DER STÄDTEBAU
Unter dem Titel „Wiener Straßenverkehr'* hat die k. k. Polizei
direktion Wien ein recht beachtenswertes Heft in einer Viertelmillion
Exemplaren unentgeltlich verteilt. Es bestehen wohl allgemein, besonders
in größeren Orten, bestimmte Fahrvorschriften und Verkehrsregeln, aber
sie sind leider nicht allgemein bekannt. Gerade in der allgemeinen
Kenntnis beruht aber ihr Wert. Was nützt eine noch so weite und
sorgsame Anlage städtischer Straßen, wenn sich nicht jeder bei deren
Benutzung an bestimmte Regeln halten will.
Das Wiener Verkehrsheft bringt im ersten Teil Fahrvorschriften,
Entsprechend der allgemeinen Verkehrssitte in Österreich — und
fast in allen außerdeutschen Staaten — lauten die Hauptregeln;
„Links fahren, links ausweichen, rechts Vorfahren,“ Von den
Einzelvorschriften ist folgende beachtenswert: „Bei der Durchfahrt von
Straßenbahnhaltestellen ist langsam zu fahren oder anzuhalten, um die
ein- und aussteigenden Passagiere nicht zu gefährden.“ , Sehr fürsorglich
ist die gesperrt gedruckte Vorschrift: „Vor Schulen ist zur Zeit des Be
ginnes und des Schlusses des Unterrichtes im Schritt zu fahren.“
Neuartiger ist die im zweiten Teil enthaltene Gehordnung. Die
Hauptregel lautet hier: „Links gehen, links ausweichen, rechts vergehen.“
In der Beachtung dieser Vorschrift beruht [der Erfolg jeder Geh
ordnung. Der Zustand in der Wiener Rothenturm- oder Kärnthner Straße
würde bei Nichtbeachtung dieser Regel zu gewissen Stunden beängstigend
werden. In dem Eingangssatze zur Gehordnung bekommt der arme Fuß
gänger zunächst eine nicht mißverständliche Ermahnung: „Der Groß
städter hat sich stets vor Augen zu halten, daß die Fahrbahn der Straße
zunächst dem Wagenverkehr zu dienen hat’,,,“
CHRONIK.
TTTettbewerb: Um die UMGEBUNG DES NEUEN BAHN-
^ HOFS IN KARLSRUHE möglichst zweckmäßig und schön
zu gestalten, sind die Qroßherzoglich Badische Eisenbahnverwaltung und
die Stadt Karlsruhe übereingekommen, einen Entwurf für die Gestaltung
und Bebauung dieses Geländes aufstellen zu lassen. Zu diesem Zwecke
hat der Stadtrat der Haupt- und Residenzstadt Karlsruhe die in Karls
ruhe ansässigen Architekten und Ingenieure zur Einreichung
von Skizzen aufgefordert, denen folgende Aufgabe gestellt ist:
1. Für die Bau- und Straßenfluchten des Bahnhofvorplatzes und des
anstoßenden Baugebietes in i : 1000 ist davon auszugehen, daß der Platz
ungefähr die Ausdehnung und Gestalt erhalten soll, wie sie in einem,
den Teilnehmern des Wettbewerbes zur Verfügung gestellten Lageplan
(vom Sekretariat des Hochbauamts erhältlich!) angegeben sind; Änderungen,
die verkehrstechnisch einwandfrei und in wirtschaftlicher Hinsicht nicht
wesentlich ungünstiger wirken, sind zulässig. Die Lage des Albtal-
bahnhofs ist als ein unverbindlicher Vorschlag anzusehen.
2. Es sind Fassadenentwürfe in i ; 250 für sämtliche an dem Platze
und an den in dem Lageplan mit A-B und C-D bezeichneten Straßen-
strecken zu errichtenden Bauten aufzustellen, Es ist ein Eingang in den
Stadtgarten von der Bahnhofseite aus vorzusehen und auf eine harmonische
Gesamtwirkung des Platz- und Straßenbildes mit dem bereits erstellten
Aufnahmegebäude und dem in Ausführung begriffenen Postgebäude
sowie auf einen günstigen Abschluß der Südseite des Stadtgartens hin
zuwirken.
Zwei Schaubilder in 1 : 100 sind von den in Augenhöhe gelegenen
Punkten x und y des Lageplans derart zu fertigen, daß die entsprechenden
Bildebenen durch die Kanten Kx und Ky gehen. Darstellungen nur in
Schwarzweiß zulässig, farbige Bilder werden von der Beurteilung aus
geschlossen,
Frist bis zum 31. März 1912, nachmittags B Uhr beim Sekretariat
des städtischen Hochbauamta, Die preisgekrönten Zeichnungen werden
Eigentum der Stadt; diese ist berechtigt, sie nach Belieben für die
Ausführung zu benutzen. Das Recht der Veröffentlichung verbleibt dem
Verfasser. Eine Zusicherung, daß die Bewerber bei der weiteren Aus
arbeitung von Plänen oder der Ausführung beigezogen werden, ist nicht
gegeben.
