DER STÄDTEBAU
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hofe und der Straße der Nationen von fürstlichem Abglanze,
— der Haupteingang paßte aber nicht auf die Stadt, so daß
die Übersicht schwer war, wenn man, was einem leicht
begegnen konnte, vom verkehrten Ende in die Ausstellung
kam; zwar war die Architektur in der Gruppierung der
Massen, in der Führung der Umrißlinien von lebendigem
Rhythmus — die Fassaden erstickten aber fast unter dem
Überschwang an Ornamenten und allegorischen Figuren
billiger Ausstellungskunst, die wir schon überwunden glaub
ten. Zwar war die ganze Aufmachung, insbesondere bei
abendlicher Beleuchtung, von festlicher Eleganz — franzö
sischer Firnis suchte aber hier noch mehr als in der alten
flämischen Hauptstadt selbst über den Charakter der über
wiegend niederdeutschen Bevölkerung hinwegzutäuschen —
es fehlte der vaterländische Grundton. Die Geschlossenheit
der auf ein einheitliches Ziel — in Erinnerung an die Er
hebung des Volkes gegen seine Bedrücker vom Jahre 1813 —
gerichteten Ausstellung in Breslau fand in der Zerfahrenheit
der Genter Allerweltsausstellung mit dem üblichen inter
nationalen Vergnügungstrübei ihr Gegenstück.
Der Vergleich hinkt natürlich — die eine war eben eine
einem bestimmten Zwecke dienende Provinzialausstellung,
die andere eine Weltausstellung, wennschon die Welt haupt
sächlich aus Belgien und Frankreich, dann aus einer sehr
viel kleineren englischen und auch deutschen Abteilung
bestand. Es ist nur ein Vergleich der Stimmungen, die
beide auslösten.
Der sogenannte und als solcher auch durch einen an
französische Vorbilder anklingenden Pavillonbau gekenn
zeichnete Haupteingang lag jenseits der die Stadt im Süd
westen berührenden neuen Eisenbahnlinie Brüssel—Ostende,
an der erst wenig angebauten Chaussee de Courtrai in der
Querachse der Ausstellung, die ihre Längsachse unter der
Eisenbahn hindurch nordöstlich bis in den auf der früheren
Zitadelle angelegten Stadtpark erstreckte; hier waren für
die meisten Besucher mehrere Eingänge zur Auswahl ge
boten. Man hätte an einer dieser Stellen wohl den Haupt
eingang erwarten dürfen. Kam man nun zu einem der
Nebeneingänge herein, so stand man ratlos über den ein
zuschlagenden Weg. Man irrte an dem Festsaalbau ent
lang, dem große, doch verstecke und darum wenig besuchte
Terrassen vorgelagert waren, ebenfalls ohne einen Überblick
zu gewähren — die Hauptachse war verbaut, den Wegweiser
gab die Ausstellungs-Miniaturbahn ab. Offenbar hat die
an sich löbliche Absicht, den Stadtpark möglichst zu schonen,
zu dieser Anordnung geführt.
Am Ende des die Straße der Nationen bildenden langen
Darmes lag die Deutsche Abteilung, wie bekannt das Werk
einer freien Vereinigung, da das Deutsche Reich die Be
teiligung abgelehnt hatte. Der Mangel einer amtlichen Ver
tretung machte sich auch auf dem zahlreich besuchten und
von allen größeren Staaten, von Frankreich und England
besonders stark, doch auch von Rußland und Österreich,
ferner von Italien, Spanien, den Niederlanden, Schweden,
Dänemark, Rumänien usw., von Chile, Argentinien, Ekuador,
Mexiko beschickten Städtekongreß mit seinen Festen fühl
bar. Die Verhandlungssprache war fast ausschließlich die
französische, zu der sich sogar einige Engländer zwangen.
