DER STÄDTEBAU
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Das im Südosten an unser Plangebiet angrenzende, von
der östlich am Völkerschlachtdenkmale vorbei über Meuß-
dorf nach Grimma führenden Staatsstraße und der über
Lößnig und Dölitz führenden Bornaischen Straße eingefaßte
Gelände ist reichlich 1000 ha groß, wovon rd. 470 ha seit
langer Zeit im Besitze und rd. 140 ha unter der Verwaltung
der Stadt (Johannishospital) sind. Außerdem ist dieses heute
noch fast ganz jungfräuliche Gelände, das seine Luftzufuhr
bei den in Leipzig vorherrschenden Südwestwinden aus den
großen Connewitzer Waldungen erhält und das die höchste
Lage im Stadtgebiet hat, gesundheitlich die beste Wohnlage
der Stadt. Das wichtigste ist aber der Umstand, daß der
Buchwert fast des ganzen Geländes ein für großstädtische
Verhältnisse außerordentlich geringer ist.
Alle diese Umstände zusammen bedeuten so außer
gewöhnlich günstige Vorbedingungen für die systematische
Durchführung einer großzügig modernen Stadterweiterung,
und zwar naturgemäß im Stockwerksbau diesseits und im
Flachbau jenseits der Leipzig—Hofer Verbindungsbahn, wie
sie fast in keiner Großstadt wiederkehren werden. Soweit
es unter den obwaltenden Verhältnissen möglich war, sind
Vorarbeiten in diesem Sinne bereits getan worden. Ein
Teil davon ist als Anfang der baulichen Erschließung des
Südostens jenseits der Bahn die Gründung der Garten
vorstadt Leipzig-Marienbrunn, über die in den Heften 4 und 5
des Jahrganges 1912 dieser Zeitschrift berichtet worden ist.
Sie ist ferner in einer besonderen Schrift, verlegt bei Ludwig
Degener-Leipzig, behandelt worden. Weiteres über die
schönen Möglichkeiten der Erschließung dieses Geländes zu
berichten, wirdAufgabe eines späterenAufsatzes sein müssen.
Heute sei nur noch auf die eigentlich selbstverständ
liche Forderung einer großen in die Stadt eingeführten Er
schließungsstraße für dieses Gebiet hingewiesen, die breit
genug sein muß, um später eine städtische Schnellbahn
aufnehmen zu können und die in ihrem nördlichen Teile das
verkehrstechnische Rückgrat unseres Bebauungsplanes bildet.
Daß die besondere Bedeutung unseres Plangebietes schon
früh erkannt wurde, geht aus dem Umstande hervor, daß
sich seit 1865 zahlreiche Beamte und auch Privatarchitekten
Leipzigs mit der Aufgabe seiner baulichen Erschließung
beschäftigt haben. In dem umfangreichen Material, das hier
vorliegt, prägt sich — an einem einzigen Beispiel — wie
selten sonst die geschichtliche Entwicklung der deutschen
Städtebaukunst des letzten Halbjahrhunderts aus. Es wäre
eine dankbare Aufgabe, für die dem Verfasser leider die
Zeit fehlt, die wechselnden wirtschaftlichen, stadtpolitischen,
kulturellen und kunst-ästhetischen Zeitströmungen in ihren
Zusammenhängen zu untersuchen, die sich in den 20 durch
gearbeiteten Bebauungsplanentwürfen seit 1865 niederge
schlagen haben.
Die meisten dieser Entwürfe waren neben dem jetzigen
Bebauungspläne und seinen erläuternden Skizzen und
Modellen in der Abteilung der Stadt Leipzig auf der Inter
nationalen Baufachausstellung Leipzig 1913 der Zeitfolge nach
geordnet ausgestellt. Einige davon sind auf den Tafeln 42 u. 43
abgebildet. Im folgenden sei kurz auf das Wesentliche der
einzelnen Pläne hinzuweisen versucht.
a) Entwurf vom Jahre 1878.
