DER STÄDTEBAU
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kräftigen Geschäftszweiges noch nicht bemächtigt! Es gibt
keine Gartenstadt, die ohne Wohltätigkeit in irgendeiner
Form bestehen könnte. Das ist keine Schande. Man ver
sucht es aber stets zu leugnen.
Unsere neueste Ergänzung der Bauordnung hat nun
auch die letzten polizeilichen Hindernisse beseitigt und
gestattet in großem Umfange Reihenhäuser. Wir haben
vernünftige Gemeinden, die für solche Zwecke billige schmale
Wohnstraßen zulassen. Wir haben billiges Land (7—8 Mk.
für 1 qm geregelten Nettobaulandes) mit Gas-, Wasser-
und Entwässerungsleitungen, mit Schulen am Orte und
dicht am Bahnhofe, mit vorzüglichen Verbindungen zu be
nachbarten Industrieorten (für 10 Pfg.) und zur Stadt (20 Pfg.).
Es gibt noch keine Gartenstadt mit gleich günstigen äußeren
Lebens- und Vorbedingungen, wie sie hier geboten werden.
Und doch entstehen keine bei Berlin!
Es fehlt zunächst die Teilnahme unserer Großindustrie
und einiger Förderer, die das anfängliche Betriebskapital
zinslos oder zu sehr mäßigem Zinsfuß vorstrecken. Es
fehlt am rechten Anreiz bei den für die Beleihung in Frage
kommenden Instituten* Für private Beleihung von Reihen
einzelhäusern muß der geldgebende Kleinkapitalist erst er
zogen werden. Auch ihm schwebt noch das falsche Idol
der allseitig freistehenden „Villa“ vor. Es fehlt ferner in
Berlin an geschäftskundigen, bewährten und gutberufenen
Organisatoren, deren Namen allein den Behörden und dem
Publikum Vertrauen einflößen.
Die wenigen Vorortgemeinden, welche für Gartenstadt-
gründungen in Frage kommen, sollten sich jede erdenkliche
Mühe geben, einen soliden Bürgerstand damit heranzulocken,
dessen Sorge für gute Wohnweise seine beste Empfehlung
sein würde. Solche Gemeinden wären leicht in der Lage,
durch Übernahme der Bürgschaft und Überwachung die
Beleihungsfrage lösen zu helfen. Bis zur Einführung der
Erbpacht wird noch viel, viel Zelt vergehen. Man mag bei
uns nichts davon wissen. Auch in England pachtet nur
der, den die Verhältnisse dazu zwingen. Wer es irgend
ermöglichen kann, kauft ein “freehold site“.
Die untere Grenze für die Größe eines Reihenhaus
grundstückes ist 250 qm; größere Gärten erfordern fremde
Hilfe zur Pflege. Ein massives Haus von recht bescheidenen
Größenabmessungen kostet mindestens 6000 Mk. Hieraus
erhellt, daß der billigste Bodenpreis nicht für die Wahl des
Geländes allein ausschlaggebend sein darf. Es stelltimmer nur
einen kleinen Bruchteil des Gesamtobjektes dar. Um 100
bis 200 Mk. an der Baustelle zu sparen, macht man in der
Regel den Fehler, viel zu entlegenes unreifes Baugelände
zu erwerben. Die untere Mietspreisgrenze beträgt also
etwa 450 bis 500 Mk. Für noch weniger Geld ein Eigen
baus bieten zu wollen, ist unmöglich, es sei denn im Zwei-
familien-Reihenhause. Wer das Gegenteil behauptet, soll
es durch die Tat beweisen.
Man vergleicht gern englische Verhältnisse mit Deutsch
land. Für so leichtsinnige und billige Bauart (die hier ebenso
billig ausführbar wäre) würde man sich bestens bedanken
müssen. Ebenso falsch ist es, die großstädtischen
Wohnungspreise (unter Anführung äußerster Fälle) mit
denen einer Vorortgartenstadt vergleichen zu wollen. In
dem gleichen Vorort gibt es in der Regel recht hübsche,
gesunde und billige Mietswohnungen, die für den gleichen
Mietspreis naturgemäß sogar räumlich etwas mehr bieten,
als dafür im Eigenhaus geboten werden kann.
Sobald das erste moderne Gartenstadtbeispiel bei Berlin
entstanden sein wird, werden weitere gewiß baldigst folgen.
Es sollte mich freuen, wenn diese Zeilen einige Anregungen
dazu geben,
NEUE BÜCHER UND SCHRIFTEN.
Wir bitten um gefällige Zusendung aller einschlägigen neuen
Bücher und Schriften, die wir unter dieser Übersicht regelmäßig an-
zeigen werden; wir übernehmen aber keine Verpflichtung zur Be
sprechung und Rücksendung,
D IE EINHEITLICHE BLOCKFRONT ALS RAUM
ELEMENT IM STÄDTEBAU. Ein Beitrag zur Stadtbau
kunst der Gegenwart von Walter Gurt Behrendt. Berlin iqii.
Bruno Cassirer Verlag.
IE VERKEHRSAUFGABEN DES VERBANDES
GROSS-BERLIN. Vortrag, gehalten zum Schinkelfest des
Architektenvereins zu Berlin den 13. März ign von Richard Petersen.
Berlin 1911. Carl Heymanns Verlag.
RUNDPLAN FÜR DIE BEBAUUNG VON GROSS
BERLIN, Preisgekrönter Wettbewerbsentwurf der Professoren
Josef Brix, Stadtbaurat a. D., Felix Qenzmer, Kgl. Geheimer Hof
baurat und der Hochbahngesellschaft, Gesellschaft für elektrische Hoch-
und Untergrundbahnen in Berlin, . Mit 28 Abbildungen und 8 teils
farbigen Tafeln. Berlin 1911. Verlag von Wilhelm Ernst & Sohn.
Geheftet 5,— Mk., gebunden 6,— Mk.
D IE DEUTSCHE GARTENSTADT-BEWEGUNG. Mit
zahlreichen Abbildungen und Plänen, ign. Verlag der Deutschen
Gartenstadt-Gesellschaft, Berlin-Schlachtensee. Preis 2,— Mk.
G RUNDZÜGE DER MODERNEN STÄDTEBAUKUNST.
Von Architekt J. V. Eugen Faßbender, K. K. Baurat, Wien.
Leipzig und Wien, Franz Deuticke. 1912,
T-VIE PRAXIS DES VERMESSUNGSINGENIEURS. Geo-
dätisches Hand- und Nachschlagebuch für Vermessungs-, Kultur-
und Bauingenieure, Topographen, Kartographen und Forschungsreisende.
Mit Unterstützung durch zahlreiche Ministerien, Behörden, wissenschaft
liche Institute und Vereine bearbeitet von Alfred Abcndroth, Kgl,
Vermessungsdirigent bei der Landesaufnahme in Berlin. Mit 12g Text
abbildungen und 13 Tafeln. Berlin, Verlagsbuchhandlung Paul Parey.
1912. Preis geb. 28,— Mk.
B EBAUUNGSPLAN FÜR DAS ALTE BAHNHOFS
GELÄNDE UND DEN FESTPLATZ DER STADT
KARLSRUHE. Von Professor Karl Moser, hoChbautechn. Referent
des Großh, Badischen Finanzministeriums (Eisenbahn-Abteilung). Karls