DER STÄDTEBAU
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Von besonderen* Bedeutung ist ein großzügiger Ausbau
der Güterverkehrsadern gerade für Groß-Berlin im Hinblick
auf seine Industrie. Das gewerbliche Leben Berlins be
ruht nämlich nicht auf so günstigen Voraussetzungen, wie
das der anderen Weltstädte. Diese liegen alle am Meer oder
an großen Binnenseen, so daß sie sehr günstige Förderungs
bedingungen haben. Berlin dagegen liegt im Landesinnern,
und das billigste Beförderungsmittel, das großräumige Schiff,
kommt nicht dorthin. Andererseits liegt aber Berlin außer
dem noch sehr weit ab von den großen Lagerstätten der
Rohstoffe und der Kohle. Demgemäß muß dafür gesorgt
werden, daß wenigstens innerhalb Berlins die Förderungs
bedingungen für seine Industrie so günstig wie .möglich
gestaltet werden, und es muß die teuerste aller Förderungs
arten — das Straßenfuhrwerk — ausgeschaltet werden.
Die Industrie muß also unmittelbaren Eisenbahn-
und wenn möglich auch Wasseranschluß erhalten.
Wer nun aber weiß, wie schwierig eisenbahnbetriebs
technisch die Bedienung von Industrieanschlüssen ist, dem
ist ohne weiteres einleuchtend, daß jeder Plan unbrauchbar
ist, der die Industrie über kleine und kleinste Fetzchen
zerstreut. Unbedingt notwendig sind vielmehr große ge
schlossene Industriegebiete, die im ganzen Umkreis
der Stadt zu verteilen sind — nicht etwa an einer einzigen
Stelle zu sammeln sind; denn das würde die sozialen
Unterschiede der Bevölkerung noch mehr verstärken.
Um einen Begriff von der notwendigen Größe eines
einzelnen Industriegebietes zu geben, sei z. Q. erwähnt,
daß künftig ein neuer im Osten gelegener Vieh- und
Schlachthof nötig wird, der allein rund 6 qkm groß
werden muß. Der jetzige Viehhof ist zu klein, er kann
z. B. den Magerviehverkehr nicht aufnehmen, er macht
der Eisenbahn ungeheure Schwierigkeiten und stört außer
dem seine Umgebung empfindlich; der künftige Schlachthof
würde dabei auch zum Fernhalten dieser Störungen rings
um von Wald zu umgeben sein.
II, Der Personenfernverkehr.
Bei der Umgestaltung der Anlagen für den Personen
verkehr tritt die Bedeutung des Güterverkehrs wieder zu
tage, Denn die Schwierigkeiten des Personenverkehrs liegen
nicht in den Personenbahnhöfen —, geschweige denn in
Empfangsgebäuden, die der Laie so oft mit dem „Bahnhof“
verwechselt. — Die Schwierigkeiten liegen vielmehr in den
Ab stell bahnhöfen und in den Verbindungen mit den
Güterbahnhöfen. Insbesondere muß in der Berliner Innen
stadt der notwendige Raum für die Umänderung der Per
sonenbahnhöfe durch den vorhergehenden Umbau der
Güterbahnhöfe gewonnen werden.
Von besonderer Wichtigkeit ist für Groß-Berlin die
Anlage einer Mor^-Süd-Fernlinie zwischen den südlichen
und nördlichen Linien. Während durch die alte Berliner
Stadtbahn eine unmittelbare Verbindung zwischen Osten
und Westen besteht, fehlt diese in der Nord-Südrichtung.
Dadurch wird der Süden Berlins von der Ostsee, der
Norden Berlins von Sachsen-Thüringen losgerissen, aber
auch Pommern mit der Ostsee von Süddeutschland, Skan
dinavien von der Schweiz-Italien. Es ist also nicht nur
ein Berliner, sondern ein allgemeines, deutsches verkehrs
politisches Problem. Für die Eisenbahnverwaltung würde
die Verbindung — in Form einer Tiefbahn auszuführen —
allerdings sehr erhebliche Opfer bedingen, dafür aber auch
einen großen Verkehrszuwachs, also höhere Einnahmen
bringen. Außerdem läßt sich im Durchgangsbetrieb sehr
viel mehr leisten als im Kopfbetrieb, weil der Betrieb in
Kopfbahnhöfen mit erheblichen Mängeln behaftet ist.
