DER STÄDTEBAU
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vom Häuserbau nicht ferngehalten werden kann, gehindert
wird, das Vollkommenere zu liefern. Sie muß mehr auf
Fertigware eingestellt werden, und dazu müssen für die
landläufigen Wohnhäuser Normalien geschaffen werden, die
der Bauordnung fix und fertig entspringen, an denen der
Stümper nicht mehr viel verderben kann, an denen der
Techniker und Künstler aber noch reichlich zeigen kann,
was er vermag.
Diese Art, die Bauordnung bewußt als modernste
Maschine zu behandeln und sie als solche zu erhöhter
Leistungsfähigkeit zu bringen, wird den Baumeistern, die
freie Künstler sein und bleiben wollen, zunächst nicht
sympathisch sein. Sie werden einwenden, eine noch voll
kommenere Maschine werde dem Baufach noch mehr den
Kunstcharakter nehmen, indem die Möglichkeit der indivi
duellen Gestaltung des Hauses weiter beschränkt werde.
Der Einwand, der auf den ersten Blick einleuchtend scheint,
erweist sich bei näherer Untersuchung nicht als stichhaltig.
Die heute noch manchmal gestellte Forderung der Indivi
dualität für jedes Haus hat doch nur eine beschränkte
Berechtigung.
Eigenart ist notwendig und gut wie das Salz. Sie ist
aber auch wie das Salz nur in geringen Mengen und am
richtigen Platze zu verwenden. Zu viel Eigenart wirkt wie
versalzene Speise. Zu viel Eigenart ist in den letzten Jahr
zehnten auch auf dem Gebiet des Bauwesens geboten worden;
dadurch erscheinen die neueren Stadtbilder oft so wenig ge
nießbar. Die Gründe, die zum Verlust des Gefühls für das
Normale auf künstlerischem Gebiet geführt haben, zum Ver
gessen der Tatsache, daß Eigenart nur eine Schattierung des
Normalen sein darf, um nicht zur verletzenden Unart zu
werden, sind verschiedenartig. Zunächst können diese Vor
gänge angesehen werden als Gegenwirkung gegen eine
akademisch-eklektizistische Versumpfung auf künstlerischem
Gebiet und gegen die gleichmachende Richtung des 19. Jahr
hunderts, des Maschinenzeitalters, das manche berechtigte
Eigenart unterdrückte; dann aber auch als Spiegelbild des in
unserer Zeit herrschenden freien Wettbewerbes, der im all
gemeinen zum Vordrängen zwingt und Zurückhaltung und
Unterordnung mit Mißachtung und geschäftlichen Nachteilen
bestraft. Die heutige Vorliebe für die Ausschreitungen, die
Künstler und Kunstschriftsteller bei der Pflege des Individu
alismus begingen, die sich nicht scheuten, den hergebrachten
Geschmack links und rechts zu ohrfeigen, war wohl auch
von einem ehrlichen Drang, die Fesseln der Überlieferung
abzustreifen, hervorgerufen; aber wie überall spielte das
Geschäft, die Reklamesucht, auch keine geringe Rollo.
Das Grobindividuelle in der Kunst darf aber nur als
eine vorübergehende Erscheinung angesehen werden; denn
in der allgemeinen Entwicklung strebt alles zum Normalen,
d. h. zu vollkommenen Rasseeigenschaften. Es ist nicht
natürlich, daß Menschen, die sich mit Recht fürchten, durch
Schlitzaugen oder rote Haare oder die kleinste Anormalität
in Kleidung oder Gesellschaftsform aus der Reihe zu treten,
auf die Dauer in der Kunst einen sogenannten verrückten
Geschmack betätigen und sich insbesondere mit ihren Häusern
in unfeinerWeise vordrängen. Es wird sich sicher wieder die
alte Lehre Bahn brechen, daß das Vollkommene nur in der
Züchtung der Art, in der Pflege der Überlieferung, in der
Achtung vor der guten Schule erreicht werden kann. Wenn
eine große Bewegung Neues gebracht hat, muß auch eine Zeit
des Ausreifens kommen zur Vervollkommnung und Be
festigung des Erreichten. Was von alten Kunstwerken heute
Geltung hat, ist auch nicht grob individuell. Die größten
Werke des menschlichen Geistes auf dem Gebiete der
bildenden Kunst sind verfeinerte Normalien. Der griechische
Tempel, die gotische Kathedrale sind Typen, an denen der
Laie eigenartige Züge schwer entdeckt. Dem Kölner Dom
hat man mit großem Unrecht vorgeworfen, sein Chor habe
denselben Grundriß wie die ältere Kathedrale von Amiens.
