DER STÄDTEBAU
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LONDONER STRASSENVERKEHR.
Von CORNELIUS GURLITT, Dresden*
Nach längerer Zeit bin ich wieder einmal in London, und
zwar diesmal mit der Absicht, das eingehender zu studieren,
was jedem Besucher als der erste starke Eindruck auffallt,
nämlich den Straßenverkehr. Ich möchte ihn mit dem von
Paris und den deutschen Großstädten vergleichen und sah
mich namentlich nach den Vorkehrungen um, die bestimmt
sind, die Verkehrsgefahren und -Stockungen zu vermindern.
Dem Laien fällt es wohl weniger als dem mit Verkehrs
fragen Beschäftigten auf, daß man in England — wie in
Frankreich — links fährt, während in Deutschland rechts
gefahren wird. Man geht aber in England ebenso wie in
Deutschland rechts. Das heißt: Betrete ich die Fahrbahn,
so habe ich fortschreitend in Deutschland den Gefahr
bringenden Wagen hinter mir, in England kommt er mir
entgegen. Es ist das letztere wohl praktischer: Man sieht
die herankommende Gefahr und kann ihr ausweichen. Da
nun das Rechtsgehen in London stark ausgebildet ist, so
daß der Fremde, der sich nicht der Ordnung einzufügen
gelernt hat, leicht auffallt und als ein störendes Element
empfunden wird, so kommt in den Gesamtverkehr eine
straffe Ordnung, um die andere Großstädte London be
neiden können. Für diese Ordnung sorgt nicht der Polizist,
der sich um den Personenverkehr nur insofern kümmert,
als er Unbeholfene über den Fahrdamm führt, indem er
den Wagenverkehr mit einer Handbewegung auf kurze Zeit
auf hält; Ordnung im Fußverkehr hält vielmehr das Publikum
selbst. Ich habe zwar nie gesehen, daß ein falsch Gehender
angehalten und zurechtgewiesen worden sei, aber er merkt
an den Unbequemlichkeiten des Fortkommens bald selbst,
daß er besser tut, sich dem Stadtgebrauch einzufügen.
In der ganzen Welt ist es Sitte, daß der Höherstehende,
der Gast, die Dame im Fuhrwerk rechts sitzt. Der rechts
Sitzende soll auch zuerst aussteigen können, wobei freilich
angenommen wird, daß jemand da sei, der den Schlag
öffnet. So will es die Hofsitte. Ebenso soll der Höher
stehende zuerst einsteigen können. Das heißt also: der Wagen
hat immer so vorzufahren, daß die rechte Seite an den
Bürgersteig herankommt: Also fährt man in England falsch
vor. Es ist dies ein Fehler des Linksfahrens, der aber in
der starken Benutzung von Fuhrwerk zu allen Zeiten seinen
Grund haben mag. Wo kein Diener auf dem Bock oder
neben dem Chauffeur sitzt, ist es bequemer, den links sitzenden
Herrn zuerst aussteigen zu lassen. Denn er zahlt den
Kutscher, bespricht mit ihm das Nötige und hilft selbst der
wartenden Dame aus dem Wagen.
Der Wagenverkehr hat sich seit dem Jahrzehnt meiner
letzten Anwesenheit in London wie überall sehr geändert.
Das Automobil überwiegt Alle Omnibusse sind Kraftfahr
zeuge. Und das ist für London eine sehr bedeutungsvolle
Sache, da es in den Hauptverkehrslinien keine Straßenbahnen
gibt, auf deren Ausbau wir in Deutschland so stolz sind:
Gewiß fehlen sie nicht aus Mangel an Unternehmungsgeist.
London hat sich ihrer im Stadtinnern mit gutem Recht er
wehrt; denn sie sind in ihrer starren Linienführung, in der
Unmöglichkeit der Wagen auszuweichen, dem Verkehr sich
anzupassen, eine nicht immer erfreuliche Belastung des Fahr
dammes. London hat die erste Untergrundbahn geschaffen, sein
Netz unterirdischer Bahnen großzügig ausgebaut, die städti
schen Wege aber dem freien Wagenverkehr allein überlassen.
