DER STÄDTEBAU
27
Abb. 2, Wirtschaftlichkeit der elektrischen Schnellbahnen der
vorliegen. Wie es mit den Renten dieser Bahnen aus
sieht, ist trotz ihrer niedrigeren kilometrischen Anlagekosten
aus den Verkehrs- und Betriebsverhältnissen leicht zu er
kennen ; die Klagen der Londoner Bahngesellschaften liefern
in dieser Richtung ein untrügliches Beweismaterial.
Weiter ist noch zu beachten, daß die vorgeführten
Figuren nur einen Zustand, gewissermaßen ein Augenblicks
bild darstellen, während das großstädtische Verkehrsleben
eine Fülle sich widersprechender Noten aufweist. So hat
die Schnellbahn in Städten, in denen der Entwicklung des
Straßenbahnwesens, vielleicht auch der Automobilomnibusse,
im Innern noch erhebliche Erweiterungsmöglichkeiten offen
stehen, besonders in den inneren Stadtteilen mit einem
häufig recht empfindlichen Wettbewerb dieser Verkehrs
mittel zu rechnen. Die sehr ausführlichen Berichte, die
die im Jahre 1903 vom König Eduard VII. berufene Kom
mission und das englische Handelsamt über den Londoner
Verkehr erstattet haben, lassen in diesen Dingen tiefer auf
den Grund sehen, London, die englische Riesenstadt,
unsere größte Lehrmeisterin im Schnellbahn-, Straßenbahn-
und Omnibuswesen — Lehrmeisterin gerade wegen der von
Berlin abweichenden, in vollster Gärung befindlichen Ent
wicklungszustände — hält, was die gegenseitige Be
einflussung der verschiedenen Verkehrsmittel betrifft, auch
Berlin den Spiegel vor.
War nun das Bild, das ich über die eigenwirtschaft
lichen Erfolge des Großstadtschnellverkehrs zu entwerfen
hatte, kein glänzendes, sollen wir deshalb bedauern, daß in
seinem Entwicklungsgänge der Wahrnehmung der eigen
wirtschaftlichen Rücksichten nicht immer die gebührende
Beachtung zuteil wurde? Hat doch der tatkräftige Ent
schluß, der sich wirtschaftlichen Gesichtspunkten häufig
nur widerstrebend unterzuordnen pflegt, dem Großstadt
verkehr so mächtige Antriebe gegeben; verdanken wir doch
den auf die Einführung der elektrischen Zugförderung ge
richteten kraftvollen Bestrebungen die im Stadtschnell
verkehr erreichten allgemeinnützigen Erfolge, wenn sie auch
mit vielen Opfern erkauft sind. Ist es doch auf diese Trieb
kraft zurückzuführen, daß wir auf der Grundlage gewaltigen
technischen Fortschritts jetzt unsere Großstädte, die durch
die Dampfverkehrsmittel aufgebaut sind, durch den elek
trischen Schellverkehr weiter entwickeln, die Linien infolge
Fortfalls des Dampfes vervielfältigen, die ganzen Stadt
gebiete mit engmaschigerem Aderwerk modernen Schnell
verkehrs überspanneti
können, dessen Blut
umlauf sie ernährt und
befruchtet!
Aber die diesen
Zwecken gebrachten
Geldopfer müssen
doch wohl vielfach die
Richtlinien für das
weitere Vorgehen än
dern. Wenn die Zeiten
wirtschaftlicher Phan
tasien auf dem Gebiet
der Schnellbahnen
jetzt vorüber sind,
durch die Erfahrungen
vielmehr gezeigt ist,
daß ihre Wirtschaft
lichkeit im allgemeinen auf so schwachen Füßen steht,
andererseits ihr weiterer Ausbau im Gemeinwohl notwendig
ist, die technischen Aufgaben heute nach keiner Seite
mehr unüberwindliche Hindernisse bieten, welche Rich
tungen sollen dann zur Verwirklichung solcher Unterneh
mungen weiterhin eingeschlagen werden?
Daß zunächst der ganze Zuschnitt der Anlagen, des
Baues, der Betriebsführung, der Fahrpreisstellung nach haus
hälterischen Gesichtspunkten eitizurichten ist, sollte nicht
erst besonderer Hervorhebung bedürfen. Dennoch werden
auch hierüber bei der weitgehenden Unstimmigkeit und
Zersplitterung der Ansichten einige Bemerkungen am Platze
sein. Ich weiß wohl, daß ich mich bei der Zähigkeit, mit
der auch in Berlin vielfach an vorgefaßten Meinungen fest
gehalten wird, mehr oder weniger hartnäckigem Wider
spruch aussetze, wenn ich es wiederhole, daß das Bestreben,
überall nur Untergrundbahnen zuzulassen, die Quelle
schweren wirtschaftlichen Schadens ist und den Fortschritt
hemmt. Der Widerspruch gegen Hochbahnen hat sich in
Berlin allmählich zu geradezu krankhaften Formen heraus
gebildet, ebenso wie sich, beiläufig bemerkt, die Auffassung
entwickelt hat, daß der Berliner zu bequem, im Westen
zu vornehm sei, um von einer Schnellbahn zur anderen
in einem Bahnhofe umzusteigen, vielmehr die Züge überall
hin durchfahren müßten, selbst unter Anwendung von Ge
meinschafts-Betriebsformen von Bahnlinien, die man an
der Hand der Erfahrungen keineswegs als sachentsprechend
bezeichnen kann. Wenn die wohlhabenden und einfluß
reichen westlichen Berliner Vorstädte ohne Ansehung der
Wirtschaftlichkeit nur Untergrundbahnen zur Durchführung
bringen, die Gemeinde Grunewald, deren Verkehr ein
Schnellbahnunternehmen überhaupt nicht zu versorgen in
der Lage ist, für eine durch ihr Gebiet hindurchgeführte
Schnellbahn Zuschüsse in Aussicht stellt, die eine laufende
Belastung des Gemeindesäckels für ewige Zeiten darstellen,
deren jetziger Kapitalwert erheblich über ein halbes Dutzend
Millionen ausmacht, so glauben auch Gemeinden, die auf
sparsamere Wirtschaftsführung angewiesen sind, sich auf
den gleichen Standpunkt stellen zu dürfen, obwohl von
allen ausländischen Fachleuten, die Berlin besucht haben,
in Wort und Schrift offen ausgesprochen ist, daß Hoch
bahnen in der reifen architektonischen Durchbildung, wie
sie z. B. bereits die Bülowstraße aufweist, der deutschen
I Hauptstadt wie jeder anderen Großstadt nur zur Zierde
wichtigsten Weltstädte im Jahre 1908.