Das sind schwächliche Ästheten, die in der Kunst die persön
liche Willkürlichkeit mit ihrem Stimmungsreiz über klares
Zielbewußtsein stellen. Die Alten hatten einen zu gesunden
Sinn, um aus Furcht wegen Nachahmung angezeigt zu
werden, das, was für den Zweck als das Vollkommenste
anerkannt war, nicht zu wiederholen. Sie zeigten ihre
Schöpferkraft nicht an unpassender Stelle, an dem, was
fertig, was vollendet war. Sie bauten auf dem Fundament
des klar als richtig und schön Erkannten weiter, ohne an
den glücklich gefundenen Normalien eine unberechtigte
Originalitätssucht auszulassen. Auch die Angriffe, die der
Baumeister des Berliner Domes erfahren hat, können nur
in geringem Maße als berechtigt anerkannt werden, wenn
man sich aus der Zeitströmung auf einen erhöhten Stand
punkt begibt. Raschdorf wollte eine Kuppel bauen und mußte
dieselbe Erfahrung machen, die die Baumeister des Parthenon
und des Kölner Domes gemacht hatten. Wie Iktinus die
dorische Säulenordnung und Meister Gerhard den Grundriß
von Amiens, so fand Raschdorf die Kuppel von St. Peter
vor, die die Kuppel an sich, die Normalie, darstellt.
Bildhauer und Maler haben sich darin gefunden, mit
dem Menschen als einer Normalform zu rechnen. Wenn sie
einen Menschen darstellen müssen, versuchen sie nicht ihre
Originalität dadurch zu beweisen, daß sie ihm etwa einen
Rüssel ansetzen. Sie formen ihm immer wieder eine Nase.
Ebenso kann sich auch kein Kuppelbauer dem Vorhandensein
von Michelangelos Werk entziehen, wenn bei Raschdorfs
Berliner Dom auch nicht mit Unrecht die persönliche Note,
die manche andere Kuppel trotz St. Peter besitzt, vermißt wird.
Das Grobindividuelle wird also in Zukunft wohl nicht
mehr die allgemeine Wertschätzung finden, sondern eher
das zur Vollendung durchgebildete Normale. Darum wird
es kein zu großes Unglück sein, wenn die Bauordnung den
Schrullen ungebildeter Bauherren und der unkünstlerischen
Willkür unreifer Architekten etwas weniger Spielraum läßt.
Die Häuser, um die es sich bei dieser ganzen Erörterung
hauptsächlich handelt, haben auch das geringste Recht,
individuell behandelt zu werden; sie müssen in Massen her
gestellt werden und sind deshalb schon in anbetracht der
ganzen wirtschaftlichen Entwicklung dazu bestimmt,
Maschinenfabrikat zu werden. Aber auch die künstlerische
Einsicht verlangt mit Recht die Abwendung von dem Streben,
Reihenhäuser eigenartig zu gestalten, in denen alltägliche
Menschen Drei-, Vier-, Fünfzimmerwohnungen füllen, die
froh sind, wenn sie ein leidlich gesichertes Dasein haben,
denen jedes Individualitätsgelüst fernliegt. Die üble Sucht
bei Bauherren und Architekten, entgegen jeder guten Sitte
mit seinem Hause durch Äußerlichkeiten aufzufallen, hat
die Kunst der Fassadengestaltung sich veräußerlichen und
anker- und steuerlos in Willkürlichkeiten und Anarchie
ausarten lassen. Wie oft sieht man Häuserreihen, die auf
beschränkter Fläche sämtliche Bauformen und Bau^
Stoffe zur Schau tragen, die nicht nur alle denkbaren
Fenster-, Erker- und Giebelformen aufweisen, sondern auch