Die im weiteren gegebenen einzelnen Bestimmungen sind aber nicht
als Zwangsmaßregeln aufgestellt, sondern als Anregungen zum freiwilligen
Befolgen im eigensten Interesse. Unbedingt richtig ist, daß das Gehen auf der
Fahrstraße in der Längsrichtung grundsätzlich zu unterlassen ist, daß das
Umkehren inmitten des Fahrdammes leicht gefährlich sein kann. Nicht
unbedingt zustimmen wird man der Vorschrift, die Straße von einer Seite
zur anderen möglichst an Straßenkreuzungen zu überqueren. Eine Reihe
von Regeln betrifft das Gehen hart am Hochsteigrande, das Überschreiten
befahrener Straßenbahngleise, das Abspringen von der Straßenbahn, das
Spielen von Kindern auf der Straße usw.
Die im dritten Teil enthaltenen besonderen Vorschriften für Auto
mobile und Radfahrer bieten nichts Besonderes.
Die ganze Kunst des Städtebaues, das Anlegen der Straßen ist
umsonst, wenn bei der späteren Benutzung ein wirres und rücksichtsloses
Durcheinander herrscht, Die Vorschriften der Wiener Polizeidirektion
in ihrer für die breiteste Allgemeinheit bestimmten Form müssen daher
dem Städtebau sehr willkommen sein. Kein Architekt ist erfreut, wenn
die von ihm geschaffenen Räume durch falsche und unsachgemäße Be
nutzung nicht entsprechend zur Geltung kommen. Wieviel weniger der
für jedermann schaffende Städtebauer!
Das Heft bringt die Vorschriften in deutscher, französischer und
englischer Sprache. Im deutschen Text fallen neben einer Reihe leicht
vermeidbarer Fremdwörter einige recht gute, rein deutsche Ausdrücke
auf; so ist der Versuch, das Wort Trottoir durch „Gehsteig“ zu ersetzen,
nicht Übel, denn die alte Bezeichnung „Bürgersteig“ hat in einer
modernen Großstadt kaum mehr Berechtigung.
Preisrichter: Minister der Finanzen Rheinbold, Exzellenz, und
Oberbürgermeister Siegrist in Karlsruhe, Professor Dr. Ing. Theodor
Fischer in München, Professor Th. Qoecke, Landesbaurat, Hermann
Jansen, Architekt in Berlin.
An Stelle der beiden erstgenannten Herren treten unter Umständen
die von ihnen zu ernennenden Stellvertreter, an Stelle eines der anderen
drei Genannten wird Herr Geh. Regierungsrat Professor Dr. Ing. Karl
Henrici in Aachen als Ersatzmann treten.
Preise: Ein I. von 4000 Mk„ ein II. von 3000 Mk., ein III. von
sooo Mk, und ein IV. von 1000 Mk.
Es bleibt dem Preisgericht überlassen, erforderlichenfalls die Preise
anders zu verteilen, doch soll die Gesamtsumme von 10000 Mk. auf
höchstens vier Preise verteilt werden.
Im übrigen sind die vom Verbände deutscher Architekten- und
Ingenieurvereine aufgestellten Grundsätze für das Verfahren bei Wett
bewerben maßgebend.
IE ZENTRALSTELLE FÜR VOLKSWOHLFAHRT
hatte namens des Ausschusses für Bauberatungsstellen zu einer am
8, Dezember in der Urania in Berlin abgehaltenen Konferenz eingeladen,
in der über „Baupolizei und Bauberatung“ verhandelt wurde, und
zwar vornehmlich über die Frage, ob es nicht zweckmäßig ist, die Tätig
keit der Baupolizeiämter in der Weise zu erweitern, daß diese die ein
gereichten Entwürfe nicht nur daraufhin prüfen, ob sie den Forderungen
der Polizeiverordnungen entsprechen, sondern auch daraufhin, ob den An
forderungen an architektonische Zweckmäßigkeit und Schönheit genügt
ist, und daß sie gegebenenfalls dem bauenden Publikum in dieser Be
ziehung geeignete Ratschläge geben. In dieser Versammlung gingen die
Meinungen so weit auseinander und wurden so viele neue Gesichtspunkte
aufgestellt, daß es zu einer völligen Klärung der wichtigen Frage nicht
gekommen ist.
ONGESTION AND ITS CAUSES IN CHICAGO. George
E. Hooker. Civic Secretary of City Club of Chicago. — From Pro-
ceedings of Second National Conferenz on City. Planing held at
Rochester May. 1910,
Verantwortlich für die Schriftleitung: Theodor Qoecke, Berlin. — Verlag von Ernst Wasmuth A.-G., Berlin W„ Markgrafenstraße 35.
Inseratenannahme C. Behling, Berlin W. 66. — Gedruckt bei Herros«? & Ziemsen, G. m. b. H., Wittenberg. — Klischees von Carl Schütte, Berlin W,