DER STÄDTEBAU
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Diese weitgehenden Pflichten und Rechte sind nun einem
ausfuhrenden Körper anvertraut, der so zusammengesetzt
ist, daß die größtmögliche Bürgschaft für eine sachgemäße
und objektive Behandlung gegeben wird. Die beschließende
Gewalt liegt in der Hand einer gemischten Kommission,
die aus drei Mitgliedern des Senats und sechs Mitgliedern
der Bürgerschaft besteht; diese Kommission kann nach
„ihrem Ermessen“ entscheiden und gründet ihre Ent
scheidungen auf das Gutachten eines sachverständigen Bei
rates, der unter seinen 25 Mitgliedern sachverständige Ver
treter der verschiedensten in Betracht kommenden Instanzen
enthält. Neben den Spitzen der staatlichen Behörden und
den Direktoren der Museen und wissenschaftlichen Anstalten
gehören ihm fünf Privatarchitekten, ein Gartenarchitekt, ein
bildender Künstler, ein Kunsthandwerker und acht kunst
verständige Laien an.
Eine Geschäftsordnung, welche dem starren Gesetz
gegenüber den Vorteil der Beweglichkeit in allen einzelnen
Bestimmungen gewährleistet, sorgt dafür, daß diese große und
schwerfällige Einrichtung durch Bildung kleiner besonderer
Arbeitsgruppen und durch eine Differenzierung in der Art
der Behandlung der einzelnen Sachen je nach ihrer Wich
tigkeit geschäftlich lebensfähig bleibt. Ganz besonders wird
dies ermöglicht dadurch, daß die Kommission gemäß ihrer
Geschäftsordnung ein eigenes, einem künstlerisch befähigten
Bauinspektor unterstelltes Amt besitzt, in dem alle Eingänge
vorgearbeitet werden. Die Zuständigkeit dieses Amtes ist so
abgemessen, daß sich aus ihr ganz von selber die wichtige
Einrichtung einer Bauberatungsstelle ergibt. Und hierin sieht
der Redner die vielleicht bedeutsamste Seite der Gestaltung
der Hamburger Baupflege. Es ergibt sich daraus die Mög
lichkeit, über die bloße überwachende Einzelarbeit hinaus
den Antrieb zu einer aufwärtsweisenden Baugesinnung in
die Alltagstätigkeit einer Stadt zu bringen.
Der Redner setzte die Gesichtspunkte auseinander, nach
denen ihm eine Baupflegetätigkeit für die schwierigen Ver
hältnisse der Großstadt ersprießlich zu werden scheint:
Streben nach gesunder Massenverteilung, folgerechte Dach
ausbildung, Vereinheitlichung von Baugruppen, Überwachung
der Übergänge zwischen verschiedenen Architekturen, solide
Materialbehandlung. Er zeigte im Lichtbilde einige Bei
spiele für Arbeiten, welche die Baupflege unter Leitung des
Vorstandes des Baupflegeamtes Bauinspektor Hellweg bis
her geleistet hat und fügt verschiedene Abbildungen hinzu,
welche zeigen, wie die Vorgängerin der Baupflege, die
Fassadenkommission der Mönckebergstraße, bei diesem
schwierigenDurchbruch im Zentrum der Stadt gearbeitet hat.
Für das Ziel, dem unbestimmten Gesamtbilde, das die
moderne Großstadt zurzeit bietet, wieder einen bestimmten
Charakter zu erobern, sieht der Redner das Mittel allein
darin, daß die gesamte künstlerisch arbeitende Architekten
schaft einer Stadt anknüpfend an einen für die Gegend
eigenartigen Baustoff einen Materialstil entwickelt, der zu
einer für die mannigfaltigen neuen Bedürfnisse der Großstadt
geeigneten Alltagssprache wird, die dann auch der Durch-
schnittsbauende zu sprechen vermag. Das hat München für
einen örtlichen Putzstil bereits geleistet. Für Hamburg sieht
er ein ähnliches Ziel in der systematischen Kultur des Back-
steinstoffes. Es ist natürlich dabei an manche Eigentümlich
keiten der früheren, schön entwickelten norddeutschen Back
steinbauweise anzuknüpfen; der Redner warnt aber davor,
hierbei das Ziel in einer verkannten Auslegung des Heimat
schutzgedankens nur auf eine sentimentale Nachahmung
eines vermeintlichen alten Baucharakters einzustellen.
Die Aufgabe „Heimatschutz und Großstadt“ verlange
ein Loslösen von den Rezepten der Vergangenheit. Das
Heimatliche, das es zu wahren gäbe, liege in einem folge
rechten Behandeln der Erfordernisse von Ort und Baustoff.
Die Rücksichten auf Erfordernisse des Zweckes lösten
innerhalb der Grenzen der heutigen Großstadt das Schaffen
ganz von selber los zu einer selbständigen Weiterbildung
des Überlieferten. Nur eine Baupflege, die ihre Aufgabe in
diesem weitherzigen Sinne verstehe, könne von Segen werden
für eine Großstadt.
DER HOLSTENTORPLATZ IN LÜBECK
Von THEODOR GOECKE, Berlin.
Die im Verlage von Charles Colemann in Lübeck er
schienene Druckschrift des Baurats Mühlenpfordt über
den Holstentorplatz in Lübeck (Preis 1,70 Mk. frei zugesandt)
ist eine von den nicht allzu häufigen Veröffentlichungen,
die gelegentlich eines besonderen Falles allgemeine Fragen
der Städtebaukunst beleuchten und deshalb von vornherein
auf einen freundlichen Empfang rechnen können.
Die wbhlverständliche Neugierde, in dieser Schrift
etwas über das Schicksal des von wundersamen Gerüchten
umschwirrten Holstentores zu erfahren, wird allerdings nicht
befriedigt. Der Verfasser spricht in der Tat nur vom Platze
vor dem Tore und meint sogar in einer Bemerkung am
Schlüsse, daß Änderungen am Tore ohne Einfluß auf die
Gestaltung des Platzes nach seinem Vorschläge sein würden.
Ob dies zutrifft, mag dahingestellt bleiben, zumal der Ver
fasser vom Holstentor als dem Grundmotive für seine Platz
gestaltung ausgeht.
Er setzt: Platz — Architekturplatz; er will damit auf
einen mittelalterlichen Platz hinaus und verzichtet auf die
Einbeziehung der Landschaft, wie es der Barockplatz so oft
getan hat! Auch Baummassen können Räume bilden wie
Architekturwerke oder in Verbindung mit ihnen. Die Frage
spitzt sich deshalb darauf zu: Muß an dieser Stelle ein reiner
Architekturplatz geschaffen werden, und wie groß muß er
sein? Der Wettbewerb von 1906 hatte den ersten Teil dieser
Frage verneint und der Wettbewerb von 1913 ihn zwar
bejaht, den zweiten Teil der Frage aber anders beantwortet,
als der Vorschlag des Herrn Mühlenpfordt für richtig hält.
Dieser führt nun praktische und ästhetische Gründe für
seine abweichende Meinung an, den Mangel an Bauplätzen
für öffentliche Gebäude und die damit gebotene Ein
schränkung der freien Plätzfläche sowie die verkehrte
Stellung des mit dem Volkshause in enge Beziehung zu
setzenden Kaiserdenkmals, d. h. er will den Platz verkleinern
und das Volkshaus mit Rücksicht auf die bessere Beleuchtung
des Denkmals an die gegenüberliegende Platzseite versetzen.