DER STÄDTEBAU
V om 6, bis 9. Oktober hat der von der ZENTRALSTELLE FÜR
WOHNUNGSFÜRSORGE IM KÖNIGREICH SACHSEN
veranstaltete Kursus über die Wohnungsfrage in Leipzig bei einer Überaus
starken Beteiligung von über 400 Personen aus Sachsen, allen Teilen
Deutschlands und auch aus dem Auslande stattgefunden. Der Vor
sitzende, Herr Kommerzienrat Marwitz, eröffnete die Tagung und hieß
die Erschienenen willkommen. Der Kursus soll über den gegenwärtigen
Stand des Kleinwohnungswesens sowohl in den Städten wie auch auf
dem Lande Klarheit bringen, et soll neue "Wege zeigen, um Mißständen
auf diesem Gebiete entgegenzuarbeiten, und er soll dem eigenen weiterem
Studium jedes Einzelnen auf seinem Sondergebiete Vorschub leisten,
sowie alle Licht- und Schattenseiten um so deutlicher hervortreten lassen.
Zu diesem Zwecke erschien es angebracht, abgesehen von einheimischen
Autoritäten auf diesem Gebiete, Männer zu Worte kommen zu lassen,
die in anderen Gegenden Deutschlands auf diesem Gebiete Hervorragendes
geleistet haben. Hinsichtlich der Wahl des Kongressortes konnte kein
Zweifel bestehen, da die Baufachausstellung eine wertvolle Ergänzung zu
den theoretischen Ausführungen abgeben mußte. Dazu kam, daß die Zentral
stelle durch ihre Ausstellung im Heimatschutzpavillon auch einen Überblick
Uber ihre eigene Tätigkeit geben und dadurch den Beweis erbringenzu können
hoffte, daß sie bereits einen wichtigen Faktor im heutigen öffentlichten Leben
in Sachsen bildet. Er begrüßte sodann die Vertreter der sächsischen Regie
rung, des Ministerium des Innern und des der Finanzen der KÖnigl. General
direktion der sächsischen Staatseisenbahnen, aller sächsischen Kreis- und
Amlshauptmannschaften, an ihrer Spitze den Ministerialdirektor Herrn Ge
heimen Rat Rumpelt, dem er insbesondere seinen Dank für die tatkräftige
Unterstützung der Zentralstelle aussprach; ferner begrüßte er die Bürger
meister bezw. Vertreter sächsischer Städte, die Vertreter der Landes
versicherungsanstalten, ferner des Verbandes der gemeinnützigen Bau
vereinigungen im Königreich Sachsen, des Verbandes deutscher Handlungs
gehilfen, des Verbandes der Hausbesitzervereine Sitz Leipzig, des Verbandes
der sächsischen Hausbesitzervereine Sitz Chemnitz, der Allgemeinen Orts
krankenkasse Berlin usw.
Von den dabei gehaltenen Vorträgen teilen wir zunächst den vom
Geheimen Baurat Schmidt aus Dresden im Auszuge mit.
„Städtische und ländliche Kleinwohnungen“.
Ausgehend von der erfreulichen Tatsache, daß die Technikerwelt,
die den Problemen der Wohnungsfürsorge seither ziemlich ferngestanden
habe, neuerdings eine rege Teilnahme nicht nur an der Beurteilung der
vorhandenen Mängel, sondern mehr noch an der Frage der bautechnischen,
gesundheitlichen, künstlerischen und wirtschaftlichen Gestaltung von
Kleinwohnungen bekunde und die Lösung dieser schwierigen Probleme
nicht dem Volkswirtschaftler und Verwaltungsbeamten allein Uberlasse,
ging der Vortragende ausführlicher auf die geschichtliche Entwicklung
des Kleinwohnungswesens ein und zeigte an der Hand trefflicher Licht
bilder, wie vorbildlich eine frühere, künstlerisch höher stehende Zeit
Typen geschaffen habe, auf die wir heute nach so vielen Irrfahrten wieder
zurückkommen. Das kleine Reihenhaus, wie es von Nord bis Süd, von
Ost bis West in Deutschland als Beispiel einer ebenso praktischen wie
wirtschaftlichen Lösung zu finden sei, bilde neben dem in Sachsen,
namentlich im Gebirge, vielfach heimischen Doppelwohnhause heute die
begehrenswerteste, ausbildungsfähigste Lösung, und es sei das Verdienst
der sächsischen Forstverwaltung, auf die moralischen und wirtschaftlichen
Vorzüge dieser Kleinbauweise gegenüber dem Massenmiethause zuerst
aufmerksam gemacht und durch ihre Einführung auf die vorbildliche Be
deutung hingewiesen zu haben.