Mancher der angekündigten Vorträge wurde übrigens nicht
gehalten; es ist bei solchen Gelegenheiten schon fast zur
Unsitte geworden, daß bekannte Namen als Redner an
gemeldet werden, die nachher nicht erscheinen. Um so
reichlicher sind die gedruckten Berichte ausgefallen, der
Zahl wie dem Umfange der einzelnen nach, die meisten
(rd. 12) natürlich aus Belgien, u. a. von dem auch deutschen
Fachgenossen wohlbekannten Ch. Buls, Altbürgermeister
von Brüssel, dem Architekten Jules Brunfaut, Vorstand
der Kunstschule an der Königl. Akademie zu Brüssel, dem
Oberingenieur der Brücken und Straßen Paul de Heem in
Antwerpen, den Stadtingenieur Soenen in Gent u. a. m. Aus
Frankreich und England in ziemlich gleicher Zahl (etwa
je 6), darunter Berichte der Architekten A. Augustin Rey in
Paris, H. V. Lanchester und L. Raymund Unwin in London;
die beiden letztgenannten waren auch als Vertreter der
Königl. Akademie britischer Architekten neben Professor
Patrick Geddes aus Edinburgh auf dem Kongresse erschienen.
Aus dem Deutschen Reiche nur 2 (von Professor Dr. Con-
ventz und Dr.-Ing. Stübben), aus Chile schließlich 1 (von
Mackenna, der sich auch als Redner verdient machte).
Diese Berichte sind jetzt in einem stattlichen Bande er
schienen (Brüssel, Union internationale des villes, 3 bis,
Rue de la Regence) mit einer Anzahl von Bildtafeln aus
gestattet, die u. a. einen Vorschlag zur Verlegung des Nord-
Bahnhofes und Gewinnung eines neuen Opernhausplatzes
in Brüssel von Architekt A. Engels, ein Vogelschaubild des
Entwurfes zu einem Internationalen Weltzentrum von
Christian Andersen und Architekt Ernst Hebrard in Paris,
mitgeteilt von Paul Otlet, einen Plan zur Durchbrechung
der schachbrettartigen Stadtmitte von Santiago de Chile
mit diagonalem Straßendurchbruch von M. Mackenna usw.
darstellen.
Außerdem waren den Teilnehmern des Kongresses
folgende Drucksachen gewidmet:
L’övolution d’une grande ville von Dr. Maurice Heins,
Abteilungsvorstand der Stadtverwaltung von Gent, gibt eine
Entstehungsgeschichte der Stadt Gent mit Abbildungen, die
einer älteren Arbeit „Kurze Geschichte der Stadt Gent und
ihrer Einrichtungen von 1904“ entnommen sind;
Notice sur les grands travaux de Schaerbeck von Franz
Fischer, Beigeordnetem der öffentlichen Arbeiten, dazu
Rapport sur les taxes de plus value et l’expropriation
par zöne von Charles Fortin, Stadtsekretär, Brüssel, Druckerei
von Ferdinand Denis, 1913.
Der Kongreß hat in zwei Abteilungen verhandelt, in der
ersten über den Ausbau der Städte. Der Generalsekretär
dieser Abteilung, Herr Paul Saintenoy, Architekt Sr. Majestät
des Königs, Professor an der Königl. Akademie der Künste
in Brüssel, faßte das Ergebnis der Arbeiten in der Schluß
sitzung des Kongresses folgendermaßen zusammen: „Der
Kongreß äußert sich dahin, daß die öffentlichen Behörden
in Zukunft bei ihren Arbeiten zur Aufschließung neuer Stadt
viertel den Charakter der örtlichen Bauweise beachten und
seine Festhaltung fördern mögen.“ Die Abteilung genehmigt
den Ausspruch des sehr beredten Herrn August Rey, Gou
vernementsarchitekten in Paris: „Die Sonne ist das oberste
Gesetz für die Gesundheitspflege und die Schönheit.“ (Ist
der Gedanke auch nicht neu, so war es doch ein Genuß zu
hören, wie Herr Rey seine Ausführungen selbst zum Kunst
werk gestaltete.)
Der Kongreß empfiehlt den öffentlichen Verwaltungen
die Aufstellung unterschiedlicher Bauordnungen gemäß den
Bebauungsplänen mit Unterscheidung sowohl nach den zu
schaffenden Blöcken und Straßen, als auch nach der Art der
Bebauung. (Nach dem Anträge des Berichterstatters Stübben.)