DER STÄDTEBAU
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zufuhr des Tages zurückzubleiben. Bei andauernd warmer
Witterung genügt der Wärmespeicher, den die Stadthäuser
in ihrem Mauerwerk besitzen, trotz seiner meist erheblichen
Größe nur in Ausnahmefällen zur Herbeiführung des Aus-
gleichs. Bei den üblichen Wandstärken von 0,40 bis 0,50 m
pflegt bereits nach drei warmen Tagen die Innenfläche
besonnter Außenwände einen Wärmegrad von etwa 20° C
oder mehr aufzuweisen. Bei längerer Dauer der warmen
Witterung steigt dieser Wärmegrad zwar langsam, aber
stetig. Die Außenwände wirken daher nun der Auskühlung
der Innenräume entgegen. Selbst dann, wenn man während
kühler Nächte Durchzug in ihnen hergestellt hat, steigt
nach dem Schließen der Fenster morgens die Temperatur
der Raumluft sofort um mehrere Grade und pflegt jetzt
bereits höher zu liegen, als es dem Wohlbehagen entspricht.
Das rasche Steigen des Wärmegrades der Luft im Freien
erzwingt aber meist schon zwischen 6 und 8 Uhr früh das
Schließen der Fenster. Allerdings können die Wärme-
Verhältnisse sich gelegentlich derartig gestalten, daß im
dauernden Unterhalten von Gegenzug das einzige Mittel
verbleibt, um die Raumbewohner gegen Wärmestauungen
zu schützen. Die Raumtemperaturen nehmen dann in er
höhtem Maße zu, weil die eintretenden großen Luftmengen
viel Wärme an die Raumumschließungen abgeben.
Die erhebliche Erhöhung des Wärmegrades besonnter
Außenwände hat den weiteren Nachteil im Gefolge, daß sie
nach der im Freien durch Gewitter eingetretenen Kühlung
die Raumtemperatur noch mehrere Tage auf unliebsamer
Höhe erhält, bei vorübergehender Kühlung diese im Ge-
bäudeinnern überhaupt nicht zur Geltung gelangen läßt.
Diese mit der Größe der Stadt zunehmenden Mißstände
bilden eine der Hauptursachen für die gegenwärtig im Sommer
stattfindende „Flucht“ aus den Städten in die Bäder und
Sommerfrischorte. Aber nur wenige sind in der glücklichen
Lage, ihnen für die ganze Dauer der sommerlichen Glut
entrinnen zu können. Sollte mit dem Jahre 1911 ein Zeit
abschnitt angebrochen sein, der Deutschland wieder Sommer
mit lang anhaltender Wärme bringt, dann erscheint es um
so mehr geboten, an die Verminderung jener Übelstände
tatkräftig heranzutreten. Es läßt sich ihnen hauptsächlich
entgegenwirken durch die sachgemäße Gestaltung und Anlage
der Gärten und Höfe. Zugleich sollte für die „Wohnstraßen“
der Grundsatz mehr als bisher zur Geltung gelangen, daß
die Breite der befestigten Fahrbahnen und Fußwege nicht
größer bemessen wird, als das Verkehrsbedürfnis in dem
betreffenden Stadtteile es erheischt. Denn je schmaler der
befestigte Teil der Straßenfiäche ist, um so geringere Wärme
mengen werden in ihr durch die Sonnenstrahlung gespeichert
und um so leichter läßt sie sich beschatten.
Die Gestaltung der Gärten und Höfe aber hat dafür Sorge
zu tragen, daß sowohl das Einzelhaus und die frei liegende
Gebäudegruppe als auch die geschlossene Häuserzeile rings
von Pflanzen umgeben werden, und daß die Sonnenseiten
der Häuser, die Straßenflächen, beim niederen Haus auch
möglichst große Teile der Dachflächen, durch das Laubwerk
der Bäume Schatten erhalten.