Die weiteren Betrachtungen waren der zeitgemäßen, im allgemeinen
aber als gelöst zu erachtenden Frage, ob das Kleinhaus oder Massenmiet
haus den Vorzug verdiene, gewidmet. Beide Bauformen seien eine Not
wendigkeit, ihre jeweilige Wahl bedürfe für jeden Fall der besonderen
Erwägung und Berechnung. Der Kleinhausbau verdiene aber, wo auch
immer angängig, den Vorzug in allen den Fällen, wo Seine Durchführ
barkeit keine wesentlich höheren Opfer, als sie beim Massenmiethause in
Frage kämen, erforderte. Die Annehmlichkeit des Bewohnens eines
eigenen, wenn auch kleinen Heims mit unmittelbarer Verbindung der
Wohnräume mit Hof und Garten, Keller und Bodengelassen, der ver
edelnde Einfluß der Natur und die Möglichkeit der Verwertung beschäf
tigungsloser Stunden sicherten dem Kleinhausbau Vorzüge, die im Massen-
miethause auch nicht im entferntesten geboten werden könnten.
Glücklicherweise wäre es, wie die zahlreichen Fälle aus der Präzis
und selbst Bodenpreise von 20 Mk. für 1 Quadratmeter bewiesen hätten,
möglich gewesen, die seitherige Vorherrschaft des Massenmiethauses zu
gunsten der Kleinbauwelse zu brechen und damit zu einer Gesundung des
Kleinwohnungswesens wesentlich beizutragen.
Der Vortragende begrüßte sodann aufs freudigste den vom Ministerium
des Innern in Aussicht gestellten Erlaß ortsgesetzlicher Vorschriften, die
das Bauen von Kleinwohnungen erleichtern und den Minderbemittelten
somit zu billigen und nach heutigen Anschauungen einwandfreien Woh
nungen, womöglich zu Eigenheimen, verhelfen sollen, und gab der Er
wartung Ausdruck, daß von diesem Entgegenkommen zur zweckmäßigeren
Anlage und Aufteilung der Wohnungsblöcke, der Abminderung der Straßen
breiten, der Verbilligung von Umfassungs-, „Mittel“- und Brandmauern usw.
