DER STÄDTEBAU
B eim Wiederaufbau der von den Russen
VERWÜSTETEN STÄDTE IN OSTPREUSSEN soll
auch auf die Anlage von Stadtteilen, die Gartenstadtcharakter
tragen, gesehen werden. Cerdauen und Tapiau haben in ihren neuen
Stadtplänen bereits Gartenstadtviertel vorgesehen. Es sollen Einfamilien
häuser mit zwei, drei und vier Zimmern, sowie Garten- und Ackerland
geschaffen werden. Die Häuser sollen von der Stadt erbaut und gegen
Anzahlung, geringe Verzinsung und allmähliche Tilgung an die Bürger
überlassen werden. Auch in Orteisburg und Lyck sind ähnliche Garten
stadtviertel geplant.
D ie Frage des WIEDERAUFBAUES DER DURCH DEN
KRIEG BESCHÄDIGTEN ORTE BELGIENS beschäftigt
seit längerer Zeit schon weite Kreise des Landes, vor allem die belgischen
Architekten. Die Königlich Belgische Kommission fUr Denkmäler und
Landschaften beauftragte bereits im November vorigen Jahres ihren Vor
sitzenden Lagasse de Locht sowie eines ihrer tätigsten Mitglieder Paul
Saintenoy, Architekten des Königs der Belgier und Lehrer an der
Königlichen Akademie der schönen Künste in Brüssel, mit der Abfassung
eines Berichtes über die Wiederherstellung der durch die Kriegsereignisse
zerstörten oder beschädigten. Orte Belgiens. Dieser ist vor kurzem er
schienen; er handelt von den den Öffentlichen Behörden obliegenden Ver
waltungspflichten — Pflichten, die in der gegenwärtigen Gesetzgebung
nicht überall scharf genug umgrenzt sind und denen die veränderte Lage
des Landes neue Aufgaben auweist — und kommt zu dem Schlüsse, daß
es in manchen Punkten einer Stärkung der Machtbefugnisse der öffent
lichen Behörden gegenüber den Hausbesitzern bedürfe. Das könnte auf
dem Wege der Landesgesetzgebung geschehen. Mit dem damit ver
bundenen Eingriff in die Selbstverwaltung der Gemeinden kann sich der
Ausschuß indes wenig befreunden. Er schlägt deshalb eine andere Lösung
vor, nämlich die Gemeinden und die Hausbesitzer auf die Innehaltung
von bestimmten Bauvorschriften festzulegen, wofern sie auf Schadlos
haltung oder Gewährung von Bauunterstützungsgeldern rechnen wollen-
„Wenn der Staat,“ schreibt Paul Saintenoy, „den Betroffenen freiwillige
Unterstützungen gewährt, muß er sein unumschränktes Recht geltend
machen, das Schönheitserbe, auf das unser Land so stolz war, wieder-
herzustellen. So wird der Staat seine Pflicht erfüllen, denn er wird bei
dem Wiederaufbau Belgiens Geschmacklosigkeiten und Plattheiten aus
schließen.“
Nun hat sich auch die angesehene Zeitschrift Le Home der Wieder
aufbaufrage angenommen; sie widmet ihr eine erste Sondernummer,
welche eine Reihe von Abhandlungen belgischer Sachverständiger enthält.
An der Spitze steht ein Aufruf des Leiters der Zeitschrift Hermann Dons,
der in der Aufforderung ausklingt: Wir wollen unser Vaterland in Schönheit
wieder aufbauen! Die Verwirklichung dieser Aufforderung sieht er in
der Beobachtung folgender drei Grundsätze: Die Kunststädte sollen alle
ihre geschichtlichen Denkmäler bewahren, und diejenigen, welche sie
verloren haben, wiedererhalten; man muß zweitens die Eigenheit gewisser
Anhäufungen (l’originalit£ de certaines agglomerations) festhaltcn, indem
man verhindert, daß der Nützlichkeitsgrund zur Vernichtung ihrer künst
lerischen und malerischen Reize beiträgt, und schließlich sei es notwendig,
beim Bau oder Wiederaufbau der privaten oder Öffentlichen Baulichkeiten
sich nach dem Baustil der betreffenden Gegend zu richten.
Inzwischen ist ein Schritt weiter geschehen: auf Veranlassung des
Senators E. Vinck, des Leiters der Vereinigung der belgischen Städte
und Gemeinden, haben die oben bereits erwähnte Commission Royale des
Monuments et des Sites und die eben genannte Gesellschaft einen Sonder
ausschuß, den Ausschuß für vorläufiges Obdach und Wiederaufbau, ge
bildet. Vorbereitende Arbeiten für Löwen, Dinant, Mecheln, Liers, Aerschot
und Termonde sind bereits in Angriff genommen. Vor allem galt es, die
Frage der Herstellung eines vorläufigen Obdaches zu lösen, da ja davon
oft der Wiederaufbau der Häuser abhängt. Einige Fachleute wurden be
auftragt, Hausbaupläne für Drei- und Vierzimmer-Wohnungen im Miet
preise von 600—900 Fr. auszuarbeiten, für Wohnungen, die mehrere Jahre
benutzbar sind und deren Baumaterial später wieder an anderer Stelle
verwendbar ist. Besondere Pläne über den vorgeschlagenen Wiederaufbau
der in Betracht kommenden Städte sollen demnächt veröffentlicht werden.