Gegenwärtig entspricht weder die Durchführung der
Vorgartenanlage, noch die Abstufung ihrer Tiefe nach der
Himmelslage, noch die Art ihrer Bepflanzung dieser be
deutungsvollen Aufgabe, während die Durchbildung der
Höfe ihr nur in Ausnahmefallen gerecht wird. Vielmehr
ist man gegenwärtig wieder mehr denn je geneigt, für die
Gestaltung der Gärten ausschließlich ästhetische Rück
sichten walten zu lassen, sie nur als Gegenstand der Haus
ausschmückung zu betrachten. Ihr eigentlicher Zweck, zu
möglichst andauerndem Aufenthalt der Hausbewohner zu
dienen und durch Schattenspenden das Klima des Hauses
zu verbessern, wird von der Mehrzahl der Gartenkünstlcr
und Architekten übersehen.
Allerdings darf ja zugegeben werden, daß das Sommer
klima der Städte bereits gemildert wird, wenn an die Stelle
der geschlossenen Häusermassen das von Gärten rings
umgebene Einzelhaus oder die Gebäudegruppe kleineren
Umfangs treten. Denn Graswuchs und Blattwerk lassen,
solange sie grünen, die Wärmewirkung der Sonnenstrahlen
nur in geringem Grade auf den Erdboden gelangen, weil
der größte Teil der Wärme zur ständig stattfindenden leb
haften Wasserverdunstung der Pflanzen, ein weiterer kleinerer
Teil zum Aufbau ihrer Zellen verbraucht werden. Es bleiben
daher zwischen den sich durch die Sonnenstrahlung er
hitzenden Steinmassen der Häuser und Straßen grünende
Flächen, die sich um so kühler erhalten, je mehr Wasser
ihnen aus dem Erdboden für die Verdunstung zufließt. Von
ihnen geht nach Sonnnenuntergang rasch Kühlung aus, und
es entsteht hierdurch Luftbewegung, weil die hier abgekühlte
und dadurch schwer werdende Luft diejenigen Luftschichten
nach oben drängt, die an den Steinflächen sich erwärmen.
Je weitere Abstände die Gärten zwischen den Gebäuden
sowie zwischen ihnen und der Straßenbefestigung bilden,
um so ungehinderter kann die Abstrahlung von Wärme von
den Steinflächen stattfinden, um so geringer werden die
Widerstände, die den Winden sich entgegenstellen.
Die für diese Zwecke erforderliche freie Lage der Einzel
häuser und Gebäudegruppen pflegt im Weichbilde und in
der nächsten Umgebung der Großstädte jedoch nur in den
Landhausvierteln und Gartenstadtgebieten, sich durchführen
zu lassen. Stets aber ist die Kühlhaltung der Hausflächen
und Straßenflächen durch Baumschatten im Hochsommer
von noch höherem Nutzen als die Vermehrung ihrer nächt
lichen Abkühlung, weil die letztere in dieser Jahreszeit von
verhältnismäßig kurzer Dauer ist, während die Sonnen
strahlung um Mittag auf den Steinflächen Temperaturen
hervorruft, die zwischen 60 und 100° C schwanken, auf
rotem und dunklem Gestein noch höher auszufallen ver
mögen. Ferner bedarf man des Schattens auf der Straße
für den Verkehr, in den Gärten zum Aufenthalt im Freien.
Denn mit dem Steigen der Raumwärme nimmt das Be
dürfnis nach letzterem zu. Selbst wenn an schattigen
Gartenplätzen etwas höhere Wärmegrade herrschen als in
den Zimmern, pflegt uns dort eine höhere Wärmemenge in
der Zeiteinheit entzogen zu werden als im geschlossenen
Raum, weil die Wärmeabstrahlung von der Haut auf ge
ringere Widerstände stößt und die ..lebhaftere Luftbewegung
im Freien die von uns gebildete Wärme von der Haut und
aus der Kleidung rascher abfuhrt. Hat einige Tage warme
Witterung geherrscht, dann pflegt in den Vormittagsstunden
der Aufenthalt an schattigen Plätzen des Gartens jedenfalls
vor dem im Hause den Vorzug zu verdienen.
Um diese Zwecke in vollkommener Welse erfüllen zu
können, bedürfen die Vorgärten an den Sonnenseiten der
Wohngebäude der allgemeinen Durchführung und einer
größeren Tiefe, als man ihnen gegenwärtig im Weichbilde
der Städte zu geben pflegt. Die heute übliche Tiefe von
3 m reicht hierzu nicht aus, die von 5 m muß noch als