DER STÄDTEBAU
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zweifellos in enger Zusammendrängung noch weit ungünstiger
wirken. Selbst der Eindruck des Unfertigen kann nicht
schrecken in einer Entwicklung, die, bewußt und zielsicher
angestrebt, schon von vornherein den Stempel des orga
nischen Endzustandes erkennen läßt.
Als Folge dieser weiträumigen Siedelung sind auch die
Bodenpreise im Industriebezirk, abgesehen von einzelnen
ausgesprochen städtischen Zentren noch recht mäßige. Sie
werden noch niedrige sein und dauernd niedrig erhalten
werden können in einem System, das die Ausnutzungs
möglichkeit des Bodens beschränkt.
Denn in diesem Systeme ist den Bodenpreisen beim An
steigen der mühelose Weg über die fortschreitend stärkere
bauliche Ausnutzung versperrt, und es bleibt ihnen nur der
Weg über das Ansteigen der Nutzungspreise, der Mieten.
Dieser Weg ist aber kein müheloser, bahnfreier; er erfordert
die Überwindung eines starken Widerstandes, der durch die
Leistungsfähigkeit der Bevölkerung gegeben ist, und dieser
Widerstand wird besonders heftig, weil es sich hier um eine
Bedarfsrichtung handelt, der sich niemand entziehen kann.
Nur in einer bis zum ausgesprochenen Monopol ge
steigerten Flächenbeschränkung vermag er leicht und spielend
überwunden zu werden. In unserem Systeme aber, das die
Bebauung auf weite Flächen widerstandslos sich ausbreiten
läßt, das dauernd ein fast unbegrenztes Angebot stellt, wird
das Monopol des Bodens nach Möglichkeit gemildert, der
Widerstand gegen das Ansteigen der Bodenpreise wird
stärker und wirksamer. Im Kampfe um die Grundrente
entstehen dem Boden Feinde in den eigenen Reihen, Feinde,
gegen die nur im einzelnen Falle eine besonders bevorzugte
Stellung schützen kann.
Wenn dann in diesem Systeme weiter die Gestehungs
kosten der Ware Baustelle nach Möglichkeit herabgedrückt
werden durch möglichste Beschränkung der Straßenbau
kosten und der Straßenllächen, so ist alles geschehen, was
vom größeren Gesichtspunkt aus zur Lösung der städtischen
Bodenfrage geschehen kann. Solange die öffentliche Stadt
erweiterung nicht durchgeführt werden kann, und solange
der Boden eine Ware des freien Verkehrs bleibt, wird dieser
Weg der einzige mit Erfolg gangbare sein.
Niedrige, weiträumige Bebauung und niedrige, relativ
niedrige Bodenpreise, das sind dann die denkbar günstigsten
Grundlagen für eine kommunale Bodenpolitik, für die Durch
führung des Bebauungsplanes, für die Schaffung eines das
Auge befriedigenden Gesamtbildes, für die Schaffung von
Parks und öffentlichen Anlagen, für die Regelung der Ver
kehrsverhältnisse und für die Wirksamkeit eines städtischen
Grundstücksfonds, der nicht nur zu eigenen Zwecken kauft,
sondern auch den Umsatz vermittelt, im großen kauft und
im einzelnen verkauft und so den Grundstücksmarkt flüssig
erhält. Und alle diese Maßnahmen müssen in diesem System
sofort und damit zeitig genug die gesamte Fläche ins Auge
fassen. So rücken die Ziele ins Weite; die Forderungen
des bewußt angestrebten Endzustandes werden frühzeitig
genug erkannt und können deshalb ohne Schwierigkeiten
erfüllt werden.
Die erste Voraussetzung für die Durchführung dieser
Siedelungsform ist ein großes Stadtgebiet, eine weite Feld
mark als Aufnahmegebiet für den Bevölkerungszuwachs.
Die eng begrenzte Stadt würde bei dieser weiten Siedelung
schon bald ihre Entwicklung über die eigenen kommunal
politischen Grenzen hinaus in die Nachbargemeinden hinein
treiben, und das kann man von ihr nicht gut verlangen.