IE HEILUNG DER RUSSENSCHÄDEN IN OBER
UNGARN. Von der Stadt Dcbreczin ausgehend, wird im ganzen
Lande eine Aktion eingeleitet, um die während des Russeneinfalls zer
störten kleinen oberungarischen Gemeinden wieder aufzubauen. Alle
größeren Städte des Landes werden aufgefordert werden, die Kosten des
Wiederaufbaues einer kleinen Gemeinde zu übernehmen, wodurch die
Wiederherstellung der zerstörten Gemeinden rasch durchgeführt werden
könnte. In Dcbreczin haben sich bereits mehrere Personen gemeldet,
welche die Verpflichtung zur Wiederaufrichtung je eines_ Hauses^auf
eigene Kosten übernehmen.
D ER WIEDERAUFBAU OSTPREUSSENS. Die Kricgs-
hilfskommission in Ostpreußen hat in Gegenwart von zwei
Gästen aus Galizien, das ähnlich wie Ostpreußen die Schrecken des
Krieges über sich hat ergehen lassen müssen, eine Sitzung abgehalten.
Über den Stand der Bauangelegenheiten berichtete Geh. Bau
rat Fischer. Die rund 34000 zerstörten Gebäude verteilen sich auf die
drei Regierungsbezirke wie folgt; Königsberg rund 2400, Allenstein 13000,
Gumbinnen 18600. Im Königsberger Bezirk sind rund 1800 auf dem
Lande und 600 Gebäude in Städten, im Aliensteiner Bezirk 11500
Und 1500, im Gumbinner Bezirk 17500 und 1100. Als Durchschnitts
kosten der Wiederherstellung eines Gebäudes sind in den Vor
berechnungen 8500 Mk. geschätzt, so daß für den Gesamtschaden an
Gebäuden vorläufig eine Summe von 300 Millionen in Ansatz gebracht
werden kann.
Über die Gewährung besonderer staatlicher Mittel zu Beihilfen für
die Verschönerung des O rtsbildes führte Oberpräsidentv.Batocki
aus: Bei meinen Reisen durch Ostpreußen habe ich den Eindruck ge
wonnen, daß sich schon mit geringen Mitteln ein gutes Aussehen der
neu zu errichtenden Ortschaften erreichen läßt. In den einzelnen zer
störten Städten ist man der Ansicht, daß sich die Verschönerung Ost
preußens nur dann durchführen läßt, wenn die kommunale Finanzkraft
hierzu nicht übermäßig in Anspruch genommen wird. Die Städte machen
ihre Beteiligung an dieser Verschönerung Ostpreußens daher von Bedingungen
abhängig, und ich bin der Überzeugung, daß sich mit einigen hundert
tausend Mark hierin schon recht viel machen läßt und den Schwierig
keiten abgeholfen werden kann. Mein Antrag geht dahin, daß da, wo
mit verhältnismäßig geringen Mitteln eine wesentliche Verschönerung des
Ortsbildes herbeigeführt werden kann, und wo es nicht möglich ist, die
Kosten hierzu aus kommunalen Fonds zu bestreiten, ein besonderer
Fonds von Staatsmitteln hergegeben werden kann. Es würde sich
vielleicht um 10 bis 12 Städte handeln, die je etwa 50000 Mk, aufzu
bringen hätten, so daß als Maximum eine Million als die Summe für
alle in Betracht kommenden Städte angesehen werden kann. Die
Kommission erklärte sich mit diesem Anträge einverstanden.
Auch ein weiterer Antrag des Oberpräsidenten, der dahingeht, zur
Herstellung von Wasserleitung und Kanalisation ebenfalls die
Gewährung von Staatsbeihilfe zu erlangen, wurde angenommen. Der
Oberpräsident führte aus: ln verschiedenen Städten sind die Brunnen
entweder beschädigt worden, oder sie müssen verlegt werden, weil sie
an Stellen stehen, wo sie wirtschaftlich nicht von Nutzen sein können.
Für die kleinen Städte ist in dieser Zeit nun die Frage der Einrichtung
von Wasserleitung und Kanalisation akut geworden. Es sind im ganzen
12 Städte, die keine Wasserleitung haben. Dazu kommen 7 weitere
Städte, die zwar Wasserleitung, aber keine Kanalisation haben. Die zu
der ersteren Rubrik gehörenden Städte haben etwa 36000, die anderen
34000 Einwohner zusammen. Meine Ermittlungen haben ergeben, daß,
wenn man die Kosten für Einrichten von Wasserleitung und Kanalisation
in Friedenszeiten der heutigen Berechnung zugrunde legt, sich diese in
den kleineren Städten Ostpreußens auf ungefähr 40 Mk. pro Kopf der
Bevölkerung stellen würde. Es ergibt sich demnach bei den 12 ersten
Städten ein Betrag von 36 000X80, und bei den 7 anderen von 34000X4° Mk.
Kleinere Städte, bei denen die Verwendung des Dungs für den Ackerbau
hauptsächlich in Frage kommt, werden die Kanalisation von vornherein
ablehnen, dagegen ist es unbedingt wünschenswert, daß alle Städte
Wasserleitung bekommen. Nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen,
sondern auch im Interesse des Fremdenzuzugs.
Verantwortlich für die Schriftleitung: Theodor Goecke, Berlin, —. Verlag von Ernst Wasmuth A.-G., Berlin W., Markgrafenstraße 31. — Inseraten-
annahme Ernst Wasmuth A.-G,, Berlin W. 8. — Gedruckt bei Herrosd & Ziemsen, G, m, b, H„ Wittenberg. — Klischees von Ernst Wasmuth A.-G., Berlin.