DER STÄDTEBAU
SO
Erst nach der Festlegung des Güter- und Frachtver
kehrs kommt die Regelung der Personenbeförderung mit
der Verteilung der zugehörigen Bahnhöfe und die Regelung
des örtlichen Straßenverkehrs. Die Ordnung des Trans
portwesens zwischen Industriestätten und Bahnhöfen er
fordert Weitsichtigkeit und den ganzen Scharfsinn des ent
werfenden Technikers. Eine glückliche Lösung dieser
Schwierigkeiten steigert die Konkurrenzfähigkeit und das
wirtschaftliche Gedeihen des Ortes; Mißgriffe führen ver
hängnisvolle Nachteile mit sich, denen, wenn überhaupt,
nur mit großen Kosten später abgeholfen werden kann.
Der von Theodor Goecke und Rud. Eberstadt zuerst
aufgestellte Grundsatz, bei der Planung einer Stadt die Ge
schäftsstraßen von den Wohnstraßen zu trennen und sie
von vornherein durch ihre Gestaltung voneinander zu
unterscheiden, ist jetzt allgemein als maßgebend anerkannt.
Dadurch, daß man dem Wirtschaftsverkehr durch breite
Straßen und ihre zweckmäßige Unterteilung gerecht wird,
beschränkt man die Unruhe des Straßenlebens auf diese
Verkehrswege zum Vorteil der anderen schmaler anzu
legenden Straßen, die sich dadurch naturgemäß mehr zu
eigentlichen Wohnstraßen eignen. Die Geschäftsstraßen
haben den Anforderungen des glatten Verkehrs zu dienen
und den Straßenbahnen mit elektrischer Triebkraft, den
Omnibuslinien, den Hoch- und Untergrundbahnen Platz zu
gewähren. Dabei kann es von Interesse sein, dieVerhältnis-
zahlen zu nennen, in welchen sich der Verkehr auf die
verschiedenen Betriebsmittel in Berlin verteilt. Von der
Summe aller in einem Jahre verkauften Fahrkarten ent
fallen nach Petersen auf die Straßenbahnen etwa die Hälfte,
auf die Hoch- und Untergrundbahnen ein Viertel, auf den
Vorort-Schnellverkehr und auf den Omnibusverkehr je ein
Achtel und auf den Fernverkehr nur etwa */i 0O .
Schnellbahnen im Weichbild der Stadt, die selbstver
ständlich nicht als sich in Schienengleiche überkreuzende
Bahnen angelegt werden dürfen, suchen ihren Platz unter
dem Gelände oder oberhalb des Straßenverkehrs, Gäben
hier lediglich Bequemlichkeit und Zweckmäßigkeit den
Ausschlag, so würden in den meisten Fällen nur Unter
grundbahnen in Betracht kommen. Erwägt man aber, daß
der Preis ihrer Anlage je nach Beschaffenheit des Bau
grundes zwischen 5 und 10 Millionen für das Kilometer
schwankt, dem gegenüber die Kosten für Standhochbahnen
und Schwebebahnen nur etwa 3 Millionen ausmachen, so
ist es verständlich, daß die Untergrundbahnen letzteren
gegenüber wirtschaftlich einen schweren Stand haben.
Es liegt auf der Hand, für Straßenbahnen breite, tun
lichst geradlinige Straßen zu wählen, auf denen wenn mög
lich jeder Verkehrsart von gleichartiger Geschwindigkeit
gesonderte Gebiete anzuweisen sind, getrennte Wege für
Lastfuhrwerk, besondere Radfahr-, Reit- und Promenaden
wege. Man neigt mehr und mehr dazu, die Straßenbahn
geleise in die Mitte zu verlegen und rechts und links durch
schmale Seitenwege für die Aus- und Einsteigenden von
dem Straßendamm zu trennen. Die Geleise in Rasenstreifen
zu betten, ist dabei eine nachahmenswerte Maßregel.