Schöner ist der Fährverkehr durch das Auto nicht ge
worden. In den Parks und an anderen dem Durchgangs
verkehr entzogenen Orten Londons sind daher Automobile
ausgeschlossen. Gern erinnere ich mich des entzückenden
Eindrucks, den auf den Pariser Boulevards, auf Picadilly
und Oxfordstreet in London das gleichmäßige Getrappel der
langen Reihen gut gehaltener Pferde machte. Das Automobil
hat dies Bild zerrissen. Es brachte verkehrstechnisch noch
eine weitere Unannehmlichkeit, nämlich eine neue Ungleich
mäßigkeit in der Raschheit der Fortbewegung mit sich.
In England wird nach rechts überholt, in Deutschland
nach links. Das heißt: Während des Überholens müssen
zwei Wagen von ungleicher Geschwindigkeit nebeneinander
fahren. Dies fordert breite Straßen. Ein Fahrdamm von
5 m Breite kann großen Wagenverkehr vollständig ein
wandfrei bewältigen, wenn kein Geschirr stehen bleibt und
keins das andere überholt, wenn also in straffer Weise Reihe
gehalten wird, so vielfach auf Brücken, auf denen Last
fuhrwerk nicht zugelassen wird. Früher bestanden nur zwei
Geschwindigkeitsgrade, der des Schrittes und der des Trabes
der Pferde. Heute ist ein dritter hinzugekommen, der außer
ordentliche Anforderungen an die Straßen stellt. In Paris be
obachtete ich, wie sehr die Automobile ihre Fähigkeit, rasch
zu fahren, ausnützen. Ich habe vielfach bemerkt, daß sie im
raschesten Tempo überholen. Kreuzt man als Fußgänger die
Fahrbahn, so sieht man das Auto hinter der Droschke zunächst
nicht, wird also von diesem überrascht, wenn es plötzlich
vorbrechend, den Vorderwagen überholt. Es ist ja selbst
verständlich, daß der Chauffeur den Vorzug seines Wagens
ausnützt und sein Ziel schneller zu erreichen sucht.
In London fand ich wieder mehr Zucht im Verkehr.
Wohl gibt der Pariser Chauffeur reichlich Hupensignale,
um andere zu warnen. Es geht lauter zu im Verkehr. Wie
bei uns, wird an allen Straßenkreuzungen getutet. Mit der
Zahl der Signale schwindet aber die Möglichkeit, sie sämt
lich zu beachten. In London sind sie viel seltener, fahren
die Automobile mehr in Reihe, überholen sie nur, wenn sie
wirklich freie Bahn vor sich sehen. Es entspricht dies dem
gesetzmäßigen Sinne der Engländer im Gegensatz zum
Individualismus der Franzosen.
Der Polizist spielt dabei eine große Rolle. Kaum gibt
es in einer anderen Stadt so viel Verkehrsaufsicht als in
London und sind die Fahrenden so gewöhnt, sich den An
ordnungen dieser völlig zu unterwerfen. Das ist ein weiteres
Moment der Ruhe im Straßenverkehr.
Ein anderes ist durch den Straßenbau gegeben. Nirgends
gibt es so viel „Inseln“ als in London. In der verkehrs
reichen Straße „Strand“ folgen diese in nicht zu weiten
Abständen voneinander in einer die Mitte der Straße fest
haltenden Reihe. Sie haben die Gestalt etwa eines Fisches,
bestehen aus einer erhöhten Granitfläche, in deren Mitte
eine Straßenlaterne steht, durch die der Fuhrmann auf
merksam gemacht wird. An den Enden und oft auch auf
den Seiten stehen kurze Eisensäulen, vor diesen manchmal
noch Radabweiser (Prellböcke). Jede Laterne trägt eine