mehr Gebrauch gemacht werden möchte, als seinerzeit bei Einführung des
Allgemeinen Baugesctzes zur Verbüligung der Baukosten in gleicher Weise
eingeräumten Ausnahmen. Der Durchbildung der Mietwohnungen ge
schlossener Bauweise, insbesondere dem Problem der Anordnung von mehr
als zwei Wohnungen in einem Geschoß, der Frage der zurückliegenden
Aborte, der Gestaltung der Wohnküchen usw. wurden die weiteren Be
trachtungen gewidmet, nicht ohne auf die künstlerischen Fragen bei der
Gestaltung der Außenerscheinungen einzugehen und zu beweisen, daß eine
die schlichte Einfachheit, Natürlichkeit und Schönheit der früheren Bau
weise Rechnung tragende Ausführung von wesentlichem Einfluß auf die
Verbilligung der Baukosten sei und überdies Werte schaffe, die der Ge-
mütspflege unserer Bevölkerung zugute kommen müssen. Die Schluß-
betrachtungen des Vortragenden waren der Wohnungsfürsorge auf dem
Gebiete der Landwirtschaft gewidmet, und Sachsen habe den Vorzug von
allen deutschen Staaten, die meisten selbständigen kleinsten Anwesen zu
besitzen; annähernd die Hälfte aller bestehenden landwirtschaftlichen Be
triebe bestehe nach der Berufszählung im Jahre 1909 aus Parzellenwirt
schaften mit einem Grundbesitz von 0,50 bis 1 ha. Diese selbständigen
Besitztümer zu erhalten und zu mehren sei eine ebenso verdienstliche wie
dankbare Aufgabe, der sich die Bauberatungsstelle des Sächsischen Heimat
schutzes in Gemeinschaft mit dem Landeskulturrat durch die Bearbeitung
der vorbildlichen zumeist aus der Praxis entnommenen und überarbeiteten
Lösungen neuerdings erfolgreich gewidmet habe. Die vorbildliche Vor
führung von Beispielen aus der Praxis ließ auch hier erkennen, wie eine
frühere Zeit vorbildliche und noch heute mustergültige Bauten geschaffen hat,
welche Schönheitswerte mit den einfachsten natürlichen Mitteln lediglich aus
dem praktischen und wirtschaftlichen Bedürfnis berausgewonnen würden.
(Fortsetzung folgt,)
UM KAMPF UM DAS HERMSDORFER FLIESSTAL
BEI BERLIN. Vom Berliner Waldschutzverein wird uns
geschrieben: Die Erhaltung des Fließtales zwischen Tegel, Hermsdorf und
Schildow, welche jetzt auf Grund des Hocbwasserschutzgcsetzes angestellt
wird, erscheint den Anliegern als ein Eingriff in ihre Rechte. Auf die Be
deutung des Fließes für den Schutz gegen Hochwasser mögen Geologen und
Techniker eingehen. Die Bevölkerung von Groß-Berlin und der Zweck
verband haben aber ein starkes Interesse an dieser Erhaltung unter noch
anderen Gesichtswinkeln. Gerade diese Fließtäler sind als die natürlich ge
gebenen Freiflächen zu betrachten, deren Verschwinden jeder bedauern muß,
der nicht den einseitigsten Interessentenstandpunkt einnimmt. Als Beispiele
eigenartiger märkischer Landschaftsbilder, von märchenhafter Innigkeit Und
Stille, sind sie jedem Heimatfreunde ans Herz gewachsen. Vom Standpunkte
eines vernünftigen Städtebauers und des Heimatschutzes wäre es geradezu
unverantwortlich, wenn man diese Täler bebauen würde. Sollte das Hoch-
wasserschutzgesetz auf sie keine Anwendung Anden können, so wäre min
destens zu fordern, daß der Zweckverband jedem Bebauungsplan seine Zu
stimmung versagt, der nicht diese Täler als Freiflächen vorsieht. Wenn nun
die Anlieger behaupten, hierdurch geschädigt zu werden, so ist demgegen
über zu betonen, daß es sich meist um Leute handelt, die von alten Zeiten
her diese Wiesen geerbt haben. Es Hegt also kein wirklicher Schaden, sondern
höchstens ein entgehender Gewinn, kein „damnum emergens“, sondern
ein „lucrum cessans“ vor. Niemand hat aber ein Anrecht auf Wert
zuwachs, ein Recht zu fordern, daß er für sein Gelände, vor allem nicht
für baugrundlose moorige Wiesen, Groß-Berliner Bodenpreise erhält.
Verantwortlich für die Schriftleitung: Theodor Goccke, Berlin. — Verlag von Ernst Wasmuth A.-G., Berlin W., Markgrafenstraße 35,
Inseratenannahme C. Behling, Berlin W. öß. — Gedruckt bei Herros^ & Ziemsen, G. m. b. H., Wittenberg, — Klischees von Carl Schütte, Berlin W.