und an
die stromauf und -ab gelegenen, dünn besiedelten Wiesenufer
zum Bade lockt.
Nun wird dieser Zustand wohl nicht mehr von sehr langer
Dauer sein. Denn sicherlich wird Böhmen die überreichen
Wasserkräfte seiner Bergströme, namentlich derMoldau und
der Elbe, früher oder später durch Schiffahrt und elektrische
Kraftgewinnung in viel höherem Maße auszunützen trachten,
als dies bisher geschah — und geschehen konnte.
Was die Schiffahrt heute an Roherzeugnissen — Holz,
Braunkohlen, Steinen, Kalk und landwirtschaftlichen Erzeug
nissen — aus dem an Bodenschätzen so überaus reichen
Böhmen zu Tal frachtet, und was an chemischen und tech
nischen Fabrikaten, an Steinkohlen und Kolonialerzeugnissen
dafür von den deutschen Elbestädten nach Böhmen eingeführt
wird, kann bedeutenden Zuwachs und Erweiterung erfahren,
sobald nur die Elbe und Moldau den größten Teil des Jahres
über eine brauchbare und billige Fahrtrinne bieten werden.
Denn eine solche fehlt hier der Schiffahrt noch, Wohl
hat man versucht, die unter dem Einfluß von Hochwässern
und Trockenperioden überaus schwankende Wasserführung
der beiden Ströme durch Längswerke, Staustufen und Nadel
wehre mit Schleusen zu regulieren. Diese Maßnahmen er
füllen aber nicht in gewünschtem Maße ihren Zweck. Die
Längswerke kommen infolge des groben Geschiebes, das die
beiden Flüsse mit sich führen, nur langsam zur Wirkung,
die Staustufen aber verteuern durch die Frachtverzögerung
und den Schleppzwang die Schiffahrt und Flößerei nicht
unbeträchtlich.
Nun hat kürzlich Major von Donat einen ähnlich groß
gedachten Vorschlag, wie ihn einst sein Plan für die Aus
nutzung der bayerischen Walchensee-Wasserkräfte brachte,
für die Ausnützung der Elbe- und Moldau-Wasserkräfte ver
öffentlicht.*) Er empfiehlt, in wirksamerer Weise als durch
die bisherigen Maßnahmen die Flußregelung in wenigen
großen Stauseen am Oberlauf der beiden Ströme zusammen
zufassen: Die Hochwässer aus dem Gebirge sollen in den
gewaltigen Stauräumen, deren Anlage durch die Gunst des
Geländes an mehreren geeigneten Punkten ermöglicht wird,
für die Zeiten sommerlicher Trockenheit aufgespeichert
werden, die Flußläufe dadurch stets eine normale Wasser
führung haben und der Schiffahrt, der Landwirtschaft und
durch die Ausnutzung des Stauwassergefälles in Elektrizitäts
werken auch der Industrie in hohem Maße zugute kommen.
Für die Moldau wird in erster Linie ein Stausee bei
Frauenberg oberhalb Prags vorgeschlagen. Für Prag würde
die Ausführung dieses beachtenswerten Planes (der alle
Eigenart des genialen Gedankens zeigt; die großzügige
und fast selbstverständlich scheinende Lösung einer viel
behandelten Frage, andererseits allerdings auch eine ge
wisse Geringachtung technischer, finanzieller und staats
rechtlicher Schwierigkeiten) den Anfang eines neuen Ent
wicklungsstadiums bezeichnen: Moldauauf- und abwärts,
wo heute nur wenige Kalkwerke arbeiten, würde sich, ge
lockt durch den günstigen Wasserweg, in Verbindung mit
Bahnanschluß, der Nähe reicher Braunkohlenlager und dem
an billiger elektrischer Kraft mancherlei Industrie ansiedeln
und die kommerzielle Bedeutung Prags wesentlich erhöhen.
*) „Das Elbe-Problem“ von Major F. M. von Donat, Berlin 1914, Ver
lag C. Heinrich, Dr®sden*N.