Diese Grenzen müssen weit, sehr weit gefaßt sein, um auf
viele Jahrzehnte hinaus die Bevölkerungszunahme aufzu
nehmen, und sie müssen je nach Bedarf ohne Schwierigkeit
weiter hinausgeschoben werden können. Im rheinisch-west
fälischen Industriebezirk haben diese Verhältnisse bei der
weiträumigen Besiedelung schon lange treibende Macht er
langt und weitgreifende Eingemeindungen zur Folge gehabt.
Was hier zwingende Folge gegebener Bedingungen ist, das
muß bei der modernen Stadt zur Einleitung dieser Be
dingungen als notwendige Voraussetzung durch eine ziel
bewußte Eingemeindungspolitik von den Städten und der
Regierung angestrebt werden.
Wer gewährleistet nun die Durchführung einer solchen
weiträumigen Außensiedelung bei den Städten? Es steht zu
erwarten, daß die nächste Zeit in einem Reichswohnungs
gesetz*) ein Wohnmindestmaß festgesetzt, und so die zu weit
gehende Ausnutzung der Räume unterbunden wird, Ein
solches Wohnmindestmaß aus allgemein gültigen gesundheit
lichen Gesichtspunkten abgeleitet, hat nichts Ortsindividuelles
an sich und kann deshalb unbedenklich für das ganze Reich
gleichmäßig festgelegt werden. Die Einleitung einer niedrigen
und weiträumigen Bebauung durch die Bauordnungen, die
anschließen muß an gegebene Verhältnisse, liegt aber ganz
auf ortsindividuellem Gebiet und kann deshalb nicht für
das ganze Land gleichmäßig geregelt werden. Hier kann
nur das streng gehandhabte Aufsichtsrecht der Regierung
dem Guten den Weg ebnen, wenn die Stadt als solche
Schwierigkeiten macht. In letzter Linie wird man aber den
gesunden Sinn unserer Städte vertrauen-können. Die städti
sche Boden- und Wohnungsfrage ist nachgerade so brennend,
das allgemeine Interesse an der Lösung derselben so groß
geworden, daß man erwarten kann, daß die Städte recht
gerne ihre Hand zu einer Lösung bieten werden, wenn sie
erst die Möglichkeit einer solchen Lösung erkannt haben,
und daß sie dies selbst unter Zurückstellung der ortsindivi-
duellen Interessen gegen die der Allgemeinheit tun werden.
Ist erst die Ausnutzung des Bodens durch Wohnungs
gesetz und Bauordnungen beschränkt, so wird sich als
letzte Folgerung die erleichterte Ansiedelung auf der ganzen
Fläche Bahn brechen und Bahn brechen müssen, wenn
nicht die gesamte Stadtentwicklung erschwert oder selbst
unmöglich gemacht werden soll.
Wir fassen zusammen. Die Lösung der Wohnungsfrage
ist möglich. Man kann die Raumausnutzung beschränken
und eine niedrige, weiträumige Bebauung erzwingen. Aber
diese Maßnahmen fordern gleichzeitig, wenn sie nicht zu
einer unerschwinglichen Erhöhung der Nutzungspreise, der
Mieten und in letzter Linie zu einer Unterbindung der Stadt
entwicklung führen sollten, die Ausbreitung der Bebauung
auf weite Flächen und zwar die Ausbreitung unter er
leichterten Bedingungen, sie fordern eine Siedelungsart, der
die gesamte große Außenfläche zur Verfügung gestellt wird,
den Bruch mit der städtischen Eigenart, mit der ge-
*) Inzwischen ist der Entwurf eines Landeswohnungsgesetzes er
schienen, dessen Grundgedanke die Festlegung eines Wohnmindestmaßes
und seine Erhaltung durch eine Wohnungsaufsicht, die Beschränkung
der Bodenausnutzung durch Zonenbauordnungen und die Erleichterung
des Anbaues durch mildere Handhabung des Fluchtliniengesetzes bildet.
Man kann nur wünschen, daß der Entwurf zum Gesetze wird, und daß
der Sinn und das Wollen dieses Gesetzes genügend erkannt wird, so
daß es trotz seiner milden Fassung sein Ziel, eine weiträumige städtische
Siedelung, erreicht.