Die Verkehrsmittel, die dem auf längere Strecken durch
gehenden Verkehr dienen sollen und die innere Stadt mit
den Vororten und Nachbarstädten verbinden, bedingen dann
Richtung und Abmessungen der Straßen. Als Mindestmaß
für Verkehrsstraßen gilt die Breite von 24 m, so daß zur
Rechten und Linken der in der Mitte angeordneten Straßen
bahndoppelgeleise gleichzeitig ein Wagen fahren und ein
Wagen halten kann. Ein Steigern der Breitenabmessungen
ist angesichts des immer mächtiger anschwellenden Wirt
schaftslebens natürlich. Früher hielt man geringere Ab
messungen für ausreichend; so sind die Friedrich- und
Leipziger Straße in Berlin nur 22 m breit. Daß die Haupt
verkehrsstraße des inneren Londons, der Strand, teilweise
nur mit 12 m Breite dem dortigen Riesenverkehr gerecht
zu werden vermag, spricht lediglich für die gute Disziplin
des dortigen Fuhrwesens. Aus Gründen erwünschter städte
baulicher Prachtentfaltung oder für den Fall, daß die Straße
einen durchgehenden Parkweg aufnehmen soll, sind die
genannten Maße noch erheblich vergrößert worden. So ist
die Ringstraße in Wien 57 m breit, die Straße Unter den
Linden in Berlin hat 60, die der Champs Elysees in Paris 70,
die Avenue du Bois de Boulogne 120 m Breite. Der Deutsche
Ring in Köln ist mit 127 m die breiteste aller neuen groß
städtischen Straßenanlagen, doch ist bei dieser Anlage eben
nur ein Teil der Gesamtstraßenbreite dem Verkehr ein-
geräumt und das Verkehrsinteresse nicht das allein maß
gebende.
Bei der gesteigerten Erfindungskraft unserer Technik
ist es nicht ausgeschlossen, daß mit neuen Transportmitteln
auch neue Ansprüche an die Breitenmaße und die Quer
profile der Straßen erhoben werden. Schon jetzt wird das
Erfordernis erwogen, dem Autoverkehr ausschließliche
Bahnen zu überweisen. Ja, der verdienstliche Wiener Stadt-
baurat Faßbender, der bekanntlich 1905 als erster in den
Ländern deutscher Zunge den Vorschlag zu dem sprich
wörtlich gewordenen Wald- und Wiesengürtel um Wien
gemacht hat, rechnet angesichts des mit Macht eines Natur- *
gesetzes anschwellenden Verkehrslebens der Millionenstädte
bereits mit der künftigen Möglichkeit, dem Wagenverkehr
die ganze ebenerdige Straßenfläche einzuräumen, den
Schnellverkehr darunter und den Fußgängerverkehr in die
Höhe des ersten Stockwerkes zu verlegen.
Eugen Faßbenders in diesem Jahre erschienene Schrift:
„Grundzüge der modernen Städtebaukunde“ möchte ich
allen, die sich mit den allgemeinen wirtschaftlichen und
technischen Bedingungen des Stadtbaues bekanntmachen
wollen, als ein ausgezeichnetes, knapp und übersichtlich auf
Grund persönlicher Erfahrungen und Studien geschriebenes
Handbuch angelegentlich empfehlen.
Durch die Festlegung der Straßen wird nun weiter die
Baublockform und deren Bebauungsweise bedingt. Man hat
früher die schematische, gleichmäßige Anlage breiter Straßen
für eine werdende Stadt als das allein Richtige und Würdige
angesehen. Die erhöhten Herstellungs- und Unterhaltungs
kosten solcher Straßen und die damit verbundenen laufenden
Abgaben führten aber wirtschaftlich dazu, diese Belastungen
auf großes Hinterland verteilen zu wollen und tiefe Grund
stücke zu schaffen.
Die Notwendigkeit, die großen Gelände durch Bebauung
zum Ertrag zu bringen, erzwang dann das fünfgeschossige
Haus an der Straße und die Ausnutzung durch Hinterhäuser.
So wurde das durch breite Straßen zur Herrschaft gebrachte
System tiefer Blockteilung die Ursache der vielbeklagten
Wohndichtigkeit in Mietskasernen. Baublöcke sollten nicht
mehr als 50—60 m Tiefe erhalten, um licht- und luft
hindernde Quergebäude unmöglich zu machen und die
Errichtung von Nebengebäuden einzuschränken. Das ver-
verbreitete Unwesen der Mietskaserne ist einerseits die