Die Nord-Südlinie ist in den Wettbewerbentwürfen, die
die Verkehrsfragen ernstlich bearbeiten (Hochbahn, Petersen,
Blum, Sprickerhof), gleichmäßig enthalten — ein Beweis
für ihre Wichtigkeit. Aus diesen Entwürfen geht auch über
einstimmend hervor, daß der Verkehr nicht in wenigen „Haupt
bahnhöfen“ zusammengedrängt werden darf, sondern über
eine ganze Reihe von kleineren Bahnhöfen verteilt werden
muß, wie es in der alten Stadtbahn schon der Fall ist. Ob
hierbei die Nord-Südlinie über den Lehrter Bahnhof (Hoch
bahn» Petersen, Sprickerhof) oder über Bahnhof Friedrich
straße (Blum) zu leiten ist, ist keine Frage von grund
sätzlicher Bedeutung. Die Hauptsache ist der Gesamtgedanke
der durchgehenden Verbindung und die Verteilung des
Verkehrs über eine Reihenfolge von Durchgangsbahnhöfen.
Ob „Hauptbahnhöfe“ — noch dazu in Kopfform — auf vor
handenem Gelände überhaupt in genügender Leistungs
fähigkeit geschaffen werden können, muß bezweifelt werden,
denn mit dem Personenbahnhof ist es dabei nicht getan; es
müßte vor allem auch für die Abstellbahnhöfe mit ihrem
riesigen Flächenbedürfnis gesorgt werden. Bei der Nord-
Süddurchgangslinie sind die Abstellbahnhöfe dagegen weit
draußen, z. B. bei Karow, anzulegen, wo Gelände in be
liebiger Ausdehnung billig zur Verfügung stehen.
Eine weitere Frage im Personenverkehr ist die der
Städtebahnen. Darunter sind Schnellinien nach den be
nachbarten Großstädten zu verstehen, die elektrisch mit
sehr hoher Geschwindigkeit betrieben werden und nur dem
Personenverkehr zwischen den betreffenden Städten dienen.
Solche Bahnen befinden sich z. B, schon für Düsseldorf-
Köln, Wiesbaden—Frankfurt in Vorbereitung. Für Groß-
Berlin muß man mindestens — ebenso wie bei den Massen
güterbahnhöfen — mit der Möglichkeit solcher Bahnen
rechnen. Das ist um so nötiger, als die Städtebahnen
wegen ihrer hohen Geschwindigkeit sehr hohe Anforderungen
an die Linienführung stellen. Man sollte demgemäß die
notwendigen langen geraden Linien für Städtebahnen nach
Hamburg, Stettin und Leipzig offenhalten; übrigens sind sie
für den Grundlinienenplan sehr fruchtbar, weil neben ihnen
gleichzeitig Stadtschnellbahnen und Parallelstraßen vor
zusehen sind.
III. Schnellbahnen.
Im Schnellbahnproblem Groß-Berlins ist künftig mit
drei verschiedenen übereinanderliegenden Netzen zu rech
nen: das örtlich am wenigsten ausgedehnte Netz ist das der
selbständigen Schnellbahnen der Gemeinden und Privat
gesellschaften. Seine Linien — Hoch- und Tiefbahnen —
verlaufen vor allem im Stadtkern. Das zweite Netz ist das
der staatlichen Stadt-, Ring- und Vorortbahnen, dessen
Linien schon weit hinausreichen. Das dritte Netz ist
erst im Entstehen begriffen. Es sind die Linien des be
schleunigten Vorortverkehrs — vgl. die sogenannten Bank
herrenzüge der Wannseebahn! Sie reichen noch weiter
hinaus als die bisherigen Vorortbahnen, werden größtenteils
auf die Mitbenutzung der Fernpersonengleise angewiesen
sein; ihre Züge dürften künftig mit den Zügen des so
genannten Nachbarschaftsverkehrs vielfach zusammenfallen.
Die Unterschiede in diesen drei Netzen sind nicht un