Obwohl das Völkerschlachtdenkmal damals an der
jetzigen Stelle noch gar nicht geplant war (ein Grundstein
dazu wurde zwar im Jahre 1865 an anderer Stelle in Leip
zig-Thonberg gelegt), ist eine ähnliche Straße wie die des
18. Oktober bereits vorhanden. Abgesehen von der ge
dankenlos schematischen Aufteilung ist es bemerkenswert,
daß die einzige seit altersher noch vorhandene Radial
verbindung, der Windmühlenweg in seinem südlichen Teile,
auch noch beseitigt ist.
b) Entwurf vom Jahre 1899.
Auf diesem Plane ist die Straße des 18. Oktober der
Richtung nach schon in ihrer heutigen Gestalt enthalten.
Auch der Knick bei der Kreuzung mit der verlängerten
Kronprinzstraße, von dem aus der nördliche Teil nach dem
Rathausturm, der südliche nach dem Völkerschlachtdenk
mal eingestellt ist, ist da. Die Bebauung greift bis zum
Bahneinschnitt vor.
c) Entwurf vom Jahre 1905.
Auch in diesem Plane ist die Fläche, welche heute als
Ausstellungsgelände dient und nach dem neuen Entwürfe
später in einen Park umgewandelt werden soll, mit überbaut.
Man sieht deutlich das Bestreben des entwerfenden Ingenieurs,
den neuen Erkenntnissen in künstlerischem Städtebau durch
allerlei Eckchen* Versetzungen, durch Krümmungen der
Straße usW. gerecht zu werden. Besonders auffallend sind
die ungemein kleinen und vielfach nahezu quadratischen
Baublöcke.
In diesem Plane taucht zum ersten Male in dem
Straßenzug F, A, J, E eine Art Ringverbindung inner
halb des Plangebietes auf, die trotz ihrer Zwecklosigkeit
in fast allen künftigen Plänen wiederkehrt.
d) Entwurf vom Jahre 1906.
Die Teilnahme, die die Allgemeinheit dem Werdegange
dieses Planes schon damals zuwendete, veranlaßte den
Rat, ein Gutachten von der heute allerdings ganz ein
geschlafenen „Leipziger Vereinigung für öffentliche Kunst
pflege“ einzuholen. Der Verein nahm sich der Aufgabe
mit großem Eifer an und sandte dem Rat nach kurzer
Zeit ein umfangreiches Gutachten und drei Entwürfe der
Architekten Dyb wad, Drechsler und Käppler. Die Anregungen
gehen in erster Linie auf eine würdige Ausgestaltung der
Straße des 18. Oktober hinaus. Durch Platzanordnung
mit öffentlichen Gebäuden sollte die Straße möglichst viel
Abwechslung bieten. Der abgebildete Entwurf sieht zum
ersten Male eine Überbauung im Knickpunkt der Straße
vor. Bemerkenswert ist die Richtung aller Längsstraßen
nach der Brücke über die Verbindungsbahn zu. Es ist
nicht richtig, den Verkehr nach der Straße des 18. Oktober,
die eine vornehme Wohn- und Promenadenstraße werden
soll, noch besonders hinzulenken. Fehlerhaft erscheint es
auch, das Stadtbild für den Blick vom Völkerschlachtdenk
mal aus konvex abzuschließen, anstatt eine einfassende
Wirkung anzustreben. Der Plan ist auffallend dadurch,
daß die städtebaukünstlerische Arbeit auf einige Punkte mit
öffentlichen Gebäuden und Platzanlagen gesammelt ist. Im
übrigen wurde nicht viel Sorgfalt auf das gelegt, was
zwischen den Straßen übrig blieb. Die 'Baublöcke haben
meist die ungünstige quadratische Form.
e) Vorentwurf zu dem Stadterweiterungsplan für den
Südosten der Stadt Leipzig.
Diesen Plan hat der Verfasser im Jahre 1910 aufgestellt,
I ohne von den bisher erwähnten Plänen irgend etwas zu